Fragt man unter Spielern des Rollenspielsystems "Das Schwarze Auge", welches die gro�en Werke unter den DSA-Romanen sind (und zwar sowohl im Sinne von gro�artig wie volumin�s), so werden vor allem jene vier genannt: "Das Jahr des Greifen" von Wolfgang Hohlbein und Bernhard Hennen, "Drei N�chte in Fasar" von Bernhard Hennen, "K�nig Dajins Leben" von Karl-Heinz Witzko - und "Das zerbrochene Rad" von Ulrich Kiesow.

Mit letzterem ist eine traurige Geschichte verbunden: Zwei Tage, nachdem er das Buch fertiggestellt hatte, verstarb DSA-Sch�pfer Ulrich Kiesow. So kann der Titel (welcher urspr�nglich "Wenn das Rad zerbricht" gelautet hatte) durchaus als Anspielung auf die Realit�t verstanden werden. Schlie�lich symbolisiert das zerbrochene Rad in Aventurien den Tod...

Der Roman spielt zwischen Phex 1019 und Praios 1021 nach Bosparans Fall (also 26 bis 28 Hal) im Bornland, in Tobrien und Weiden mit gelegentlichen Schwenks nach Maraskan. Er berichtet, welchen Schatten die R�ckkehr Borbarads auf den Nordosten Aventuriens wirft.

Den gro�en Rahmen bilden drei wichtige Schlachten der Borbaradkrise. Die alles entscheidende Schlacht an der Trollpforte, auch bekannt als Dritte D�monenschlacht, ist jedoch nicht dabei. Da die Schlacht bei Eslamsbr�ck (alternativer Name: "Blutige Tobimora"), die Schlacht bei Ochs und Eiche und schlie�lich die Schlacht auf den Vallusanischen Weiden aus der Sicht einzelner Personen geschildert werden, die unmittelbar ins Kampfget�mmel verwickelt sind, bekommt der Leser keinen direkten Gesamt�berblick. Um dieses Manko zu beheben, ist im Anhang eine Schlachten�bersicht inklusive Auflistung der Truppen und Verlaufspl�nen enthalten. Diese Herangehensweise kann nur als vorbildlich bezeichnet werden f�r Fantasyromane, die �hnlich gro�e K�mpfe erz�hlen.

Die �ber 1000 Seiten starke Handlung teilt sich in mehrere Haupt- und Nebenstr�nge auf: Graf Uriel von Notmark hat sich mit dem D�monenmeister verb�ndet und sammelt Truppen, um das Bornland zu unterwerfen. Als neuer Ratgeber dient ihm der unheimliche Magier Mengbillar. Au�erdem zieht er benachbarte Adlige mit Rede, Bestechung und Gewalt auf seine Seite. Seine �rgste Gegnerin ist die Gr�fin Thesia Jadvige von Ilmenstein, die ihrerseits K�mpfer und Verb�ndte um sich schart. Die undurchschaubare Magierin Nahema ai Tamerlain spannt Stane ter Siveling f�r ihre Zwecke ein und zwischenzeitlich auch seine Frau Tjeika von Notmark, Adelsmarschallin des Bornlandes. Sp�ter in der Geschichte treten noch weitere Prominente in Form von Hochadel und Milit�r des Mittelreiches auf. Viel h�ufiger wird das Geschehen jedoch aus dem Blickwinkel einfacher Leute geschildert, die gr��tenteils aus dem Dorf Geestwindskoje nahe der tobrischen Grenze stammen. Wer Ulrich Kiesows Buch "Der Scharlatan" gelesen hat, der wird diesen Ortsnamen bereits kennen. Tats�chlich gibt es ein Wiedersehen mit dem Grafin Arvid von Geestwindskoje, der ehemaligen Magd Algunde, der fr�heren Ferdoker Lanzerin Selissa von Jergenquell und dem Illusionsmagier Gerion Rottnagel. Dazu kommt noch die junge S�ldnerin Thesia Gilia, Erbe der Amazonenk�nigin von Kurkum, sowie eine D�chsin namens Grimbart, die unter den Misa-Auen lebt. So unglaublich es klingen mag, aber all diese F�den laufen nach und nach zusammen.

Beachtlich, zu wie vielen anderen Werken aus der Welt des Schwarzen Auges ein Zusammenhang besteht. Das Buch "Der Scharlatan" sollte man unbedingt vor dem zerbrochenen Rad lesen. "Steppenwind" von Niels Gaul erz�hlt, was gleichzeitig rund um Bjaldorn geschieht. Chronologisch passt es am besten, dieses Buch zwischen den beiden Teilen "D�mmerung" und "Nacht" einzuschieben. Selbst zu Ulrich Kiesows Erstlingswerk "Die Gabe der Amazonen" gibt es eine Verbindung: Das Schicksal des Ich-Erz�hlers Arve vom Arvepass kommt vor, au�erdem wird das der Amazonenk�nigin Yppolita von Kurkum erw�hnt, die Thesia Gilias Mutter ist. Angedeutet werden au�erdem noch Inhalte des Abenteuers "Der Zorn des B�ren".

Mehrere Lieder und eine Sage sind geschickt mit der Handlung verwoben. Das Titelbild zeigt Thesia von Ilmenstein. Wer die auf den R�cken geschnallten Fl�gel, die z.B. auch auf der Illustration f�r die Bornland-Box "Rauhes Land im hohen Norden" zu sehen sind, f�r unrealistisch h�lt, der irrt: So etwas wurde etwa von den polnischen Fl�gelhusaren getragen.

Das zerbrochene Rad ist urspr�nglich 1997 als ein gro�es gebundenes Buch erschienen. Sp�ter wurde es innerhalb der DSA-Romanreihe von Heyne in besagten zwei Teilen als Taschenbuch wiederver�ffentlicht. Der Inhalt ist derselbe, einzig in optischer Hinsicht macht die Originalausgabe etwas mehr her.

Der DSA-Roman wird von vielen als "Ulrich Kiesows Verm�chtnis" bezeichnet. Der Umfang des Buches und die Tatsache, dass es das letzte ist, was der geistige Vater Aventuriens so kurz vor seinem viel zu fr�hen Tod beendet hat, legen das nahe. So steht es auch im Innenteil der gebundenen Ausgabe. Dennoch wage ich zu behaupten: "Das zerbrochene Rad" ist ein Klassiker, aber kein Meisterwerk. Nat�rlich handelt es sich um ein bedeutendes Werk f�r das Schwarze Auge, aber der Versuch, es in seiner Wichtigkeit und Brillanz als aventurisches Pendant zu J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" einzuordnen, ist zum Scheitern verurteilt. Daf�r enth�lt es einfach zu viele erz�hlerische M�ngel und Schw�chen bei der Gestaltung der Figuren.

1. Die Haupthelden sind weder realistisch noch Sympathietr�ger. Am besten l��t sich das an Thesia von Ilmenstein festmachen. Ihre Darstellung taugt schlichtergreifend nicht, um mit ihr mitzufiebern. Stattdessen nervt sie �ber weite Strecken, denn sie ist einfach in jeder Hinsicht super und stellt damit jeden anderen Charakter grunds�tzlich in den Schatten:

Sie sieht umwerfend aus, ist einer der zehn besten Fechter des gesamten Kontinents, hat eine exotische Geliebte und verf�gt trotz ihres Grafentitels ausgerechnet im konservativen Bornland �ber v�llig moderne Ansichten, was die St�nde betrifft. Dazu kommt ein "aufgekl�rter" G�tterglaube, der bei den Lesern wohl Sympathie erheischen soll, sich allerdings kaum mit dem traditionellen Zw�lfg�tterglauben vereinbaren l��t. Dar�ber hinaus ist sie gut zu Goblins, anstatt die Rotpelze wie jeder andere normale Aventurier zu verachten.

Spannung und �berraschung nimmt sie aus der Geschichte, weil sie wie ein moralischer Nordpol wirkt, an dem sich alles ausrichten l��t: Sie wird von allen Guten gemocht, von allen B�sen gehasst und von allen Hilflosen bewundert. Wenn sie etwas macht, dann ist das nat�rlich richtig. Ihre Idee, bereits fr�hzeitig Soldaten zu sammeln, ohne dass sie einen handfesten Beweis oder einen konkreten Grund f�r dessen Notwendigkeit vorweisen kann, erweist sich nicht nur sp�ter als rettend f�rs Bornland, sondern wird auch ohne gr��ere Diskussion befolgt, obwohl die bornl�ndischen Bronnjaren doch so stolz auf ihre Unabh�ngigkeit sein sollen.

Was f�r eine tolle Person sie ist, merkt man zudem daran, dass sie eine Freundin von Nahema ai Tamerlein und der Amazonenk�nigin Yppolita von Kurkum ist. Letztere benennt sogar ihre eigene Tochter nach Thesia.

Warum sollte man in einem DSA-Roman etwas durchgehen lassen, was schon in zweitklassigen Action- und Fantasyfilmen die Handlung sp�rbar verflachen l��t? So einseitig gute Figuren zerst�ren den fantastischen Realismus, der doch immer als DSA-Aush�ngeschild gepriesen und bei den Nebenfiguren angestrebt wurde.

Nahema ai Tamerlein dient als weiteres bew�hrtes Mittel, um den Ausgang von Konflikten und Intrigen vorhersehbar zu machen. Egal, wie undurchschaubar ihre Pl�ne scheinen m�gen - sie wei� stets, was sie tut, und das ist nat�rlich immer wichtig. Jeder Sterbliche, der sich mit ihr anlegt, verliert automatisch - und wird dazu noch l�cherlich gemacht.

Thesia Gilia von Kurkum geht einem ebenfalls sehr schnell schwer auf die Nerven. Klar, wenn man von einem Elfen verlassen worden ist, l��t einen der Liebeskummer schon dumme Dinge sagen. Wie sie aber in Selbstmitleid ertrinkt und stets die ihr zugedachte Rolle ablehnt, obwohl es jeder gut mit ihr meint und ihr keiner Vorw�rfe wegen ihrer Verantwortlungslosigkeit macht, das tut schon weh.

Zwei der Hauptpersonen, die bereits aus dem Roman "Der Scharlatan" bekannt sind, wirken sehr unglaubw�rdig. Algunde, die fr�her eine �ngstliche und ein wenig einf�ltige Magd war, ist pl�tzlich eine reife, charismatische Pers�nlichkeit geworden. Graf Arvid hat es nicht nur seiner ehemaligen Verlobten verziehen, dass sie ihn wegen eines deutlich �lteren, herumstreunenden Magiers verlassen hat, sondern nimmt auch gutm�tig die Untreue seiner Ehefrau hin. Wahrscheinlicher w�re doch, dass er sie im Zorn erschl�gt oder in Schimpf und Schande davonjagt. Es geht immerhin um einen bornl�ndischen Grafen! Die Herrscher im Bornland sind schlie�lich stolz und deutlich unabh�ngiger als die Adligen im Mittelreich. Wer w�rde da den Prestige- und Autorit�tsverlust akzeptieren, wenn er von einem Bauernjungen H�rner aufgesetzt bekommt? Ebenso seltsam erscheint es, dass er eine - nach aventurischem Recht - gerechte Strafe aussetzt und stattdessen seinen Rechtsvollstrecker entl��t. Normalerweise m�ssten danach die edlen wie die einfachen Menschen hinter seinem R�cken tuscheln, dass er seine Leute nicht im Griff hat, weil er zu nachsichtig und milde handelt.

2. Die B�sen bleiben blass. Ein gut gezeichneter Schurke kann so manche Geschichte erst richtig interessant machen - hier wurde diese Chance vertan. Uriel von Notmark ist h�sslich, machtversessen, plump und brutal, wobei keine Erkl�rung geliefert wird, warum man einen so offensichtlich b�sen Grafen, der selbst vor Mord und Verrat unter seinesgleichen nicht zur�ckschreckt, nicht schon l�ngst abgesetzt oder zumindest isoliert hat. Nat�rlich sammelt er um sich nicht etwa nur Borbaradianer, sondern b�se S�ldner, b�se Magier, b�se Orks und b�se Goblins - Hauptsache, diese sind alle fies und absto�end und somit sofort als b�se zu erkennen.

Eindimensional bleibt auch der Magier Mengbillar, dessen Name bereits selten d�mlich gew�hlt ist - und das ausgerechnet von Borbarad selbst! Man h�tte dem Bethanier doch etwas mehr Rafinesse zugetraut. Dazu ver�ndert sich die Rolle des Magiers schlagartig zwischen den beiden Teilen des Romans: War er zun�chst ein �u�erst m�chtiger, unheimlicherer Einfl�sterer, verkommt er sp�ter zu einer kl�glichen Figur, die nichts richtig hinbekommt und die von niemandem f�r voll genommen wird.

Besonders unangenehm fallen die beiden Figuren Tjeika von Notmark und Stane ter Siveling auf. Hatte man ihnen als Held im Abenteuer "Stromaufw�rts" noch helfen m�ssen, so sind sie pl�tzlich zu v�lligen Karrikaturen verkommen: Tjeika ist nicht mehr eine schlank und sch�n, sondern fett und intrigant. Stane ist nicht mehr sch�chtern, sondern einf�ltig und gierig. Warum diese Figuren pl�tzlich so stark ver�ndert wurden, dar�ber ranken sich Ger�chte. Da jedoch nicht mehr alle beteiligten Personen darum gebeten werden k�nnen, ihre Version der Geschichte darzustellen, soll darauf hier nicht weiter eingegangen werden.

3. Es geht zu oft unter die G�rtellinie. Keine Frage: Wenn man schildert, wie sich Leute umbringen, kann man auch beschreiben, wie sie sich k�rperlich lieben. (Ja, nicht dieselben bzw. nicht gleichzeitig!) Wenn aber jede Gelegenheit f�r solche Szenen genutzt wird, dann ist mir das einfach zu viel des Guten! Nicht genug damit, dass die Helden in einer Art Dauerbrunftzeit zu verweilen scheinen, auch die D�monen und ihre K�rper werden in allen Einzelheiten beschrieben.

Eine andere Schattenseite ist noch mehr Geschmackssache und an die pers�nlichen Erwartungen an eine gute Fantasygeschichte gebunden. Die Guten erringen am Ende (welches nicht mehr in diesem Buch beschrieben wird) keinen echten Sieg. Stattdessen bleiben die Paktierer zur�ck und errichten ganze Reiche, die jahrelang unter ihrer Knute stehen. Man wollte damit wohl Horror in Aventurien etablieren. Nun ist es sicher vertretbar, dass bei einer epochalen Schlacht viele liebgewonnene Figuren abtreten. Irgendwann h�tten sie aus Altersgr�nden ohnehin sterben m�ssen, und was w�re besser als ein heldenhafter Abgang? Die mit der Borbaradkrise verbundenen �nderungen gefallen mir jedoch nicht. Fr�her waren D�monen Wesen einer anderen Sph�re, die ein guter wie b�ser Magier rufen konnte. Jetzt gibt es in den Regelwerken auf Dutzenden von Seiten detaillierte Beschreibungen, klar definierte D�monenhierarchien und vor allem die Feststellung, dass nur noch b�se Leute D�monen beschw�ren. In der Box "Die Kreaturen des Schwarzen Auges" von 1989 wurde noch davor gewarnt, f�r das Spiel allzu m�chtige Gegner zu schaffen, weil diese das Gef�ge der Welt zerst�ren w�rden. Dieser Gedanke scheint mir mit der �berbetonung der D�monen und den dauerhaft widernat�rlichen Reichen v�llig verloren gegangen zu sein.

Ulrich Kiesow war ein Meister darin, die Sichtweise verschiedener Personen und eine einzelne Situation zu schildern. Beim Versuch, eine Geschichte von gr��eren Ausma�en zu stemmen, verzettelt er sich jedoch beim gro�en Ganzen. Wenn man sich die M�he macht und die Zeitangaben vergleicht, die zur Reise von Thesia von Ilmenstein gemacht werden, so stellt man fest, dass diese nie und nimmer unter einen Hut zu bringen sind.

Dennoch scheint dem Buch ein Zauber innezuwohnen. Es ist einfach unheimlich gut zu lesen. Dieser Autor h�tte selbst das einfache Leben auf einer Blumenwiese im Wechsel der Jahreszeiten so schildern k�nnen, dass es interessant gewesen w�re. Trotz aller Kritikpunkte lohnt es sich also, "Das zerbrochene Rad" zu lesen.


Zum Vergleich: die Rezension von Ragnar Schwefel - eine der wenigen Besprechungen, in denen auch Kritikpunkte vorkommen
http://www.alveran.org/index.php?id=162&publikationID=239

Das zerbrochene Rad als H�rspiel beim Horchpostenverlag (mit H�rproben):
http://www.horchposten.de/hoerbuecher/index.php?id=2
http://www.horchposten.de/hoerbuecher/index.php?id=3

P.S.: Hier wurde die These ge�u�ert, die gebundene Originalausgabe sei nicht mehr oder nur zu horrenden Preisen erh�ltlich. Ich habe es daraufhin selbst probiert und in weniger als einer halben Stunde geschafft, ein sehr gut erhaltenes Exemplar f�r weniger als den Originalpreis zu bekommen. Nat�rlich mag dieser Wissensstand bald wieder �berholt sein. Dennoch biete ich jedem Forumsmitglied an, via private Nachrichten meine Methode zu verraten (die allerdings, nebenbei bemerkt, ganz unspektakul�r ist und kein Expertenwissen ben�tigt).


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