Alrik:
Nachhaltigkeit und mangelnde Qualität - das sind aber zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Und wie soll eine *nachhaltige* Software entwickelt werden, die bereits in 10 Jahren auf den dann aktuellen Computern nicht mehr läuft?
Mit Gebrauchsgegenständen mag das teilweise zutreffen - obwohl auch hier eine gewisse Haltbarkeit durchaus als Qualitätsmerkmal verstanden wird. Und man kann wahrscheinlich auch jetzt noch einen Toaster kaufen, der 30-40 Jahre ordentlich seinen Dienst erfüllt, wenn man bereit ist, dafür entsprechend tiefer in die Tasche zu greifen. Das Problem der Kurzlebigkeit ist nämlich ursächlich auch in der Sparmentalität der Konsumenten zu suchen: ein möglichst preiswerter Toaster, ein Flachbildschirm, aber nicht zu teuer, eine Waschmaschine, aber wenig muss sie kosten... Und in der Bereitschaft der Konsumenten, sich nach z.B. fünf Jahren neu auszurüsten - weil es möglicherweise neue Techniken gibt, die Geräte sparsamer sind oder neue Standards bedienen. Wer möchte heute noch einen funktionsfähigen Schwarz-Weiss-Fernseher in der Wohnstube stehen haben, mit dem man gerade mal zwei Sender empfangen kann - und die bei jedem Anschalten erst neu suchen muss?
Ich bezweifel daher, dass bewusst Sollbruchstellen eingebaut werden - lediglich die Materialauswahl mag eingeschränkt sein. Man nimmt eben nicht das Beste vom Besten, weil das die Masse der Konsumenten gar nicht zu würdigen weis, oder der Preis dadurch so exorbitant steigt, dass man das Produkt kaum noch absetzen kann. Und da ebenfalls die Masse der Konsumenten nach einer sehr begrenzten Zeit das *Bedürfnis* verspürt, eine Erneuerung herbeizuführen, orientiert sich der Markt eben daran.
Es ist wie mit der Reinigung einer chemischen Substanz (speziell für Dich als "Alchimisten" ;)): Es ist verhältnismäßig einfach, eine Substanz mit einer Reinheit von 99% herzustellen/aufzuarbeiten/aufzureinigen. Ein Reinheit von 99,5% erfordert schon einen 10fach höheren Aufwand (oder so), eine Reinheit von 99,9% sogar einen 1000fach höheren (!). Eine Reinheit von 99,9995% ist schon fast utopisch, und über den Aufwand schweigen wir lieber, und eine Reinheit von 100% ist pure Illusion und nach den uns bekannten Gesetzmäßigkeiten nicht zu erreichen.
MMn hast Du Ursache und Wirkung einfach mal vertauscht, indem Du den Produzenten unterstellst, sie würden durch ihr Verhalten jede Langlebigkeit bewusst (!) zunichte machen. MMn reagieren die meisten Produzenten aber lediglich auf die Nachfrage und versuchen den Kunden das zu geben, wonach sie verlangen - was manchmal mehr, manchmal weniger funktioniert. Damit zeigen sie nur selten, wo es langgeht. Wir sind es, die die Entwicklung bestimmen. Unsere eigene "Kurzlebigkeit" definiert das Maß. Wozu soll ein Toasterhersteller sich die Mühe geben, einen Toaster herzustellen, der 40 Jahre seinen Dienst tut - wenn die meisten Haushalte ihn trotz voller Funktionalität bereits nach 10 Jahren aus dem Drang heraus ersetzen, mal was neues in der Küche stehen zu haben, vielleicht gepaart mit der Hoffnung, der neue müsste ja so vieles besser als der "uralte" sein, auf jedenfall aber optisch eben eine Abwechslung bieten... Die Nachfrage ist in der Regel zuerst da - und dann, leicht zeitversetzt, mitunter auch gleichzeitig, hat sich erst eine Industrie etablieren können, für die das Wort "Nachhaltigkeit" keine Bedeutung in ihren Produktpaletten hat. Nur sehr selten eilt der Produzent dem Konsumenten voraus und bietet Produkte an, für die (noch) kein Bedarf besteht (der aber durchaus durch geschickte Werbung erzeugt werden kann!).
Erstaunlicherweise dehnt sich das sogar auf die Bauindustrie aus - angeblich zeigen Statistiken, dass Neubauten nicht länger als 60 - max. 100 Jahre genutzt werden. Also wird so gebaut, dass nach spätestens 100 Jahren das Verfallsdatum erreicht ist - mit minimalem Aufwand das maximale Ziel erreichen, und wozu für die Ewigkeit bauen, wenn das Teil vermutlich schon in 60 Jahren in die Luft gesprengt wird, um Platz für einen neuen Superhochbau zu schaffen?
Natürlich ist diese Sichtweise erschreckend. Aber sie geht mitnichten auf die Produzenten zurück, sondern hat ihren Ursprung in uns, den Konsumenten. Du kannst den Produzenten vorwerfen, dass sie nicht gegensteuern - wenn jeder Toaster min. 500,-€ kostet, dafür aber auch 50 Jahre garantiert hält, würde sich der Verbraucher die Entsorgung seines funktionierenden, 10 Jahre alten Gerätes und die Anschaffung eines neuen Gerätes mit anderem Design zwei- oder mehrmals überlegen. Aber so funktioniert der Mensch nach meiner Erfahrung nicht, und deshalb funktioniert so auch die Marktwirtschaft nicht. Es wird *immer* einen Hersteller geben, der seinen (5 Jahre haltbaren) Toaster für nur 50,-€ anbietet und diesen dann reißend (! - *DAS* ist der springende Punkt!) absetzen kann. Wenn Du den Produzenten dies zum Vorwurf machen willst - bitte sehr, das ist Deine Sache. Genausogut könntest Du mMn dann aber auch dem Ozean vorwerfen, nass zu sein, oder der Schwerkraft, Dich an 100m-Sprüngen zu hindern.
Und was nun speziell Software betrifft: Gerade die Unterhaltungsbranche ist alles andere als nachhaltig. Während manchen Büchern und mancher Musik durchaus noch eine gewisse Nachhaltigkeit zugestanden werden kann (z.B. hat Johann Sebastian Bach ja sehr nachhaltig komponiert - immerhin sind seine Werke noch heute sehr beliebt!), setzt Software eigentlich *immer* auf Kurzlebigkeit. Software wird "für den Augenblick" entwickelt, was mMn im wesentlichen auf die rasante technische Entwicklung zurückzuführen ist. Die Gefahr, dass sie schon mit dem nächsten neuen Betriebssystem oder dem neuesten Grafikstandard nicht mehr korrekt zusammenarbeitet, ist einfach zu groß. Allerdings *kann* Software natürlich nachhaltig sein - ein Spiel mag auch in 100 Jahren noch anstandslos laufen, wenn die Technik stehen bliebt und - noch wichtiger - der Anspruch der Konsumenten nicht größer wird. Aber der wächst: Wir wollen bessere Grafik (zumindest für die meisten Nutzer scheint das Punkt 1 zu sein), mehr Handlung, eine komplexere Story, glaubwürdige Charaktere, eine dynamische, frei begehbare Spielwelt, verschieden Storywendungen, die sich nach der Handlung und den Entscheidungen des Spielers richten und und und - und bei diesen Aufzählungen geht es nur um *Spiele*! Anwendungssoftware ausgeklammert! Warum aber sollte ein Publisher eine solche kurzlebige Software lange hegen und pflegen - wenn die Zahl der Anwender von einst vielen Tausend nach 5 Jahren auf ein halbes Dutzend zusammengeschrumpft ist? Nutzen und Aufwand stehen dann nicht mehr im Verhältnis - das weiß der Publisher auch dann, wenn er etwas von der Entwicklung versteht! Nein, falsch - das weiß der Publisher *besonders* dann sehr gut, wenn er was von der Entwicklung versteht! Dann kann er nämlich ziemlich gut abschätzen, welchen Aufwand es bedeuten würde, den Programmcode so zu ändern, dass das tolle, 5 Jahre alte Spiel mit modernen Grafikkarten läuft, oder mit der neuesten Prozessorarchitektur zurechtkommt, oder auf dem akutellen Betriebssystem installiert werden kann. Ziemlich viel Aufwand, und das alles auch noch als kostenlosen Support? Ich könnte daher also den Spieß kurzerhand umdrehen und behaupten, der Quall allen Übels sind Publisher, die genau wissen, was es heißt, eine Software zu entwickeln! Die genau einschätzen können, dass eine Software mit dem kalkulierten Aufwand fehlerfrei zum genannten Termin theoretisch fertigstellbar ist! Die also genau wissen, wenn eigentlich *genügend* Zeit für die Entwicklung eines guten, fehlerarmen Produktes gewesen ist (und daher auf die Veröffentlichung drängen). Ich behaupte es aber einfach mal nicht, weil ich diese Behauptung für... naiv und unhaltbar halte.
Die tatsächlich oftmals mangelnde Qualität steht auf einem anderen Blatt - aber ich denke, ich habe eh schon wieder zu viel geschrieben, um jetzt auch noch umzublättern.
Von daher halte ich persönlich Deine... "Theorie", vorsichtig ausgedrückt, für unhaltbar und nicht ausreichend durchdacht. Sie offenbart in meinen Augen eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise, gepaart mit schnellen Schuldzuweisungen und beinahe böswilligen Unterstellungen.