Okay, dafür konnte ich dann doch nicht bis nach dem Fantasy Filmfest warten:

INGLOURIOUS BASTERDS:

"Es war einmal ... im von den Nazis besetzten Frankreich". So beginnt Quentin Tarantinos Weltkriegs-Märchen "Inglourious Basterds" (sic!) und das ist durchaus bezeichnend. Denn die Geschichte, die uns Tarantino hier präsentiert, schert sich vollkommen bewußt einen absoluten Dreck um historische oder politische Korrektheit. "Hostel"-Regisseur Eli Roth, der einen der titelgebenden jüdischen Nazijäger hinter den feindlichen Linien spielt, hat den Film mehrfach als "jüdischen Racheporno" bezeichnet. Und ja, auch das trifft es ganz gut, lenkt die Erwartungen aber dennoch in eine ziemlich falsche Richtung.
Denn natürlich ist es so, daß, wenn der Mann, zu dessen Gesamtwerk so gewalthaltige Filme wie "Reservoir Dogs", "Pulp Fiction" oder "Kill Bill" zählen, ankündigt, einen Film zu drehen, der im 2. Weltkrieg spielt und auch noch (bis auf die eingebauten "Rechtschreibfehler") den Titel eines obskuren italienischen Naziploitation-Actioners übernimmt, jeder ein Resultat erwartet, in dem es nur so vor Blut spritzt. Doch wenn Tarantino etwas schon immer konnte, dann war es das Konterkarieren von Erwartungshaltungen. Und das demonstriert er hier in fast vollkommener Perfektion.
Denn "Inglorious Basterds" ist im Grunde genommen ein ausgesprochen dialoglastiges Psychodrama von beinahe shakespear´schen Ausmaßen! Natürlich gibt es auch Gewalt, aber die ist vergleichsweise rar gesät - dafür geraten diese gelegentlichen Gewalt-Eruptionen aber umso drastischer und lassen mich verwundert fragen, wie zum Teufel die FSK diesen Film ab 16 Jahren freigeben konnte? Ein Computerspiel mit solchen Szenen wäre innerhalb 24 Stunden nach Erscheinen indiziert, wenn nicht gar beschlagnahmt ...

Aber zurück zum Wesentlichen - und das Wesentliche für das Funktionieren eines dialoglastigen Filmes sind natürlich zwei Dinge: die Qualität der Dialoge und die Qualität der Schauspieler. Erfreulicherweise ist in diesem Fall beides ausgezeichnet!
Tarantinos Dialoge strotzen nur so von dem von ihm gewohnten schwarzen Humor, kommen aber auch hinterhältig-intelligent daher, gerade in den zahlreichen "Duell-Situationen", die passend mit Musik von Ennio Morricone unterlegt sind. Zudem hat kein geringerer als Tom Tykwer dafür gesorgt, daß auch die deutschen Dialoge überzeugen.
Und die Schauspieler überzeugen fast ausnahmslos ausgezeichnet. Zwar ist das insofern noch nicht allzu vielsagend, als es aufgrund der episodischen Struktur des in fünf Kapitel unterteilten Filmes etliche Figuren gibt, die leider zu kurz kommen und daher auch ihren Darstellern nicht allzu viel Können abverlangen (das trifft etwa auf die Rollen von Til Schweiger, Michael Fassbender und Christian Berkel zu und selbst auf die von Brad Pitt als Anführer der Basterds). Aber es gibt doch noch genügend Figuren, die ausgefeilt genug sind und auch genügend Screentime zur Verfügung gestellt bekommen, um zu glänzen.
Allen voran trifft das natürlich auf den österreichischen ehemaligen Roy Black-Darsteller Christoph Waltz zu, der für seine überragende Darstellung des brillant geschriebenen Nazijägers Hans Landa bereits mit dem Darstellerpreis in Cannes belohnt wurde und auch als sicherer Kandidat für eine OSCAR-Nominierung im kommenden Jahr gilt. Die Art und Weise, wie er diese erstaunlich vielschichtige Figur zu diabolischem und doch gleichzeitig beinahe charmantem Leben erweckt, ist wahrlich sehenswert und läßt einen völlig vergessen, daß die Rolle ursprünglich an keinen geringeren als Leonardo DiCaprio gehen sollte (Tarantino wollte dann aber doch einen deutschsprachigen Darsteller).
Ähnlich starke Leistungen liefern auch ab: Mélanie Laurent als französische Kino-Besitzerin Shosanna, deren gesamte Familie von Landas Leuten umgebracht wurde; Daniel Brühl als "deutscher Sergeant York", der Shosanna Avancen macht; Diane Krüger, die als Filmdiva Bridget von Hammersmark (keine Ahnung, wie Tarantino auf DEN Namen kam ...) in ihren bisherigen Rollen ungeahnte Fähigkeiten offenbart; und August Diehl als gefährlich scharfsinniger Nazi-Offizier.

Dazu kommen natürlich die üblichen Tarantino-Zutaten: Ein gelungener Soundtrack (wenn auch diesmal genrebedingt ohne ganz große Song-Entdeckungen) und Unmengen an Filmzitaten und -anspielungen. Gerade letzteres ist diesmal ein besonderes Vergnügen für Cineasten, denn neben der eher offensichtlichen Anspielungen auf "Men on a Mission"-Klassiker wie "Das dreckige Dutzend" konzentriert er sich vor allem auf die deutsche Stummfilmära. Das bedeutet natürlich auch, daß mindestens 90% der Zuschauer nicht mal einen Bruchteil dieser Anspielungen verstehen und auch ich habe sicherlich höchstens die Hälfte entdeckt - aber faszinierend ist es dennoch, über welch unglaubliches Geek-Filmwissen über scheinbar alle Epochen und Länder hinweg Tarantino verfügt und wie er es immer wieder schafft, dieses Wissen in seinen Filmen unterzubringen, ohne daß es aufgesetzt wirkt (zumindest meistens). Und wer hätte je erwartet, daß einmal Winnetou in einem Tarantino-Film erwähnt werden würde? grin

Fazit: "Inglourious Basterds" ist ein toller Film, meiner Meinung nach Tarantinos bester seit dem oft unterschätzten "Jackie Brown" - mindestens. Allerdings merkt man eben auch, daß die Geschichte ursprünglich als Mini-Serie á la "Band of Brothers" konzipiert war und deshalb viele Ideen und vor allem Charaktere nicht ihr volles Potential entfalten können. Allerdings hat Tarantino gesagt, daß er erwägt, ein Prequel zu drehen und angesichts der sehr erfolgreichen weltweiten Kinostarts der "Basterds" (in den USA war es Tarantinos erfolgreichstes Startwochenende überhaupt, wenngleich nicht inflationsbereinigt) dürfte dieses Vorhaben nicht unwahrscheinlicher geworden sein.
Das vorliegende Zweieinhalb-Stunden-Werk jedenfalls zeigt, daß Tarantino es immer noch drauf hat. 9 Punkte. up

P.S.: Kuriosum am Rande: Da schafft es Tarantino doch tatsächlich, dem bekannt Untertitel-aversen US-Publikum einen Film unterzujubeln, in dem nur zu vielleicht 20% Englisch gesprochen wird. Denn ihm war es wichtig, daß - anders als bei den meisten Hollywood-Kriegsfilmen - alle Schauspieler "ihre" Sprache sprechen. Und da überwiegend in den "Basterds" eben Deutsch und Französisch. Umso erstaunlicher, daß das US-Publikum sich offenbar nicht daran stört.
Umso peinlicher, daß wir in Deutschland allen Ernstes eine halb-synchronisierte Version geboten bekommen, in der zwar die (umfangreichen) französisch-sprachigen und (seltenen) italienisch-sprachigen Passagen im Original belassen und untertitelt wurden, idiotischerweise aber die wie erwähnt nicht mal allzu zahlreichen englisch-sprachigen Szenen synchronisiert wurden (was uns u.a. um das Vergnügen bringt, Samuel L. Jackson als Erzähler zu hören). ouch down

Edit: Es ist in den USA sogar doch auch inflationsbereinigt Tarantinos bestes Startwochenende überhaupt gewesen!

Last edited by Ralf; 25/08/09 05:38 PM.