Ich persönlich habe nicht den Eindruck, daß depressive Menschen in der Gesellschaft mehr "geächtet" werden als Alkoholiker. Vielmehr finde ich, daß es heutzutage immer mehr anerkannt wird, daß Depression ein Krankheit ist. Natürlich spricht man nicht darüber, wie wenn man über einen normalen Schnupfen spricht, aber man spricht auch sehr oft in der Öffentlichkeit über Hämorrhoiden z.B. - in vielen Fällen aus falscher Scham, das stimmt natürlich, aber in vielen Fällen auch, weil es eine private Angelegenheit ist.

Mit anderen Worten: Eine Krankheit ist in erster Linie eine private Angelegenheit, die man vielleicht mit seiner Familie bespricht, aber nicht mit jedem beliebigen Nachbarn z.B. Daher glaube ich nicht, daß Robert Enkes Erkrankung viel zu einer Änderung der gesellschaftlichen Akzeptanz beitragen wird.

Wie ich überhaupt meine Probleme damit habe, daß nun viele vehement fordern, daß gerade im Sport, aber auch generell mehr Hilfe geleistet werden soll... mehr Möglichkeiten der Therapie gegeben werden sollen... mehr auf Symptome geachtet werden soll, damit man frühzeitig Erkrankungen feststellst. Nur: Robert Enke war in Behandlung. Sie hat bei ihm leider nicht gefruchtet, aus welchen Gründen auch immer. Nahezu jeder, der mit ihm zu tun hatte, gibt zu Protokoll, daß ihm überhaupt nichts anzumerken war hinsichtlich seiner Depressionen, geschweige denn von seinen Selbstmordplänen. Das Einzige, was einen hätte stutzig machen können, wäre evtl. eine allgemeine Emotionslosigkeit gewesen, die der eine oder andere jetzt im Nachhinein bemerkt.

Die eine Lektion, die man aus Enkes Tod meiner Meinung nach ziehen kann, ist die, daß eine Depression unter Umständen und nicht richtig behandelt schwerwiegende Folgen mit sich bringen kann. Und der Adressat dieser Lektion ist jeder, der an einer Depression leidet oder jetzt evtl. mehr auf Symptome achtet und von sich früher erkennt, daß etwas mit ihm nicht stimmt. Der Effekt auf die "gesunde" Gesellschaft wird, so denke ich, innerhalb weniger Monate verpufft sein.


Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"