AGORA - DIE SÄULEN DES HIMMELS:

Alexandria, um 400 n.C.: Das römische Weltreich ist im Untergang begriffen und auch in der entfernten Provinz Alexandria spürt man die Auswirkungen: Anhänger der alten Götter, Juden und Christen kämpfen erbittert um die Seelen der Menschen und vor allem über die weltliche Macht. Die römischen Truppen sorgen zwar mühsam noch einigermaßen für Ordnung, doch schwindet der Einfluß Roms zusehends. Inmitten dieses politischen wie vor allem religiösen Chaos lebt und lehrt die angesehene atheistische Philosophin und Astronomin Hypatia (Rachel Weisz) und bemüht sich dabei auch, ihren Schülern eine pazifistische Gesinnung zu vermitteln. Doch je stärker der Einfluß der Christen wird, desto schwieriger wird Hypatias Stellung - schließlich ist sie eine Frau, und Gott sagt: Kein Mann darf auf eine Frau hören. Behauptet zumindest der fanatische Bischof Kyrill (Sami Samir) ...

Der Spanier Alejandro Amenábar hat sich in den letzten 15 Jahren als in vielen Genres bewanderter Top-Regisseur (und -Drehbuch-Autor) etabliert. Ob der atmosphärische Horror-Thriller "Thesis", das hypnotische Verwirrspiel "Öffne die Augen" (Vorlage des Hollywood-Films "Vanilla Sky"), der subtile Gruselfilm "The Others" oder das bewegende Sterbehilfe-Drama "Das Meer in mir" - der Name Amenábar steht für Qualität! Diesmal versucht er sich an einem antiken Drama mit einer Botschaft und zahlreichen Anspielungen auf die Gegenwart. Und triumphiert!

"Agora" ist im Grunde genommen ein Film über die Dummheit der Menschen. Konkret ist er ein Testament gegen jeglichen religiösen Fanatismus, aber angesichts dessen unausrottbarer Langlebigkeit dürfte das in etwa auf das Gleiche hinauslaufen. Dabei verwendet Amenábar die real existierende Hypatia - über deren genaues Wirken heute allerdings nur wenig bekannt ist - als Zentrum der Geschichte, als Identifikationsfigur des (hoffentlich) aufgeklärten Zuschauers, die wie Don Quijote gegen jeglichen kriegerischen religiösen Wahn ankämpft ... ebenso verbissen und ausdauernd wie vergeblich. Dennoch wird sie nicht als Superheldin skizziert, sondern als zwar weise und mutige, aber keineswegs makellose Frau (wie sich vor allem gelegentlich in ihrem Verhalten gegenüber ihren Sklaven zeigt) und Wissenschaftlerin.
Überhaupt ist es die Charakterzeichnung, die mich an "Agora" besonders begeistert hat: In den gut zwei Stunden Laufzeit wird nur Hypatia lebensnah und authentisch präsentiert, sondern auch ihre Schüler Orestes (Oscar Isaac) und Synesius (Rupert Evans aus "Hellboy"), die beide eine glaubwürdige Charakterwandlung durchlaufen und später wichtige Machtpositionen bekleiden. Man mag vielleicht kritisieren, daß die Fanatiker wie Bischof Kyrill oder sein Helfershelfer Ammonius etwas klischeehaft rüberkommen, aber mal ehrlich: Die Existenz von Fanatikern ist nunmal bedauerliches Fakt und die kann man kaum sympathisch erscheinen lassen ... außerdem gibt es mit Hypatias ehemaligem Sklaven Davus auch auf dieser Seite eine Figur, die nicht einfach nur *böse* ist.

Aber um das noch mal zu betonen: Es geht in "Agora" keineswegs um "Christen-Bashing" (auch wenn das dem Film mit Sicherheit von gewissen Seiten unterstellt werden wird ...), denn auch die Juden und die "Heiden" werden alles andere als positiv gezeigt. Es geht eben tatsächlich um jegliche religiöse Fanatiker oder sogar ganz generell um jegliche Fanatiker. Und da die Christen damals als "Sieger" aus dem Konflikt hervorgingen, kommen sie auch am schlechtesten Weg (was dennoch gerade für einen spanischen Film bemerkenswert ist!). Was vor allem an der selbstgerechten Arroganz ihrer Wortführer liegt und daran, daß sie mit hinterlistiger Wortverdreherei und dem steten Zusatz "so steht es in der Bibel geschrieben!" ihren Widersachern keinerlei Chance geben, egal wie redegewandt diese auch sein mögen.

Kommt das irgendjemandem bekannt vor? Nunja, wie gesagt: Die Parallelen zur heutigen Zeit sind unübersehbar, was auch und gerade in der (ebenfalls tatsächlich geschehenen) barbarischen Zerstörung der weltberühmten Bibliothek von Alexandria samt "heidnischer" Götterbilder durch einen fanatisierten, hirnlosen Christen-Pöbel deutlich wird, der unweigerlich an die Zerstörung der Buddha-Statuen in Afghanistan durch die Taliban gemahnt - und mich auch heute noch unglaublich wütend macht! mad

Obwohl das Budget von "Agora" natürlich nicht an Hollywood-Verhältnisse herankommt, wirkt die aufwendige Wiederauferstehung der Antike insgesamt sehr überzeugend (auch wenn einige Panorama-Aufnahmen á la "Gladiator" bei weitem nicht an dessen Qualität herankommen), was ebenso auf die schauspielerischen Leistungen zutrifft. Vor allem natürlich die von Rachel Weisz, der es gelingt, Hypatia nicht nur als Friedenskämpferin zu zeigen, sondern in etlichen überraschend ausführlichen Szenen auch als bemerkenswerte Wissenschaftlerin. Dazu gibt es einen schönen Soundtrack von OSCAR-Gewinner (für "Abbitte") Dario Marianelli.

Fazit: "Agora - Die Säulen des Himmels" ist objektiv betrachtet sicherlich kein perfekter Film - aber es gelingt ihm, bei mir genau die richtigen emotionalen Knöpfe zu drücken. Es gibt sicherlich viele Menschen, die den Film zu belehrend finden werden oder zu "anti-religiös" (obwohl er wie gesagt nur "anti-fanatisch" ist) und dem durchschnittlichen Hollywood-Historien-Spektakel-Zuschauer wird er vermutlich einfach zu dialoglastig und daher "langweilig" sein - aber für mich ist er ein kleines Meisterwerk, dessen Botschaft ich zu 100% unterstütze.
10 Punkte (erstmals seit 2008!). up

P.S.: Bei Wikipedia kann man einiges Interessantes zur realen Hypatia lesen (Spoilerwarnung! wink ):
Hypatia von Alexandria
P.P.S.: Achja, der reale Bischof Kyrill wurde übrigens nach seinem Tod von der katholischen Kirche heiliggesprochen ...

Last edited by Ralf; 16/03/10 11:12 AM.