Public Enemies:

USA, 1933: John Dillinger (Johnny Depp) und seine Bande halten mit ihren erfolgreichen Bankrauben und gelegentlichen Gefängnisausbrüchen das ganze Land in Atem - darunter auch einen gewissen J. Edgar Hoover (Billy Crudup), der die Gelegenheit nutzt, seine Idee einer bundesstaatenübergreifenden Polizei zu propagieren. Konkret beauftragt er Agent Melvin Purvis (Christian Bale) damit, dem kriminellen Treiben von Dillinger und seinen Männern ein Ende zu bereiten - "Tot oder tot", wie die Gejagten selbst witzeln ...

Michael Manns neuestes Gangsterepos erinnert in vielerlei Hinsicht an seinen wohl besten Film "Heat": Es ist das Duell zweier großartiger Schauspieler, von denen einer auf Seiten des Gesetzes steht und der ein Krimineller ist - wobei die Unterschiede zwischen dem Verhalten der beiden Parteien ausgesprochen gering sind. Auch sonst ist vieles wie immer bei Michael Mann: Score und Songauswahl sind sehr gelungen, Optik und Ausstattung sind beeindruckend, zudem gibt es auch diesmal einige wahrlich brillante Szenen (natürlich inklusiver diverser Shootouts), die zeigen, welch fabelhafter Regisseur Michael Mann sein kann.

Dennoch ist "Public Enemies" definitiv nicht sein bester Film. Daß die Hochglanzoptik angesichts der Ära, in welcher der Film spielt, ziemlich anachronistisch wirkt und damit den gegenteiligen Weg fast aller anderen zu dieser Zeit spielenden Filme beschreitet (z.B. "Road to Perdition" oder auch "Oh Brother where art thou"), ist sicherlich Geschmackssache. Ich persönlich fand es etwas gewöhnungsbedürftig, aber meiner Meinung nach funktioniert es ziemlich gut.
Problematischer ist da schon, daß sich Michael Mann leider viel zu wenig auf die Charaktere der Geschichte konzentriert. Einmal steht John Dillinger zu sehr im Zentrum der Handlung. Selbst Christian Bales Agent Purvis oder OSCAR-Gewinnerin Marion Cotillard als Dillingers große Liebe bleiben letztlich vergleichsweise blasse Nebenfiguren, erst recht gilt das für Dillingers Gangsterfreunde. Zwar, das gebe ich gerne zu, sind die meisten dieser Figuren interessant genug gezeichnet, um sich einzuprägen und Stoff für gute Szenen zu liefern - aber sie bleiben eben komplett an der Oberfläche. Es sind eher Abziehbilder als echte Figuren. Sehr schön gestaltete Abziehbilder zwar und - auch das sind wir von Michael Mann im positiven Sinne gewohnt - bis in die kleinste Nebenrolle hochkarätig besetzt (u.a. mit David Wenham, Stephen Dorff, Jason Clarke, Channing Tatum, Leelee Sobieski, Emilie de Ravin, Giovanni Ribisi, Branka Katic, Stephen Lang sowie Sängerin Diana Krall), aber doch nur Abziehbilder.
Schlimmer noch: Selbst Dillinger bleibt schablonenhaft. Nicht das geringste erfährt das Publikum über seine Motivation (immerhin ist er kein normaler Bankräuber, sondern hat den Ruf eines modernen Robin Hood), sehr wenig über seine Vergangenheit oder seine Gedankenwelt. Das ist schlicht und ergreifend schade, weil somit die Chance vertan ist, diese Ikone der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts als echten Mensch darzustellen. Stattdessen wird er zwar nicht unbedingt so sehr glorifiziert wie in vielen anderen Publikationen, aber im Vergleich zu den brutalen Polizeimethoden kommt er beinahe harmlos rüber. Zwar ist mir klar, daß die Polizei zur damaligen Zeit wirklich nicht zimperlich mit Kriminellen oder Verdächtigen umging, aber auch in "Public Enemies" kommt es so rüber, als wäre deren Verhalten sogar schlimmer als das der eigentlichen Gangster (die immerhin zahlreiche Menschen umgebracht haben). Das hätte man sicherlich ausgewogener darstellen können.

Fazit: "Public Enemies" ist ein handwerklich perfekter, fast durchgehend spannender und unterhaltsamer Gangsterfilm mit einigen denkwürdigen Szenen
wie dem Gefängnisausbruch in einem Polizeiauto oder dem Treffen in einem Kinosaal, bei dem die Zuschauer von der Leinwand her mithilfe von Steckbriefen aufgefordert werden, nach Dillinger und Co. Ausschau zu halten
, der aber das Potential seiner herausragenden Besetzung mangels handfester Charakterzeichnung nur ankratzt und deshalb unter den Möglichkeiten des Regisseurs bleibt. 8 Punkte.

P.S.: Den Film, den Dillinger kurz vor Schluß im Kino sieht, hätte ich am liebsten auch gleich angeschaut: Das "Der dünne Mann"-Trio W.S. Van Dyke, William Powell und Myrna Loy, dazu noch Clark Gable - das KANN ja nur ein guter Film sein! grin

Last edited by Ralf; 10/08/09 03:51 PM.