Originally Posted by Marian

Gut, zu Bild muss man eh nix sagen, aber... Ich weiß nicht, auf der Toilette ist ne Zeitung einfach nicht durch Internet zu ersetzen... biggrin


Vielleicht erklärt das ja auch die erschreckende Anzahl an (Mehr-oder-weniger-)Promis, die im aktuellen "BLÖD"-Werbespot sich offensiv zu ihrem Laster bekennen. badsmile

Aber back on topic, heute wieder in doppelter Form:

DER VORLESER:

In einer deutschen Kleinstadt in den 1950er Jahren lernt der 15-jährige Schüler Michael Berg (David Kross) zufällig die etwa 20 Jahre ältere Straßenbahn-Schaffnerin Hanna Schmitz (Kate Winslet) kennen - daraus ergibt sich eine Affäre für einen Sommer, dann verschwindet Hanna ganz plötzlich aus der Stadt. Jahre später sieht Michael, mittlerweile Jura-Student, sie wieder: Als Angeklagte bei einem Prozeß gegen ehemalige KZ-Aufseherinnen!

"Der Vorleser" von Stephen Daldry ("The Hours") ist die Verfilmung des Weltbestsellers von Bernhard Schlink. Den habe ich nicht gelesen und kann daher keine Vergleiche ziehen. Ich kann auch nicht sagen, ob die IMHO große Schwäche des Films eigentlich die Schuld der Buchvorlage ist oder die von Drehbuch-Autor und Regisseur, die den Roman logischerweise für die Verfilmung verdichten mußten. Die Schwäche, von der ich spreche, ist jedenfalls eine in meinen Augen völlig falsche Gewichtung. "Der Vorleser" konzentriert sich stark auf die unmögliche Liebesgeschichte zwischen Michael (als Erwachsener übrigens von Ralph Fiennes verkörpert) und Hanna. Das ist zwar gut gemacht und vor allem von der für ihre Leistung endlich OSCAR-gekrönten Kate Winslet hervorragend gespielt - aber meiner Meinung nach nicht übermäßig interessant.
Gut, ich bin auch kein ausgesprochener Fan von Liebesfilmen, aber davon unabhängig ist der viel interessantere Aspekt der Geschichte sicherlich die Frage der moralischen Schuld, die anhand der Storyline in vielerlei Hinsicht aufgeworfen, aber leider nur an der Oberfläche diskutiert wird. Denn der Prozeß gegen eine Handvoll KZ-Aufseherinnen wirft natürlich viele Fragen auf: Warum werden ausgerechnet diese sechs unter den Hunderten oder Tausenden angeklagt (die Antwort eines Jura-Studenten aus Michaels Seminar ist ebenso zynisch wie treffend: Weil gerade die Taten dieser sechs Aufseherinnen in dem erfolgreichen Buch einer Überlebenden geschildert werden)? Inwiefern sind diese Befehlsempfängerinnen überhaupt aktiv schuldig? Oder konkret anhand der Person Hanna Schmitz: Wie schuldfähig ist eine vollkommen ungebildete, naive Frau, die kaum zu eigenen Entscheidungen in der Lage scheint und mit einer folgenreichen Entscheidung während des Prozesses ein höchst ungewöhnliches Werte-Verständnis offenbart - und ob ihrer unfassbaren Naivität auch noch von den übrigen fünf Angeklagten skrupellos zum alleinigen Sündenbock gestempelt wird? Und was ist mit der Schuld der ganz normalen Bürger, die nichts gegen die Nazis unternommen haben? So wie Michaels Rechts-Professor Rohl (ganz stark: Bruno Ganz), der selber keine Antwort darauf weiß und von Zweifeln geplagt ist?

Natürlich sind das Fragen, auf die es keine einfachen oder gar endgültigen Antworten geben kann. Das ändert aber nichts daran, daß die Beschäftigung damit und die kontroverse Debatte darüber sehr interessant und aufschlußreich sein kann. Das deutet "Der Vorleser" immer wieder an und die Thematik durchzieht auch subtil den gesamten Film. Letztlich traut er sich aber leider nicht, dabei wirklich in die Tiefe zu gehen. Und das finde ich ausgesprochen schade. Okay, man mag einwenden, daß der Film durch diese subtile Vorgehensweise nur die Fragen aufwerfen und den Zuschauer dazu animieren möchte, selbst darüber nachzudenken und mit anderen zu diskutieren. Ich fordere auch nicht, diese höchst komplexe Thematik von vorne bis hinten durchzukauen. Aber etwas mehr Greifbares hätte ich mir wirklich gewünscht.

So ist "Der Vorleser" eben nur eine sehr gut gemachte und gespielte zeitgenössische Liebesgeschichte mit höchst tragischen Untertönen. Einfach schade. 6,5 Punkte.

GRAN TORINO:

Walt Kowalski (Clint Eastwood) ist alt und mißmutig. Und nach der Beerdigung seiner geliebten Frau Dorothy ist er einer der letzten Weißen in seinem heruntergekommen und fast vollständig von Asiaten "übernommenen" Viertel. Da trifft es sich nicht wirklich gut, daß Walt - ein vom Korea-Krieg traumatisierter Ex-Soldat - ein ausgemachter Rassist ist. Dennoch hilft er eines Tages mehr oder weniger gezielt dem Nachbarsjungen Tao, als dieser von einer Jugendgang drangsaliert wird. Dadurch wird er für die asiatisch-stämmigen Bürger im Viertel zu einer Art Held und mit Geschenken überhäuft. Was ihn einfach nur tierisch nervt. Doch Taos ältere Schwester Sue läßt sich von Walts rassistischen Kommentaren und seinem miesepetrigen Gehabe nicht abschrecken und schafft es schließlich mit bewunderswerter Hartnäckigkeit, Walt mit ihren Verwandten bekanntzumachen. Dabei bemerkt dieser zu seiner eigenen Verwunderung, daß er mit diesen ihm so verhassten "Schlitzaugen" eigentlich mehr gemeinsam hat als mit seiner eigenen (in der Tat schrecklichen) Verwandtschaft ...

Als "Gran Torino" erst Mitte 2008 und quasi in einem Nebensatz angekündigt wurde, rechnete wohl kaum jemand damit, daß dieser Film ein Erfolg werden würde. Clint Eastwood als alter Rassist, der geläutert wird? Klingt vielleicht nach einem Arthouse-Film, aber bestimmt nicht nach einem Blockbuster. Zumal zwei Monate vorher Eastwoods aufwendiger Thriller "Der fremde Sohn" nach einem wahren, schockierenden Fall und mit Stars wie Angelina Jolie und John Malkovich in den Hauptrollen in die Kinos kommen würde. Doch wie so oft kam alles ganz anders: "Der fremde Sohn" war trotz guter Kritiken nur mäßig erfolgreich - und "Gran Torino" avancierte zum erfolgreichsten Film in der jahrzehntelangen Karriere des mittlerweile 78-jährigen Clint Eastwood!
Wie läßt sich das erklären?

Nun, ganz einfach: "Gran Torino" ist ein unfaßbarer Crowd-Pleaser. Und er ist viel amüsanter, als man erwarten würde. Clint Eastwood hat sich zwar in den letzten Jahren als Regisseur durchaus auch als Mann der leisen Töne gezeigt, aber in "Gran Torino" - angeblich seiner letzten Rolle als Schauspieler (aber das hat er bei "Million Dollar Baby" auch schon gesagt) - spielt Subtilität keine große Rolle. Vielmehr führt Eastwoods Walts Rassismus schon dadurch ad absurdum, daß er hemmungslos übertreibt. Dadurch lösen Walts Schimpfkanonaden selbst beim moralisch gefestigsten Zuschauer nicht Wut oder Schamgefühle aus, sondern einfach nur Amüsement!
Zudem wird natürlich schnell klar, daß Walt zu der Kategorie "harte Schale, weicher Kern" gehört. Für den Nachbarsjungen Tao wird er sogar zu einer Art Mentor und Ersatz-Vater, für Sue und ihre Mutter zu einem echten Freund. Und als Macho alten Kalibers entwickelt er natürlich alsbald den Drang, die Nachbarsfamilie vor der brutalen (und sehr nachtragenden) Jugendgang zu beschützen.

"Gran Torino" lebt von der unglaublich energetischen Darbietung Eastwoods. Sein Zusammenspiel gerade mit den komplett mit Laiendarstellern besetzten Asiaten (von denen mir vor allem die Darstellerin der Sue gut gefallen hat - nein, nicht nur optisch wink )ist einfach herzerwärmend und die herrlich übertriebenen Dialoge scheinen Eastwood geradezu auf den Leib geschrieben.
Zugegeben, die Story ist alles andere als originell und mitunter etwas arg dick aufgetragen. Zudem fand ich die überraschende Wendung am Ende nicht so richtig überraschend. Aber insgesamt ist "Gran Torino" einfach wunderbares (und sogar pädagogisch wertvolles) Wohlfühl-Kino - und nicht zu Unrecht der erfolgreichste Film von "The Clint".
9 Punkte.

Last edited by Ralf; 11/03/09 12:56 PM.