Originally Posted by Namara
Ohne das jetzt böse zu meinen, aber wenn du von einem Betroffenen erwartest, dass er selber besser auf sich achten kann, wo es ein Symtom der Krankheit ist den objektiven Bezug zu sich und der Umwelt zu verlieren, dann erwartest du in vielen Fällen einfach unmögliches und erweckst in mir den Eindruck, nicht besonders gut über das Thema informiert zu sein.

Das erwarte ich durchaus - in Fällen, in denen es möglich ist. Ich möchte nicht behaupten, daß ich ein Profi im Felde der depressiven Erkrankungen bin. Bisher hatte ich es persönlich mit leichten Formen von Depressionen zu tun - und der erste Schritt bei diesen war, daß sie sich überhaupt bewußt wurden, daß sie depressive Symptome zeigen. Und das meine ich mit dem Erkennen der eigenen Symptome: Wenn man im frühen oder leichten Stadium eher erkennt, daß man krank ist, dürfte die Behandlung leichter fallen, als wenn man in tiefen Depressionen steckt und mit einem Bein schon über der Brüstung steht.

All das, was du sonst beschreibst, mag ja alles sein... aber ich frage mich dennoch, wie der Selbstmord von Robert Enke in den Punkten auf irgendeine Weise helfen soll. Es wäre schlichtweg naiv zu glauben, daß die Menschen noch in 5 Monaten an das Ganze denken... geschweige denn ihre Meinung über Depressionen nachhaltig ändern. Und nur daß habe ich versucht zu vermitteln. Es liegt mir fern, Depressionen über einen Kamm zu scheren, sie zu verharmlosen, die gesellschaftlichen Zwänge in ihrer Gesamtheit zu erklären oder gar mich als Oberversteher der Materie zu gerieren.

Aber dennoch möchte ich festhalten dürfen, daß in MEINEM Umfeld depressive Menschen, die in irgendeinem Stadium ihrer Krankheit sich ihrem (also meinem) Umfeld öffneten, nicht als Verrückte behandelt wurden. Es mag sein, daß das nicht immer und überall der Fall ist, aber wie gesagt: Erstens bezweifle ich es persönlich, daß es da große Unterschiede zwischen z.B. Alkoholismus und Depressionen gibt, und zweitens wird der Tod von Enke nichts daran ändern. Und ja, ich verallgemeinere in gewissem Maße, weil wir nicht über jeden einzelnen Krankheitsfall reden können.


Quote
Und was die Forderung nach mehr Hilfe angeht, ich habe keine Ahnung ob dir bekannt ist, dass ein Therapieplatz durchschnittlich Wartezeiten von 6 Monatenhat. Das die Psychatrien überlaufen sind, es zuwenig Plätze gibt. Das die Erforschung der Medikamente noch in den Kinderschuhen steckt, sie bei vielen nicht wirken und es im schlimmsten Falle Jahre dauern kann, bis man das passendes Produkt findet (weil es alleine schon 6 - 8 Wochen dauert bevor sich eine Wirkung zeigt und wenn nicht muss man eben was anderes probieren, es dauert aber noch mal Wochen, bis man ein Produkt abgesetzt hat und dann fängt man wieder mit einem neuen an und wartet Wochen ob es wirkt). Und wenn man Glück hat, hat es dann Nebenwirkungen die erträglich sind und dein Leben nicht strak einschränken oder als kleine Nebenwirkungen noch weitere Medikamente (z. B. zum Schlafen) nötig macht. Immerhin gibt es heute schon viele Produkte, die nicht mehr süchtig machen. Nebenwirkugen, bis hin zu Organschädigungen, gibt es aber noch genug. Und in der Jugendpsychatrie, die eine schwere Erkrankung verhindern oder zumindest eine Krankheitsgeschichte (sowas ist oft nicht mal eben da und geht dann weg, das sind meist wiederkehrende Phasen über Jahre, bevor es geheilt ist und manchmal wird sowas chronisch) positiv beeinflusst, ist es noch schlimmer. Für mich ist das ein untragbarer Zustand. Wenn sich da mal was tut ist es nur zu Begrüßen.

Auch da magst du ja Recht haben in allem, was du schreibst. Ich habe mich da allerdings auf die Lesart bezogen, daß Robert Enke keinen Selbstmord begangen hätte, wenn es im Sport mehr Therapiemöglichkeiten gegeben hätte... oder gar mehr Sportpsychologen, die noch mehr Leistung aus einem herauskitzeln. Der Mann war in Therapie, da hätte mehr oder weniger Therapie im allgemeinen Sport nicht viel geholfen. Schön natürlich, wenn jetzt mehr allgemeine Hilfe gefordert wird, aber den Menschen sollte man weniger mit pompös zur Schau gestellter Trauer oder vehement geforderter Enttabuisierung ins Gewissen reden, sondern ihnen klar machen, daß Robert Enke lange in Therapie war und am Ende doch Selbstmord begangen hat. Wie gesagt: Die Lehre daraus sollte sein, daß es eine extrem ernsthafte Erkrankung sein kann, mit der man nicht spaßen sollte.


Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"