A SINGLE MAN:

Los Angeles, 1962: Der Literaturprofessor George Falconer (OSCAR-Nominierung für Colin Firth) ist ein gebrochener Mann. Seit vor ein paar Monaten sein junger Lebensgefährte Jim (Matthew Goode aus "Match Point") tödlich verunglückt ist, zwingt George sich nur noch, die äußere Fassade aufrechtzuerhalten. Nicht einmal seine einzige echte Freundin Charlie (Julianne Moore) kann ihn wirklich aufheitern, weshalb er inzwischen ernsthaft an Selbstmord denkt. Doch dann macht ihm der attraktive Student Kenny (Nicholas Hoult aus der kultigen britischen Serie "Skins") Avancen ...

Wer jemals bezweifelt hat, daß Filme Kunst sind, der sollte sich unbedingt "A Single Man" ansehen. Denn der amerikanische Modeschöpfer Tom Ford hat in seinem Regiedebüt ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das es wahrlich in sich hat. Seine Verfilmung des Romans "Der Einzelgänger" von Christopher Isherwood ist aber sicherlich keine einfache Kost für den durchschnittlichen Kinogänger - dafür ist die gesamte Inszenierung viel zu unrealistisch, undurchsichtig und übertrieben geraten und die (grandiose) Filmmusik von Abel Korzeniowski viel zu überbordend und dominant.
"A Single Man" ist ein Rätsel. Ein expressionistisches, mit Symboliken geradezu überladenes Werk, das Interpretationen nicht nur zuläßt, sondern ganz offensiv zu ihnen auffordert. Um ehrlich zu sein, war es für mich sogar ein Heidenspaß, zu versuchen, die unzähligen symbolischen Bilder und Szenen zu interpretieren - oder auch nur herauszufinden, was Tom Ford symbolisch gemeint hat und was nicht.
Beispielsweise ist sehr augenfällig, daß quasi sämtliche Neben- und Statistenrollen von makellos aussehenden Menschen gespielt werden, die allesamt aussehen wie Models. Was sie vermutlich zumindest teilweise auch sind ... Aber liegt das nun banalerweise nur darin begründet, daß Ford als Modedesigner daran gewöhnt ist, nur mit den (zumindest nach den Maßstäben der Modeindustrie) schönsten Menschen zusammenzuarbeiten und er diese Gewohnheit nun auf sein Filmdebüt übertragen hat? Oder - noch banaler - steht Tom Ford schlicht und ergreifend auf schöne Menschen und will deshalb nur sie in seinem Film haben? Oder hat diese Besetzungspolitik doch einen tieferen Sinn und soll den Kontrast zwischen all den schönen Menschen und dem so erbärmlichen Innenleben der Hauptfigur des George Falconer betonen? Oder ganz allgemein den Kontrast zwischen den schönen Menschen und ihren (im Film ebenfalls wiederholt gezeigten) unschönen Eigenarten von Homophobie über Ignoranz bis hin zu schlichter Destruktivität? Oder vielleicht alles zusammen?

Ja, "A Single Man" ist ein Gesamtkunstwerk. Und ein Meisterwerk. Ein Film, der nach seinem ebenso überraschenden wie genialen Ende - auch dank Colin Firths starker darstellerischer Leistung - tief und lange nachhallt. Wenn man willens und in der Lage ist, sich auf den ungewöhnlichen, durchaus prätentiösen Stil Tom Fords einzulassen. 10 Punkte.

So darf das Kinojahr gerne weitergehen. smile

Und weil es schon von den Filmtiteln (und auch aufgrund einiger Parallelen speziell in der Ausgangssituation) her so gut paßt, will ich auch gleich noch endlich meine fehlende, mittlerweile bereits seit Monaten vor mir hergeschobene Filmkritik nachholen:

A SERIOUS MAN:

Der amerikanische Mittlere Westen, 1967: Der schüchterne jüdische Physik-Professor Larry Gopnik (für den Golden Globe nominiert: Michael Stuhlbarg) ist ein richtig armes Schwein: Seine Frau betrügt ihn ganz offen, seine Kinder verachten ihn, sein Nachbar haßt ihn und einer seiner Studenten versucht mit einer Kombination aus Bestechung und Erpressung zu besseren Noten zu kommen. Und da Larry ein ebenso gutmütiger wie phlegmatischer Typ Mensch ist, läßt er alles emotionslos geschehen. Er ist ja schließlich Kummer gewohnt. Dennoch entschließt er sich, Rat bei einem Rabbi zu suchen. Doch auch das läuft nicht so wie erhofft ...

Nachdem die Coen-Brüder sich zuletzt mit Filmen wie ihrem "Ladykillers"-Remake oder dem OSCAR-Sieger "No Country for Old Men" eher dem Mainstream zuwandten, bedeutet "A Serious Man" eine radikale Umkehr hin zu den skurrilen Werken ihrer Anfangszeit. Das wird bereits anhand der (mehr oder weniger) No-Name-Besetzung des Films ersichtlich (die einzigen Darsteller, die ich kannte, sind die TV-Serien-Darsteller Richard Kind aus "Chaos City", Fyvush Finkel aus "Picket Fences" und Adam Arkin aus "Chicago Hope" und "Life"), deutlich stärker jedoch aus der hoch komplizierten und symbolbeladenen Handlung (was übrigens eher ein Gegensatz zu "A Single Man" ist, bei dem weniger die Handlung als vielmehr die konkrete Inszenierung der einzelnen Szenen hochgradig symbolisch ist).
Um es kurz zu machen: Ich hab´ den Film echt nicht verstanden! Und, bei aller Bescheidenheit: Sowas kommt extrem selten vor. smile
Insofern verließ ich das Kino jedenfalls in höchst verwirrtem und auch ziemlich frustrierem Zustand. Zwar gab es durchaus einiges an "A Serious Man", was mir gefallen hat. Einige Szenen, die jenen brillanten schwarzen Humor der Coens tragen, den ich gerade an ihren Frühwerken so sehr liebe. Doch das große Ganze blieb mir schlicht und ergreifend ein Rätsel. Kaum zuhause, habe ich im Internet nach möglichen Erklärungen für die Handlung gesucht - und erkannte schnell, warum ich solche Verständnisprobleme hatte: "A Serious Man" ist eine (mit eigenen Kindheitserinnerungen der Brüder durchmischte) Adaption des "Buch Hiob" im Alten Testament. Für mich als Atheist nicht wirklich zu erkennen, folgt die Handlung offenbar tatsächlich (zumindest sinngemäß) überraschend genau der Geschichte des armen Hiob, dem als Prüfung Gottes ein Unglück nach dem anderen widerfuhr.
Mit diesem Wissen wurde mir schlagartig einiges klar und vor allem das mir zuvor vollkommen unverständlich erscheinende Ende machte nicht nur Sinn, sondern erwies sich sogar als nicht weniger als brillant!

Diese nachträgliche Erkenntnis führt dazu, daß ich keine Ahnung habe, wie ich "A Serious Man" bewerten soll. Rein von meiner persönlichen Erfahrung beim Kinobesuch ausgehend, würde ich sagen: 6 Punkte.
Aber ich bin mir fast hundertprozentig sicher, daß sich diese Wertung nach wiederholtem Ansehen des Films deutlich steigern wird (vermutlich mindestens auf 8). Einerseits, weil ich jetzt eben vieles verstehe, was ich zuvor überhaupt nicht verstehen konnte. Andererseits aber auch, weil "A Serious Man", glaube ich, aus dem Werkkatalog der Coen-Brüder am ehesten mit "Barton Fink" zu vergleichen ist. Und auch das war ein Film, den ich beim ersten Sehen einfach nicht verstanden habe. Je öfter ich ihn jedoch angeschaut habe (ja, manchmal lohnt sich Sturheit grin ), desto besser fand ich ihn (sogar ganz ohne Erklärungshilfen aus dem Internet wink ). Heute halte ich ihn für ein kleines Meisterwerk. Ob das auch mit "A Serious Man" so laufen wird, weiß ich nicht. Wahrscheinlich eher nicht, denn dafür hat er doch ein paar zu viele objektive Schwächen wie vor allem einige nur angeschnittene und nicht befriedigend zu Ende geführte Handlungsstränge. Aber wie gesagt, von einer deutlichen Wertungserhöhung gehe ich dennoch aus.

Positiv hervorzuheben sind jedenfalls die gewohnt skurrilen Charaktere und Einfälle, die gelungene Musikauswahl und Hauptdarsteller Michael Stuhlbarg.

Fazit: "A Serious Man" ist ein eindeutiger Arthouse-Film, den man ohne ein gewisses Vorwissen (auch über die jüdische Religion) nur schwer genießen kann. Aber selbst dann bleibt er - wie ich nun, etwa zwei Monate später, sagen kann - stark im Gedächtnis, was ebenso an seiner Rätselhaftigkeit (die Bedeutung des Prologs ist mir bis heute unklar ...) wie an seiner Skurrilität liegt. Und das ist ja nicht das Schlechteste. smile