PUBLIC ENEMY NO. 1 - MORDINSTINKT:

In Frankreich ist Jacques Mesrine offenbar so bekannt wie Posträuber Ronald Biggs in Großbritannien. So ist es nicht verwunderlich, daß das ereignisreiche Leben und der legendenumrankte gewaltsame Tod des charismatischen Bankräubers nun verfilmt wurden - und zwar als rund vierstündiges, in zwei Teile aufgespaltenes (Teil 2 namens "Todestrieb" startet Ende Mai in den deutschen Kinos) Gangster-Epos mit Top-Besetzung und spektakulären Schauwerten.

Vincent Cassel spielt Mesrine und wurde für seine energiegeladene Darstellung bereits mit dem höchsten französischen Filmpreis, dem César, geehrt. Cassel gelingt es, die ambivalente Persönlichkeit von Jacques Mesrine - faktisch ein skrupelloser Räuber und Mörder, in der Öffentlichkeit aber auch schillernde Persönlichkeit mit einnehmendem Wesen - authentisch wirkend rüberzubringen, ohne die Figur oder seine zahlreichen Gewalttaten zu verherrlichen. Das ist natürlich auch das Verdienst von Jean-Francois Richet, der als Co-Drehbuch-Autor und Regisseur versuchen mußte, aus der im Gefängnis geschriebenen Autobiographie Mesrines Wahrheit und Dichtung so gut wie möglich herauszufiltern, ohne die subjektive Perspektive Mesrines völlig aufzugeben. Denn dies IST seine Geschichte und sie wird aus seiner Sicht geschildert.
Daß Mesrine trotz seiner Brutalität irgendwo die Sympathien des Publikums genießt, liegt vor allem daran, daß Polizei und Gefängnisleitung als tatsächlich NOCH brutalere Antagonisten aufgebaut werden. Auch hier ist es natürlich schwierig zu sagen, wieviel davon der Wahrheit entspricht, aber da es weithin bekannt ist, daß die französische Polizei zur damaligen Zeit alles andere als zimperlich vorging, kann man das Gezeigte selbst als noch so großer Skeptiker zumindest nicht einfach komplett ins Reich der Phantasie verweisen. Und wie man im Abspann erfährt, entsprechen wohl auch die gezeigten unmenschlichen Haftbedingungen in einem konkreten Gefängnis in etwa der Wahrheit, denn nach einer Untersuchung kurz nach Mesrines Haftzeit wurde dieses Hochsicherheitsgefängnis für immer geschlossen ...

Strukturell ist "Public Enemy No. 1" wie so viele Biographie-Verfilmungen episodisch aufgebaut. Die Übergänge zwischen diesen Episoden aus Mesrines Leben sind jedoch leider nicht immer so fließend gelungen, wie es wünschenswert wäre. Ein weiteres Problem ist letztlich auch die Figur des Jacques Mesrines. In vielerlei Hinsicht wirkt dieser Film wie ein französischer "Pate". Gérard Depardieu spielt gemäß dieser Analogie den Don Vito Carleone, während Vincent Cassel Sonny Corleone ist. Und das ist problematisch. So sehr ich James Caans Leistung als Sonny Corleone im "Paten" liebe - mit ihm als Hauptfigur hätte die Trilogie nicht funktioniert. Al Pacino als besonnenerer, mehr verstandes- denn emtionsgesteuerter Michael Corleone ist der Grund, warum "Der Pate" so ein Geniestreich ist. Mit ihm kann man sich als Zuschauer - soweit es angesichts seiner Profession möglich ist - identifizieren, er ist ein Sympathieträger. Und genau so einer fehlt in "Public Enemy No. 1". Jacques Mesrines ist ein Hitzkopf und ein Schläger wie Sonny Corleone. Man verfolgt interessiert, was er alles tut, aber man fühlt nur selten mit ihm mit.
Genau deshalb ist zumindest dieser erste Teil kein sehr guter, sondern "nur" ein guter Film geworden.

Es muß aber festgehalten werden, daß sowohl Cassel als auch Depardieu (in einer leider nur recht kleinen Rolle) hervorragend agieren. Das trifft auch auf den Großteil der restlichen Besetzung zu, wenngleich leider kaum eine weitere Filmfigur genügend Raum erhält, um schauspielerisch glänzen zu können. Gerade die Frauen - die wunderschöne Elena Anaya als Mesrines erste Frau und Cécile de France als die zweite - sind nicht viel mehr als Staffage.

Filmtechnisch ist dagegen wenig zu bemängeln. Die Actionsequenzen sind sehr überzeugend und mitunter spektaktulär in Szene gesetzt, die Musik ist zurückhaltend, aber gut, und auch den Ausstattern ist es gelungen, ein echt wirkendes Frankreich der 1960er Jahre zu erschaffen.

Fazit: "Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt" zeigt nach langer Zeit wieder einmal, daß auch die Europäer richtige Gangsterepen drehen können - trotz einiger vor allem strukturell bedingter Schwächen und einer etwas distanziert bleibenden Hauptfigur. Mal sehen, was der zweite Teil bringt, in dem Mesrines laut Trailer vom reinen Verbrecher zu einer Art Möchtegern-Revolutionär zu werden scheint. Schade, daß Depardieu dann nicht mehr dabei ist, aber dafür kommen andere Hochkaräter wie Mathieu Amalric, Ludivine Sagnier (im ersten Teil bereits mit einem Kurzauftritt) oder Samuel Le Bihan zum Zuge.
Eine abschließende Bewertung ist natürlich erst möglich, wenn ich beide Teile gesehen habe. Der erste Teil bekommt von mir aber vorläufig knappe 8 Punkte.

P.S.: Man kann übrigens durchaus darüber diskutieren, wie sinnvoll es ist, einem französischen Film in Deutschland einen englischen Titel mit deutschem Untertitel zu verpassen ...

Last edited by Ralf; 28/04/09 04:11 PM.