Ohne das jetzt böse zu meinen, aber wenn du von einem Betroffenen erwartest, dass er selber besser auf sich achten kann, wo es ein Symtom der Krankheit ist den objektiven Bezug zu sich und der Umwelt zu verlieren, dann erwartest du in vielen Fällen einfach unmögliches und erweckst in mir den Eindruck, nicht besonders gut über das Thema informiert zu sein. Gerade bei einer reaktiven Depressin ist es möglich innerhalb kürzester Zeit die Fähigkeit zu verlieren von sich aus für andere logisch nachvollzihebar zu denken und handeln. Und wer noch nie eine Depression hatte, dem wird es schwer fallen die möglichen Symtome (es gibt da eine ganze Reihe und jede Depression ist ein wenig anders)in den richtigen Zusammenhang zu bringen, gerade weil die Aufklärung gering ist. Andere Depressionsformen äußern sich vorwiegend mit begleitenden körperlichen Krankheitsempfindungen und Symptomen. Da den Zusammenhang zur Psyche zu erkennen, ist oft sogar für Mediziner schwer und braucht Zeit.

Und "die" Depression gibt es so auch nicht. Es gibt eine ganze Reihe von depressiven Erscheinungsformen die für sich, im Zusammenspiel mit anderen Erkrankungen oder als Begleiterscheinungen zu anderen psychsichen oder körperlichen Leiden auftreten. Es gibt dafür organische Ursachen, sie kann als Reaktion auf traumatische Erlebnisse ausbrechen oder durch einen falschen Umgang mit Stress hervorgerufen werden oder, oder, oder...

Und weil es so viele Ursachen gibt und Erscheinungsformen dauert es manchmal seine Zeit, bis man herausfindet was einem Betroffenen wirklich hilft und was die richtige Behandlungsform ist.

Was Alkoholiker betrifft kann ich ja nur auf meine eigenen Beobachtungen zurückgreifen, was Depressionen und andere psychische Krankheiten betrifft kann ich aber als Betroffener (und durch die Krankheit mit vielen anderen betroffenen Schicksalen vertraut) durchaus bestätigen, dass es für die meisten Betroffenen nur den Weg des Versteckens oder des Spießrutenlaufens durch Vorurteile, Ablehung und Unverstehen gibt. Ganz abgesehen davon, dass es vielen Kranken den Weg zum Arzt erschwert, da auch sie mit Vorurteilen ausgestattet sind von Klapsmühlen in denen irre weggeschlossen werden und man selber ist doch kein schwächliher Geisteskranker, fals man den Zustand überhaupt als psychisch erkennt. Selbst praktizierende Psychologen prangern an, dass diese gesellschaftlichen Auswirkungen Hilfe verhinder oder die Behandlung der Kranken erschwert und oft genug auch Betroffenen den Arbeitsplatz, Schulabschluss, die Ausbildung kostet, von den auswirkungen auf private Kontakte mal abgesehen.

Es ist sehr motivierend hilflos zu sein und dann auch noch von anderen niedergemacht oder fallen gelassen zu werden oder, wenn man eh schon kaum weiß wie es weitergeht, auch noch arbeitslos zu werden oder nötige Hilfestellungen nicht in Anspruch nehmen zu dürfen wenn man den Job behalten will. Und als kleines Bonbon verstärkt eine Depression auch noch Ängst, Schlaflosigkeit und Gedankenkreisel. Klar könnte man da sagen, dass man prioritäten setzten muss (was ein schwer Depressiver nicht mehr kann) und das ist auch schon für Gesunde leichter gesagt als umgesetzt wenn es um die finanzielle Existens geht. Es ist auch leicht gesagt, dass es etwas privates ist. Im Gegensatz zu Hämorieden wirkt sich aber eine Depression auf meine Leistungsfähigkeit, meine Konzentrationsfähigkeit, auf meine Zuverlässigkeit, auf mein Erscheinungsbild etc. aus, dass dann durchaus nicht nur privat, sondern spätestens beim Arbeitsplatz, Studium, Schule auch ein gravierendes Thema.

Und was die Forderung nach mehr Hilfe angeht, ich habe keine Ahnung ob dir bekannt ist, dass ein Therapieplatz durchschnittlich Wartezeiten von 6 Monatenhat. Das die Psychatrien überlaufen sind, es zuwenig Plätze gibt. Das die Erforschung der Medikamente noch in den Kinderschuhen steckt, sie bei vielen nicht wirken und es im schlimmsten Falle Jahre dauern kann, bis man das passendes Produkt findet (weil es alleine schon 6 - 8 Wochen dauert bevor sich eine Wirkung zeigt und wenn nicht muss man eben was anderes probieren, es dauert aber noch mal Wochen, bis man ein Produkt abgesetzt hat und dann fängt man wieder mit einem neuen an und wartet Wochen ob es wirkt). Und wenn man Glück hat, hat es dann Nebenwirkungen die erträglich sind und dein Leben nicht strak einschränken oder als kleine Nebenwirkungen noch weitere Medikamente (z. B. zum Schlafen) nötig macht. Immerhin gibt es heute schon viele Produkte, die nicht mehr süchtig machen. Nebenwirkugen, bis hin zu Organschädigungen, gibt es aber noch genug. Und in der Jugendpsychatrie, die eine schwere Erkrankung verhindern oder zumindest eine Krankheitsgeschichte (sowas ist oft nicht mal eben da und geht dann weg, das sind meist wiederkehrende Phasen über Jahre, bevor es geheilt ist und manchmal wird sowas chronisch) positiv beeinflusst, ist es noch schlimmer. Für mich ist das ein untragbarer Zustand. Wenn sich da mal was tut ist es nur zu Begrüßen.

Aber wahrscheinlich erwarte ich wirklich zu viel wenn ich hoffe, dass jetzt mal einige Menschen sich mit der Materie ernsthaft beschäftigen. Das mit dem Verpuffen befürchte ich auch, geschwätzt wird zwar viel aber es bleibt meist oberflächlich und von Unwissen durchzogen, leider, denn mir persönlich würde es das Leben erleichtern.

Originally Posted by elgi
Originally Posted by Ddraigfyre
Ich muss Namara da leider Recht geben. Wer ein Alkoholproblem hat, der "trinkt halt gerne mal einen über den Durst". Diverse körperliche Gebrechen sind kein Makel, sondern eher beliebtes Thema für den Smalltalk. Aber wer an Depressionen leidet, der ist "nicht ganz dicht" oder hat 'ne "Psycho-Macke".

OK, vielleicht habe ich ja ein sehr angenehmes Umfeld, in dem es nicht so viele Arschlöcher gibt wie bei euch. Aber ich kann aus persönlicher Erfahrung mit einigen an Depressionen leidenden Menschen berichten, daß in meinem Umfeld nicht so mit ihnen umgegangen wurde und wird.


Hör ich gern. Bin jedesmal dankbar, wenn ich auf jemanden treffe oder von jemandem höre, der es leichter hatte.

Allerdings wundert es mich dann doppelt, das du zumindest den Eindruck erweckst sehr wenig über das Thema informiert zu sein, wenn du doch persönlich Betroffene kennst. Vielleicht ist das ja auch nicht so, sondern du hast einfach eine andere Sichtweise. Vielleicht ist es aber auch so, jetzt als reine Spekulation, das du wenig Interesse daran hast oder deine Bekannten eben doch nicht völlig offen mit ihrer Krankheit umgehen. Jedenfalls verwundert es mich.

Originally Posted by Ddraigfyre
Ich muss Namara da leider Recht geben. Wer ein Alkoholproblem hat, der "trinkt halt gerne mal einen über den Durst". Diverse körperliche Gebrechen sind kein Makel, sondern eher beliebtes Thema für den Smalltalk. Aber wer an Depressionen leidet, der ist "nicht ganz dicht" oder hat 'ne "Psycho-Macke".


Du hast den Hypochonder und die Mimose vergessen. Dieses nicht ernst genommen werden finde ich immer noch am Schlimsten. Am besten mit so Sprüchen wie: "Dir fehlt es doch an nichts, reiß dich doch einfach mal am Riemen." frown


Last edited by Namara; 16/11/09 03:19 AM.