DRAKENSANG - AM FLUSS DER ZEIT:Als ich das "Drakensang"-Prequel "Am Fluß der Zeit" begann, ging ich mit nur verhaltenem Optimismus an das Spiel heran - eigentlich ungewöhnlich angesichts der Tatsache, daß ich den ersten Teil trotz seiner Mängel sehr mochte und von der Fortsetzung natürlich noch eine Steigerung erwartete. Doch ich hatte zuvor "Mass Effect 2" beendet und war von dessen Brillanz noch so begeistert, daß ich befürchtete, "Am Fluß der Zeit" würde gar nicht anders können als im Vergleich dazu zu enttäuschen. Und ich hatte Recht.
Zumindest zu Beginn. Meine anfängliche Enttäuschung war beträchtlich und hatte zweierlei Gründe:
1. Das Startgebiet Nadoret ist ziemlich lange ziemlich langweilig!
2. Fast keine der Schwächen von "Drakensang" schien behoben!
Punkt 2 war fand ich besonders enttäuschend - zwar spielte sich "Am Fluß der Zeit" damit nicht schlechter als sein Vorgänger, aber von der Fortsetzung eines kommerziell erfolgreichen Spiels muß man einfach erwarten dürfen, daß es zumindest in technischer Hinsicht BESSER wird. "Am Fluß der Zeit" ist leider teilweise sogar schlechter geworden - zumindest hatte ich mehr Wegfindungsfehler und andere Bugs als im ersten Teil (wenngleich sich die Anzahl auch hier in erträglichen Grenzen hält). Zudem gibt es zwar nun eine Vollvertonung der NPCs, dafür haben aber die "nicht-dialogfähigen NPCs" deutlich weniger Sprüchlein aufzusagen - kurzum: sie sagen eigentlich alle ständig das Gleiche und das tut der authentischen Atmosphäre absolut nicht gut. Zudem reagieren sie noch deutlich weniger auf die Ereignisse im Spielverlauf als das in "Drakensang" der Fall war.
Alles in allem ziemlich schwach!
Glücklicherweise erwies sich nach ein paar Spielstunden, daß Punkt 1 wirklich nur zu Beginn gilt und auch Punkt 2 sich ein wenig relativiert.
Zur Handlung kann ich nämlich konstatieren: Nach dem zähen Beginn insgesamt wieder sehr gelungen, sehr stimmungsvoll und vor allem: sehr aventurisch. Keine "Rette die Welt"-Mission, sondern "nur" eine wichtige Mission, die perfekt in den historischen aventurischen Hintergrund der Zeit, in der dieses Prequel spielt, eingepaßt ist. DSA-Veteranen werden sicherlich an vielen Stellen geheult haben vor Freude und nostalgischen Anwandlungen, so geschickt und meist sogar subtil wurden die Anspielungen auf damalige und - aus damaliger Sicht - bevorstehende Ereignisse (und sogar auf die Nordlandtrilogie!) in die Handlung eingefügt.

Aber auch Nicht-DSA-Veteranen werden sicherlich ihre Freude haben an vielen abwechslungsreichen und unterhaltsamen Aufgaben und teils schillernden NPCs. Zumindest solange sie nicht nur auf typische Haudrauf-Questen gewisser Action-RPGs stehen ...
Allerdings, so gelungen ich die Aufgaben insgesamt finde - es ist nicht alles Gold, was glänzt. Vor allem bleibt wie schon in "Drakensang" der Eindruck haften, daß die allermeisten Missionen relativ oberflächlich bleiben. Zwar - und das ist ein deutlicher Vorteil gegenüber dem Vorgänger - gibt es diesmal häufig mehrere Lösungsmöglichkeiten, wirklich komplex oder "mehrstufig" wird aber leider kaum eine Mission. Und das hinterläßt gelegentlich eben doch das Gefühl, daß da viel ungenutztes Potential rumliegt. Wenn ich da alleine an die Werwolf-Queste in Nadoret denke: Eine eigentlich grandiose Auflösung, die so viele Gelegenheiten für emotionale Tiefe bietet! Und was passiert? Es gibt eine mickrige Videosequenz, einen kurzen Dialog mit dem Auftraggeber, die Aufgabe wird im Journal als "absolviert" abgehakt und danach nie wieder erwähnt. Boah, wie schlecht! Auch an dieser Stelle wollte ich heulen - diesmal allerdings nicht aus Freude oder nostalgischen Anwandlungen, sondern schlicht aus Verzweiflung über diese grandios vertane Chance!

Leider gibt es durchaus noch ein paar weitere Beispiele für Geschichten, die so viele Möglichkeiten offenbaren und doch nur enttäuschend klischeehaft enden (Stichworte: Wasserdrache, Schwarzmagier bei der Zollfeste).
Insgesamt überwiegt aber glücklicherweise dennoch bei weitem die Anzahl der gelungenen Questen.
In einem anderen Punkt gibt es gegenüber "Drakensang" sowohl Fort- als auch Rückschritte: bei der Heldenparty.
Fortschritt: Die Interaktion der Helden untereinander ist quantitativ und qualitativ deutlich besser gelungen.
Rückschritt: Es gibt neben dem Spielerhelden nur vier weitere spielbare Figuren (okay, eigentlich fünf, aber eine davon nur sehr kurz). Die sind zwar allesamt sehr sympathisch und zudem toll vertont (was auch auf die meisten, aber leider nicht auf alle NPCs zutrifft), aber die Auswahl ist schlicht und ergreifend viel zu gering. Vor allem ist die Gefahr relativ groß, daß man gezwungen ist, eine reine "Männer-Party" zu spielen - was leider etliche Schätze, die man im Spielverlauf erringen kann, überflüssig macht, weil die auf weibliche Helden zugeschnitten sind (immerhin kann man sie recht teuer verkaufen). Aber selbst wenn das nicht der Fall wäre: Vier Optionen für drei Plätze in der Gruppe sind einfach zu wenig! In "Drakensang" gab es sicherlich zu viele spielbare Helden - "Am Fluß der Zeit" hat darauf leider zu extrem reagiert. Beim nächsten Mal bitte, BITTE den goldenen Mittelweg einschlagen!
Fazit: Nachdem der schleppende Start erst einmal überstanden ist, macht auch "Drakensang: Am Fluß der Zeit" viel Spaß. Für DSA-Kenner ist der Spaßfaktor sicherlich noch mal ein ganzes Stück höher als für Nicht-DSA-Kenner, aber auch denen wird ein gemütliches, athmosphärisches Abenteuer mit schöner Grafik geboten.
Nur ist eben insgesamt nicht wirklich viel Fortschritt gegenüber dem Vorgänger erkennbar und das enttäuscht mich dann doch. Ich kann jedenfalls nicht wirklich nachvollziehen, warum das Spiel in den Magazinen teils deutlich höher bewertet wurde als "Drakensang". Meiner Meinung nach stehen beide Spiele ziemlich genau auf der gleichen Stufe und haben sehr ähnliche Stärken und Schwächen. Beides sind meiner Meinung nach gute und relativ umfangreiche klassische Rollenspiele - nicht weniger, aber leider auch nicht mehr.
P.S.: Für buad: Die Anzahl der zerstörbaren Fässer und Kisten ist übrigens in der Tat ein wenig zurückgegangen - in manchen Gebieten allerdings immer noch sehr hoch.