Ip Man:

Fo Shan, China, 1935: Martial-Arts erlebt eine neue Blütezeit, überall entstehen Kung-Fu-Schulen, in Fo Shan gibt es gar ein ganzes "Kampfsportviertel". Doch der beste Kämpfer der Region, mit dem sich alle messen wollen, ist Yip Man (ohne das "Y" ist es die offizielle "Buchstaben"-Schreibweise, mit "Y" ist es jedoch wesentlich gebräulicher und auch lautmalerisch treffender - außerdem denkt bei "Yip Man" auch keiner mehr, es handle sich um einen Film über einen "Ai-Pi-Män" grin ), der aber keine Schüler annimmt. Doch 1937 marschieren die Japaner in China ein und alles ändert sich - auch Yip Man (Donnie Yen) muß schließlich Farbe bekennen ...

Die erste halbe Stunde des Films ist wirklich herrlich, denn sie wirkt wie einer dieser wunderbaren "Shaw Bros."-Klassiker á la "Die 36 Kammern der Shaolin". Und das ist in einer Zeit, in der zumindest jene Martial-Arts-Filme, die es auch zu uns schaffen, eigentlich allesamt zu den "poetischen Epen" wie (im besten Falle) "Tiger & Dragon" oder "Hero" zählen, eine sehr erfrischende und unterhaltsame Abwechslung.
Leider gibt es jedoch nach diesen sehr starken 30 Minuten einen deutlichen Stilbruch - denn mit der Invasion der Japaner kommt logischerweise ein sehr viel ernsthafterer, dramatischerer Ton auf, ja es herrscht beinahe Kriegsfilm-Stimmung. Zwar ist dieser Teil ebenfalls gut umgesetzt, aber homogen wirkt der Film nun nicht mehr und das entwickelt sich insgesamt zu einer seiner größten Schwächen, denn auch das sehr abrupte Filmende kann nicht wirklich überzeugen. Im Grunde genommen ist es sogar so, daß der Filmbeginn - so toll er ist - im Zusammenhang mit dem, was ihm folgt, inhaltlich vollkommen überflüssig ist. Nur in Bezug auf die Einführung der wichtigen Figuren macht er Sinn, wobei leider auch bei weitem nicht alle dieser Figuren später ihr erzählerisches Potential ausschöpfen dürfen.

Das größte Problem, das ich mit "Ip Man" habe, hängt jedoch zumindest im weiteren Sinne mit dem Thema zusammen, das uns irgendwie nicht mehr loszulassen scheint: Rassismus. Nein, "Ip Man" ist nicht wirklich ein rassistischer Film - aber ein ziemlich nationalistischer. Nun ist das angesichts der präsentierten Epoche und der bis heute nur sehr zögerlichen Aussöhnung zwischen China und Japan nicht wirklich verwunderlich, aber traurig ist es doch, daß gerade chinesische Filme zur Thematik immer noch oft wie Propaganda-Filme wirken. Da macht "Ip Man" leider keine Ausnahme. Zwar ist es nicht wirklich extrem, beispielsweise wird Ip Mans Haupt-Gegner, ein japanischer General, durchaus als weitgehend ehrenhafter Krieger gezeigt (dafür ist sein Assisstent eine wahre Bestie). Es ist auch nicht so, daß die Japaner einfach kategorisch verteufelt werden. Wie gesagt, es ist kein rassistischer Film. Aber er geht das Thema eben von der anderen Seite an, indem er die Chinesen (zumindest die meisten von ihnen) und ihr kommunistisches Zusammengehörigkeitsgefühl hymnisch preist - und in Bezug auf Yip Man regelrechte Heldenverklärung betreibt. Zumindest die Kommunismus-Verklärung dürfte eine direkte Folge der Rückgabe von Hongkong an China sein, was natürlich - trotz Zugeständnissen von chinesischer Seite - auch die Unabhängigkeit der Filmindustrie von Hongkong beeinflußt hat ...
Jedenfalls ist es ärgerlich, es ist unnötig und es schadet dem Film (zumindest außerhalb Chinas).

Aber überbewerten will ich es auch nicht, da letztlich natürlich etwas anderes im Zentrum steht: Die Kampfkünste! Und die sind - ich weiß, das Wort ist in diesem Zusammenhang überstrapaziert, aber alles andere wäre schlicht eine unzulässige Untertreibung - atemberaubend!
Kein Wunder, zeichnet doch kein geringerer als Jackie Chans langjähriger Weggefährte Sammo Hung für die Kampfchoreographie verantwortlich. Das hier gezeigte, vor allem in der ersten halben Stunde, ist einfach ein absoluter Genuß für jeden, der auch nur ein bißchen etwas für Kampfsport übrig hat.
Daran hat natürlich der Hauptdarsteller einen gewichtigen Anteil. Donnie Yen hat sich bekanntlich nie wirklich durch herausragende schauspielerische Fähigkeiten aus der Masse hervorgehoben (obwohl er diesmal eine wirklich gute Leistung zeigt), zum chinesischen Megastar wurde er durch seine Kampfkunst-Fertigkeiten. Und die demonstriert er hier beeindruckend und vielfach.
Doch auch hier gibt es einen kleinen Wermutstropfen: Das finale Showdown-Duell mit dem japanischen General ist ziemlich enttäuschend ausgefallen. Was wohl wiederum mit der Propaganda-Problematik zusammenhängt, denn Yip Man ist in diesem Kampf einfach zu deutlich überlegen, um wirklich Begeisterung oder gar Spannung beim Publikum aufkommen zu lassen.

Fazit: "Ip Man" ist irgendwo ein Film der verschenkten Möglichkeiten. Er fängt klassisch und richtig toll an, verzettelt sich dann jedoch etwas in der Kriegshandlung, verliert an Stringenz und vermasselt auch noch das große Finale. Dank der (bis auf das Finale) herausragenden Actionszenen, der guten Darsteller (darunter Simon Yam, der u.a. in vielen Filmen von Johnnie To die Hauptrolle spielte) und vor allem der nun genügend gepriesenen ersten halben Stunde reicht es noch für 7 Punkte.

Ich hoffe, daß die für 2010 geplante Fortsetzung - in der diesmal Sammo Hung selbst die Rolle von Yip Mans Haupt-Antagonisten übernehmen wird - mehr aus ihren Möglichkeiten macht. Und in einem eventuellen dritten Teil würde dann wohl auch der Teil aus Yip Mans Biographie thematisiert, der allgemein am meisten interessieren dürfte: Denn Yip Man war der Lehrmeister von Bruce Lee! Bislang konnten sich die Filmemacher allerdings noch nicht mit dessen Erben über die juristischen und finanziellen Details einigen ...