Originally Posted by elgi

Deine wachsenede Sympathie für die FDP in allen Ehren, aber zu verkennen, welche Rolle diese sog. Partei in der chaotischen Regierungszeit spielt, ist dann doch etwas erstaunlich, wie ich finde.


Oh, meine Sympathie für die FDP ist in der letzten Zeit keineswegs gewachsen. Tatsächlich ist sie sogar gesunken, unter anderem aufgrund der Personalentscheidungen bei der Besetzung der Ministerämter und natürlich auch aufgrund inhaltlicher Kritik (beispielsweise war erst am Wochenende vom hessischen Verkehrsminister der Vorschlag zu lesen, doch einfach beim Umweltschutz zu sparen down ). Es mag nur so wirken, als ob meine Sympathien für diese Partei wachsen würden, weil ich nunmal den Hang habe, Menschen oder Gruppierungen zu verteidigen, auf die allzu pauschal und substanzlos eingedroschen wird - selbst dann, wenn ich eigentlich überhaupt keine Sympathien für die entsprechenden Menschen oder Gruppierungen empfinde. Und das Eindreschen auf die FDP seit der Wahl IST zu pauschal und undifferenziert. Erneut gilt: Natürlich hat die FDP mit ihrem bedenklichen öffentlichen Erscheiungsbild (und eben meiner Meinung nach grundfalschen Personalentscheidungen) und speziell Westerwelles, sagen wir mal, verbesserungswürdigen diplomatischen Fähigkeiten durchaus dazu eingeladen, aber das rechtfertigt noch lange nicht, ohne Konsequenzen den größten Blödsinn zu verzapfen.
Als Beispiel nenne ich nur Röslers Kopfpauschale im Gesundheitssystem, die in ihrer ursprünglich geplanten Form (das ist wichtig, denn die inzwischen diskutierte Version ist in der Tat wenig sinnvoll!) ein echter Gewinn gewesen wäre. Ich bin mir sicher, daß auch in diesem Forum so ziemlich jeder beim Begriff "Kopfpauschale" mindestens gedanklich aufjault und "sozial ungerecht!" schreit und auf den von Politikern und uninformierten Medien geprägten Satz vom Bankdirektor und der Putzfrau, die dann das gleiche zahlen müßten, kommt. Nur ist das eben absoluter Quatsch. Übrigens schon deshalb, weil der Bankdirektor in aller Regel privat versichert sein wird und deshalb in Sachen Gesundheit momentan ÜBERHAUPT NICHTS zur Solidargemeinschaft beiträgt, während er das nach Röslers ursprünglichen Plänen über eine höhere Einkommenssteuer tun müßte. Weitere Gründe kann jeder in der entsprechenden Fachliteratur nachlesen. Aber wie gesagt, die momentane Version der Gesundheitsreform erscheint mir ähnlich effektiv wie die letzte von Ulla Schmidt (und die war katastrophal) ...

Originally Posted by elgi

Und ganz ehrlich: Wenn ich die FDP an die Macht wähle (zusammen mit der Union), dann muß ich mich nicht darüber wundern, daß eben eher bei den sozial schwachen die Schere angesetzt wird als bei den Wohlhabenderen. Das ist nun bewußt vereinfacht dargestellt, um die Lage in einem Satz zusammenzufassen. Es ist und war nicht alles gut, was die SPD gemacht hat, aber ich bin immer noch der Überzeugung, daß es grundlegende Unterschiede bei der Beurteilung der "sozialen Gerechtigkeit" zw. Rot bzw. Rot-Grün und Geld bzw. Schwarz-Gelb gibt.


Daran gibt es natürlich überhaupt keine Zweifel. Allerdings finde ich auch in diesem Bereich die Häme speziell der Medien gegenüber der FDP ziemlich heuchlerisch, denn seien wir doch ehrlich: Die FDP ist genau wie die Grünen noch immer eine Klientelpartei! *Natürlich* konzentrieren sich diese Parteien auf bestimmte Segmente der Bevölkerung - ist doch logisch, sonst wären sie ja überflüssig und wir könnten ein Zwei-Parteien-System wie in den USA einführen! Diesen Klientelparteien dann aber vorzuwerfen, daß sie genau das sind (das mußten die Grünen von der anderen Seite ja auch lange erdulden, mittlerweile deutlich weniger), finde ich persönlich einfach albern. Zumal ja gerade der Witz der Sache ist, daß diese Klientelparteien zu klein sind, um ihre Programme je umsetzen zu können. Sie können immer maximal Teile davon mit einem dominanten Koalitionspartner verwirklichen.

Und, nur mal so am Rande: Ich finde es auch deshalb "witzig", daß alle auf die FDP eindreschen, weil die von den drei Regierungsparteien die einzige ist, die bisher wenigstens versucht hat, ihre Wahlversprechen durchzusetzen (und das als kleiner Koalitionspartner mit entsprechend begrenzter Macht). CDU und CSU haben sich im Grunde genommen bereits am Tag nach der Bundestagswahl einen Dreck um ihre Wahlversprechen gekümmert (naja, streng genommen haben sie auch kaum welche gemacht, da sie sich ja um jegliche konkrete Aussagen im Wahlkampf gedrückt haben ...) - aber anscheinend haben sich daran inzwischen alle gewöhnt, denn selbst von der Opposition gab es dafür nur erstaunlich zahme Kritik. Der FDP wurde dagegen vor allem von seiten der SPD vorgeworfen, mit ihrem Festhalten an den Wahlversprechen den Staat in den Ruin zu treiben - und als die FDP schließlich zähneknirschend eingestand, daß man sich in der momentanen Finanzlage vorerst keine Steuersenkungen leisten könne, kam in Sekundeschnelle (ich glaube, von Nahles - jedenfalls war´s eine Politikerin) die SPD-Häme "Da! Versprechen gebrochen!". Sorry, aber SOWAS ist für mich weder vernunftorientierte noch für die Wählerschaft vertrauenerweckende Politik.

Originally Posted by elgi
Ich halte Wulff, wenig überraschenderweise, für einen schlechten Kandidaten. Schlechter als Köhler kann er nicht sein, so viel ist sicher, aber das macht ja noch lange keinen guten Bundespräsidenten.


Wenn ich schon dabei bin, mache ich mich halt gleich weiter unbeliebt: Ich finde, daß Köhler ein guter Bundespräsident war! Er hat sichtlich Distanz zur Politik gewahrt, er hat sich dort sogar viele Feinde gemacht, indem er verfassungswidrige Gesetze eben NICHT einfach durchgewunken hat, er hat trotz seiner Wirtschaftsvergangenheit deutliche Kritik an den Verursachern der Finanzkrise geäußert, er hat sich stets glaubwürdig für Afrika eingesetzt. Auf der anderen Seite war er ein katastrophaler Redner und hatte (deshalb) bei öffentlichen Auftritten den Charme einer Straßenlaterne. Ich fand ihn trotzdem gut. Er war kein von Weizsäcker, aber er hat seinen Job in meinen Augen gut erledigt.