IM SCHATTEN DER DORNROSE von Bernard Craw:
Vor ein paar Jahren: Während sich das zwölfgöttertreue Aranien und das dämonische Moghulat Oron erbittert bekriegen, steht das kleine, neutrale Beyrounat Gwerrat zwischen den Fronten. Zwar wird es von einem mächtigen Dschinn beschützt, doch im Zweifelsfalle könnte dieser wohl kaum die aranische oder oronische Streitmacht aufhalten. Also soll die Verheiratung des Erbprinzen Rengun entscheiden, zu welcher Seite Gwerrat künftig halten wird. Da beide Parteien großes Interesse am strategisch günstig gelegenen Gwerrat haben, werden Delegationen in das Beyrounat geschickt, die Rengun eine Braut aus ihrem Land schmackhaft machen sollen. Doch während die aranische Auswahl von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt, hat Oron nur eine einzige Vertreterin geschickt, die übermenschlich schöne und mysteriöse Layla. Sie fordert Rengun auf, unter ihrem Schutz mit nach Oron zu reisen, um dort die für ihn auserkorene zukünftige Braut kennenzulernen - und dabei auch die Vorzüge des Moghulats, das der Herrin der Blutigen Ekstase huldigt ...
Bereits bei Craws erstem DSA-Roman "Todesstille" hatte mich der Stil des Autors an den von H.P. Lovecraft erinnert. "Im Schatten der Dornrose" festigt diesen Eindruck. In der Tat ist die wohl größte Leistung dieses Romans, daß es Craw gelingt, die Athmosphäre des grausamen Moghulats überzeugend rüberzubringen, indem man sich im ständigen Gefühl einer nicht wirklich greifbaren Gefahr befindet. Irgendwie hat mich das sehr an Hans Zimmers grandios eingesetztes Ein-Ton-"Joker"-Thema in "The Dark Knight" erinnert. Das beklemmende Panik-Gefühl läßt den Leser kaum einmal los, stets erwartet man, daß auf den nächsten Seiten etwas Schlimmes passiert.
Ja, das erinnert tatsächlich wiederum sehr an Lovecraft und speziell Geschichten von ihm wie "Stadt ohne Namen". Dafür also großes Lob.
Leider krankt das Werk dafür an einigen anderen Stellen. Gerade im Vergleich zum wirklich guten "Todesstille" muß ich konstatieren, daß sowohl Charaktere als auch Handlung hier deutlich schwächer ausfallen. Bei den Charakteren liegt es wohl vor allem daran, daß zu viele Hauptfiguren existieren, aus deren wechselnder Perspektive die Story mehr oder weniger gleichberechtigt erzählt wird. Das funktioniert nicht wirklich, zumindest bei mir konnte kein einziger dieser Charaktere allzu großen Eindruck hinterlassen oder gar eine emotionale Verbindung zum Leser aufbauen, zudem gibt es immer wieder für den Leser nur schwer nachvollziehbare Handlungsweisen. In Verbindung mit einer Handlung, die beinahe wie ein (sehr düsteres) Road-Movie funktioniert, aber inhaltlich relativ dicht an der Oberfläche bleibt und zum Schluß auch noch mit einem Twist nervt, dem das Kunststück gelingt, gleichzeitig vorsehbar und klischeehaft, aber auch relativ unglaubwürdig, da schlecht vorbereitet zu sein, ist das nicht gut.
Somit wäre "Im Schatten der Dornrose" insgesamt ein durchschnittlicher DSA-Roman, über den man nicht mehr viele Worte verlieren müßte.
Eigentlich.
Denn wie ein Blick zu den Leserbewertungen bei alveran.org zeigt, scheinen Craws Beschreibungen der Grausamkeiten von Oron die Leserschaft zu spalten. Auf der Übersichtsseite gibt es momentan drei Bewertungen - zweimal 0 Punkte, einmal 3! Und diese Bewertungen beziehen sich vor allem auf die Darstellung "sexueller Perversionen", die angeblich sogar jugendgefährdend seien! Nunja, im dazugehörigen Forum wird das ganze differenzierter gesehen, es gibt auch etliche positive Bewertungen des Buches und viele sind der Meinung, daß die Empörung einzelner deutlich übertrieben ist. Ich teile diese Meinung.
Zwar ist einiges von dem, was Craw beschreibt, schon ziemlich heftig - allerdings geht er dabei nie allzu sehr ins Detail, sondern beläßt es meist bei Andeutungen. Der Rest bleibt der Phantasie überlassen. Nunja, ich kann schon trotzdem verstehen, daß etliche DSA-Fans mit solch einer Handlung absolut nichts anfangen können (und sich deshalb nicht zu Unrecht auch über den Klappentext des Romans beschweren, der nur sehr andeutungsweise auf den Inhalt vorbereitet) - ein Skandal ist "Im Schatten der Dornrose" aber mit Sicherheit NICHT. Es geht nunmal um ein Land, dessen Bewohner Belkelel dienen, der Erzdämonin und Gegenspielerin Rahjas, der "Herrin der Blutigen Ekstase". Eine Beschreibung dieses Ortes kann niemals glaubwürdig sein, wenn sie nicht drastisch ausfällt! Als DSA-Spieler muß man das eigentlich wissen und ich wage zu bezweifeln, daß viele Nicht-DSA-Kenner die Romane lesen ...
Zudem: Wer schon mal Horrorfilme wie "Evil Dead" gesehen hat (ganz zu schweigen von "Hostel" und ähnlichem), der wird von "Im Schatten der Dornrose" kaum schockiert werden können.
Im Grunde war "Todesstille" außerdem in der Schilderung einiger Tötungsszenen weit drastischer als "Im Schatten der Dornrose", aber offenbar sind für manche "sexuelle Perversionen" ein viel roteres Tuch als rein "gewalttätige Perversionen". Hängt vielleicht mit der Erziehung zusammen, wer weiß? Übrigens ist der Autor des Buches Katholik, das sei nur am Rande erwähnt.

Fazit: "Im Schatten der Dornrose" ist ein vor allem vom Setting her ungewöhnliches und interessantes Buch, das von der bedrohlichen Atmosphäre lebt, die der Autor kunstvoll geschaffen hat, aber zugleich unter zu schwach entwickelten Charakteren und einer mittelmäßigen Handlung leidet. Note 3+.
P.S.: Achja, eines kann ich aber mit Sicherheit sagen: Für Alrik ist dieser DSA-Roman definitiv NICHT geeignet!