NACHTRICHTER von Dorothea Bergermann:
Die Geschichte von den furchtlosen Helden, die einem bösen Dämonenbeschwörer/Anhänger des Namenlosen das Handwerk legen, ist ein regelrechter Klassiker im Rahmen der DSA-Roman-Reihe. Tatsächlich bin ich sogar ziemlich sicher, daß kein anderes Story-Grundgerüst auch nur annähernd so oft bemüht wurde wie dieses. Die Ergebnisse waren teilweise mehr, teilweise weniger gelungen. Daß "Nachtrichter" glücklicherweise in die erste Kategorie fällt, ist das Verdienst der relativ ungewöhnlichen Hauptcharaktere.
Denn in "Nachtrichter" sind es nicht etwa irgendwelche dahergelaufenen Abenteurer, die sich dem Bösen entgegenstellen und auch keine unbeirrbaren Praioten. Nein, es sind die Phex-Geweihte Adara und ihr bester Freund, der phexgläubige tulamidische Schwarzmagier (!) Faisal. Zusammen kämpfen sie, wie wir zu Beginn erfahren, schon längere Zeit gegen Dämonenbeschwörer, doch auf ihren neuen Fall stoßen sie rein zufällig (oder doch eher durch einen gezielten Stupser Phexens in die richtige Richtung?), als sie sich eigentlich im Phex-Tempel des Städtchens Kyndoch von den vorangegangenen Strapazen erholen wollen ...
Das Besondere an "Nachtrichter" ist in der Tat nicht die Story an sich, sondern wie liebevoll detailgetreu, glaubwürdig und nachvollziehbar der Phex-Kult dem Leser nähergebracht wird. Zumal Adara und Faisal einfach zwei sehr sympathische Helden der Geschichte sind. Besonders lobenswert finde ich übrigens, daß es auf den gesamten 300 Seiten nicht auch nur die geringste Andeutung irgendwelcher romantischer Gefühle zwischen den beiden gibt. Sie sind einfach nur beste Freunde. Sowas kennt (hoffentlich) jeder aus dem "wahren Leben", aber in Büchern oder Filmen scheint normalerweise eher Harrys Haltung aus "Harry und Sally" vorzuherrschen: Es kann keine echte Freundschaft zwischen Männern und Frauen geben! Schön, daß auf dieses Klischee hier einmal komplett verzichtet wird.

Auch abseits der dominierenden "Phex-Perspektive" überzeugt "Nachtrichter" mit der Erzeugung einer ausgesprochen aventurischen Atmosphären. Anders als bei anderen DSA-Romanen glaube ich bei diesem nicht, daß man ihn auch problemlos in eine beliebige andere Fantasywelt transportieren könnte. "Nachtrichter" ist definitiv ein DSA-Roman! Umso bedauerlicher, daß das ansonsten fast obligatorische Glossar aventurischer Begriffe am Ende des Buches fehlt (abgesehen von einer Erläuterung der aventurischen Götter, von aventurischen Maßen und Gewichten und ähnlichem). Und ehrlich gesagt ist das mal wieder typisch. In fast jedem DSA-Roman gibt es ein solches Glossar - doch für jemanden, der sich ein wenig mit Aventurien auskennt, ist es eigentlich meist überflüssig. Hier, wo man wirklich ein ausgesprochener DSA-Experte sein muß, um alles genau verstehen zu können, fehlt das Glossar. Toll ...

Aber zum Glück schmälert das den Lesegenuß nur ein wenig. Allerdings summieren sich die Kritikpunkte insgesamt doch ein wenig. Beispielsweise gibt es für meinen Geschmack ein oder zwei Verfolgungsjagden zu viel. Irgendwann hatte ich den Eindruck, daß diese vor allem dazu dienten, die doch recht dünne zentrale Handlung zu strecken, um auf jene 300 Seiten Umfang zu kommen, die mehr oder weniger Minimum bei DSA-Romanen sind. Zudem handeln nicht alle Personen stets glaubwürdig, vor allem eine (zudem sehr vorhersehbare) Storyentwicklung gegen Ende läßt sich leider nur durch äußerst dummes Handeln gleich zweier Nebenfiguren erzwingen:
gemeint ist Frau Uttas Entführung, nachdem sie sorglos durch die ganze Stadt flaniert, obwohl sie wissen muß, daß sie immer noch in Gefahr ist!
Und das Finale selbst konnte mich auch nicht richtig begeistern.
Insgesamt ist "Nachtrichter" also ein sehr unterhaltsames, flüssig geschriebenes Buch, das vor allem Aventurien-Kennern (und/oder Phex-Fans

) gefallen dürfte, aber doch auch noch ein paar kleinere Macken hat. Deshalb gibt es erneut die Note 2-.
P.S.: Nachdem ich dank Schweige ja weiß, daß die Autoren den Titelbildzeichnern auch "Promi-Fotos" schicken können, um ihnen zu zeigen, wie sie sich die Hauptfiguren vorstellen, möchte ich wetten: Frau Bergermann hat dem Zeichner für das Aussehen von Faisal ein Foto des Schauspielers Oded Fehr ("Die Mumie", "Sleeper Cell") geschickt! Das Gesicht ist jedenfalls unverkennbar (allerdings wirkt der Kopf leider etwas zu groß für den Körper, was das "Aufgesetztsein"-Gefühl natürlich noch verstärkt). Insgesamt finde ich das Titelbild zwar wieder mal gelungen, aber das hat mich dann doch etwas gestört. Und Adaras (unpassenderweise) leicht dümmlich wirkender Gesichtsausdruck ebenfalls ...
P.P.S.: Wenn ich´s mir so überlege ... Wenn wir schon mit Schweige einen DSA-Autor hier haben, könnte ich auch mal direkt fragen: Wie läuft das mit dem Glossar? Liegt das in der Verantwortung der Autoren? Oder entscheidet der Verlag darüber, ob überhaupt eines notwendig ist und falls ja, was genau darin geschrieben steht?