EISWOLF von Linda Budinger:
Als der Heiler einer von der Hesinde-Geweihten Jettjala und dem Magus Estikan geführten Expedition ins Ewige Eis noch vor dem Aufbruch in Paavi kurzfristig ausfällt, erklärt sich der dort tätige junge Medicus Tjulf Ressken bereit, seinen Platz einzunehmen. Doch hätte er gewußt, was auf ihn und die Expedition zukommen würde, hätte er dies wohl niemals getan - denn bereits kurz nach der Ankunft im Ewigen Eis geht so ziemlich alles schief, was nur irgendwie schiefgehen kann ...
Die beiden ersten DSA-Romane von Linda Budinger - "Der Eiswolf" und die Fortsetzung "Goldener Wolf" - fand ich eher mittelmäßig. "Eiswolf" hat trotz des Titels und des sehr nördlichen Settings überhaupt nichts mit den beiden vorangegangenen Büchern zu tun - und entpuppt sich als echtes Highlight der DSA-Roman-Reihe!
"Eiswolf" setzt sich aus zwei abwechselnd erzählten Handlungssträngen zusammen: In dem einen, mehr oder weniger in der aventurischen Gegenwart spielenden (genau genommen: 1018 BF, also vor der Borbarad-Kampagne), geht es um die angesprochene Expedition (Ähnlichkeiten zum Film "Das Ding aus einer anderen Welt" sind offensichtlich, stören aber nicht). Im zweiten, 800 v. BF spielenden Handlungsstrang, steht die Firnelfensippe der Winterlichter im Mittelpunkt. Manche mögen das Hin- und Herspringen zwischen Storylines und Zeiten ja nicht sonderlich, aber meines Erachtens funktioniert es hier einwandfrei. Zu Beginn des Buches fand ich die Expeditions-Handlung interessanter, später dann die Elfenhandlung (zumal sich die Expeditionsstory im Mittelteil vorübergehend ein wenig in die Länge zieht), aber beide wissen stets zu unterhalten und zu fesseln.
Da ich auf die konkrete Handlung aufgrund hoher Spoilergefahr nicht näher eingehen will, sei gesagt: "Eiswolf" ist im Grunde genommen ein klassischer Survival-Horror-Roman! Und Budinger schöpft das Potential dieses Subgenres voll aus, indem sie eine beachtliche Anzahl von Personen einführt, die nach und nach dezimiert werden. Erstaunlich ist dabei, wie viele dieser Charaktere Budinger dem Leser nahebringt - wenngleich nur die Hauptfiguren wirklich Tiefe besitzen. Aber natürlich kommen bei mehr als zwei Dutzend Personen auch einige zu kurz und bleiben für den Leser austauschbar. Insofern ist die enthaltene Dramatis Personae natürlich sehr hilfreich, dennoch wäre es nett gewesen, im eigentlichen Text etwas häufiger mehr als nur den Namen der betreffenden Personen zu nennen (also etwa zusätzlich den "Beruf"). Aber in der zweiten Buchhälfte fällt dieser kleine Kritikpunkt dann sowieso nicht mehr ins Gewicht.
Die Geschehnisse selbst werden von der Autorin sehr überzeugend und spannend geschildert. Zwar finde ich die Handlungsweisen einzelner Charaktere etwas zu extrem und damit nicht völlig glaubwürdig, aber das ist wohl vor allem eine subjektive Einschätzung, die nicht jeder teilen wird.
Ähnlich ist es damit, daß man als Leser den handelnden Figuren meist einen kleinen Schritt voraus ist - zumindest mir ging es so. Allerdings haben die Charaktere ihren kleinen diesbezüglichen Rückstand stets schnell ausgeglichen, weshalb auch dieser Kritikpunkt nur minimal ist.
Athmosphärisch ist die (mitunter nicht gerade zimperliche) Erzählweise jedenfalls allemal, emotional packend ebenfalls und vor allem auch von hoher aventurischer Detailtreue und Authentizität. Was für Nicht-DSA-Kenner allerdings ein Problem sein könnte, zumal das Glossar der aventurischen Begriffe leider unvollständig ist (v.a. fehlen etliche Elfenwörter). Ich will es mal so formulieren: Wer Bernhard Hennens legendäre Phileasson-Kampagne sowie das PC-Spiel "Schatten über Riva" gespielt hat, wird "Eiswolf" sicherlich noch mehr genießen können!

Fazit: "Eiswolf" ist ein richtig guter, kunstvoll (und keineswegs unglaubwürdig) durchkonstruierter DSA-Roman, der vor allem Freunde des gepflegten Grusels begeistern dürfte, denen auch ein bemerkenswert hoher "Body Count" nichts ausmacht. Aber keine Sorge, es handelt sich natürlich nicht um einen richtigen Horror-Roman - die Schilderungen sind nicht allzu plastisch, auch zartere Gemüter sollten damit zurechtkommen. Nur wer wirklich überhaupt nichts mit Gescichten dieser Art anfangen kann, sollte man einen Bogen um dieses Buch machen.
Allen anderen sei "Eiswolf" sehr empfohlen. Note 2+.
