Gestern kamen gleich die beiden wohl größten Publikumslieblinge der vorherigen Festivalstädte hintereinander - Zwerchfellzerrungsgefahr! grin

FOUR LIONS:

Omar, Waj, Hassan, Fessal und der weiße Konvertit Barry sind britische Staatsbürger und Moslems. Und Terroristen. Omar ist der Kopf der Gruppe, der größte Fanatiker ist jedoch Barry. Aber sie alle wollen als Märtyrer ins Paradies einziehen. Also schaffen sie Material herbei, um daraus Sprengstoff herzustellen und Omar gelingt es über einen Verwandten in Pakistan sogar, sich selbst und seinen besten Freund Waj in ein Terror-Trainingscamp der Taliban zu bringen. Es gibt nur ein Problem: Bis auf Omar sind alle diese Möchtegern-Terroristen dumm wie Stroh! Werden sie ihr Vorhaben dennoch in die Tat umsetzen können?

Darf man eine Komödie über islamistische Terroristen drehen? Diese Frage hat in England für jede Menge Aufregung und Diskussionen gesorgt, ja sogar für ein Gerichtsverfahren. Angehörige der Opfer der Terroranschläge von London 2005 haben tatsächlich vor Gericht ein Aufführungsverbot erstritten - das jedoch in der Berufung wieder einkassiert wurde. Die eigentliche Frage konnte vor Gericht aber natürlich auch nicht entschieden werden: Ist es moralisch vertretbar, sich über fanatische Terroristen lustig zu machen? Nun, die Antwort muß wohl jeder für sich selbst finden. Fakt ist: Abstrahiert von dieser moralischen Frage ist "Four Lions" schlicht und ergreifend die beste Komödie seit Jahren!
Regisseur Chris Morris ist in England schon länger als kontroversenfreudiger Comedian bekannt, hier brennt er jedoch ein wahres Gag-Feuerwerk ab. Ganz ehrlich: Es vergeht kaum eine Minute ohne Lacher. Und viele davon sind echte Brüller. Das meiste davon ist kein "sophisticated" Humor, das sei nicht verschwiegen. Aber das macht es ja nicht weniger lustig, zumal, wenn mit so perfektem Comedy-Timing dargeboten wird von dieser hingebungsvoll aufspielenden Riege weitgehend unbekannter Darsteller.
Das in cineastischer Hinsicht Bemerkenswerteste an "Four Lions" ist jedoch, wie konsequent er sein Thema bis zum bitteren Ende durchzieht. Da kommt dann wieder mal die gern benutzte Phrase vom Lachen, das einem im Halse steckenbleibt, zum Tragen. Aber ist es nicht so, daß viele der allerbesten Komödien gerade davon leben, daß sie einen allzu ernsten realen Hintergrund haben? Da muß man gar nicht die offensichtlichen Vorbilder von Chaplins "Der große Diktator" über Mel Brooks´ "Frühling für Hitler" bis hin zu so vielem, was die Monty Pythons gemacht, anführen. Auch so unheimlich komische Filme wie "Lost in Translation", "Thank you for smoking" oder selbst "Die Reifeprüfung" funktionieren aufgrund des perfektes Zusammenspiels von Komik und menschlichem Drama.

Und genau das ist es, was meiner Meinung nach "Four Lions" qualitativ deutlich über reine Nonsens-Filme á la "Die nackte Kanone" oder auch den zweiten Film des Abends (s.u.) hinaushebt. "Four Lions" ist zum Brüllen komisch, kein Zweifel. Aber er funktioniert auch als ebenso hysterischer wie treffender Kommentar zur weltweiten Terrorismus-Debatte und wie man liest, haben gerade "normale" Moslems wohl sogar noch mehr zu lachen bei diesem Film, weil etliche religionsspezifische Details für Islamfremde nur schwer zu erkennen sind. Manche kritisieren, daß in "Four Lions" kein einziger solcher "normaler" Moslem vorkomme. Das stimmt, selbst die friedliebenden Moslems werden als ziemlich verrückte Spinner gezeigt. Dennoch ist das nicht moslemfeindlich, denn bei genauerer Betrachtung gibt es im ganzen Film KEINE EINZIGE PERSON, die auch nur halbwegs normal rüberkommt - schon gar nicht Polizei und Politiker, die mindestens ebenso dämlich dargestellt werden wie die Terroristen ...

"Four Lions" ist ein Film, der mit den Mitteln der Komik, ja sogar des klassischen Slapsticks die Menschen nicht nur reichlich zum Lachen bringt, sondern auch immer wieder die Absurdität vieler Facetten der aufgeregten Debatte um Integration und potentielle Terroristen enthüllt - insofern ist gerade in Zeiten einer Sarrazin-Debatte ein deutscher Kinostart dieses unmoralischen, bitterbösen Meisterwerks der Comedy zu wünschen! Und damit wären wir natürlich auch bei meiner persönlichen Antwort auf die obig gestellten Fragen: Ja, es ist erlaubt, eine Komödie über Terroristen zu drehen. Zumindest, wenn sie so genial ist wie "Four Lions". Chapeaut, Mr. Morris! up

10 Punkte.

Übrigens: In den bereits beendeten Fantasy Filmfest-Standorten hat "Four Lions" ausnahmslos den "Fresh Blood Award" gewonnen - und das bei ebenfalls ungewohnt starker Konkurrenz u.a. durch den von mir bereits rezensierten "Harry Brown".

TUCKER & DALE VS. EVIL:

Tucker (Alan Tudyk, "Firefly") und Dale (Tyler Labine, "Reaper") sind zwei typische Horrorfilm-Hillbillies. Glaubt zumindest die Horrorfilm-geprägte Gruppe von College-Studenten, als sie in der Wildnis der US-Südstaaten auf die beiden trifft. Als sie dann auch noch sehen, wie die beiden eine aus ihrer Gruppe, die schöne Allison (Katrina Bowden), verschleppen, rüsten sie unter der Führung des *leicht* überspannten Chad (Jesse Moss) zum Angriff! Das Dumme an der Sache: Tucker und Dale sind eigentlich zwei nette, schüchterne Jungs und Allison verschleppen sie nicht, sondern retten sie vor dem Ertrinken, nachdem sie auf einem nassen Felsen am Ufer ausgerutscht und ohnmächtig ins Wasser gefallen ist. Während die beiden sich also in einer für ihre Ferien gemieteten, ziemlich gammligen Hütte rührend um die bewußtlose Allison kümmern, sehen sie sich plötzlich einer Horde scheinbar verrückt gewordener College-Kids gegenüber, die sie umbringen will ...

Ja, das ist die wohl genialste Prämisse für eine Horror-Komödie EVER! grin
Und auch die Umsetzung ist gelungen. So gelungen, daß der Film beim Fantasy Filmfest insgesamt sogar noch etwas besser ankam als "Four Lions" (vermutlich wegen dessen moralischer Ambivalenz). Ich kann diese Rangfolge jedoch nicht bekräftigen.
"Tucker & Dale vs. Evil" ist ein perfekter Partyfilm, das steht fest. Es gibt eine Nonsens-Handlung, die alle Genre-Klischees genußvoll auf den Kopf stellt und dabei logischerweise auch nicht mit Horrorfilm-Zitaten geizt. Zudem spielen Alan Tudyk und Tyler Labine ihre Rollen wirklich hinreißend komisch. Aber unterm Strich ist es eben eine reine Nonsens-Komödie. Man sieht sie sich an, hat jede Menge Spaß dabei und ein paar Wochen später hat man sie wieder vergessen. Weil der ernsthafte Hintergrund fehlt. "Four Lions" vergißt man garantiert nicht so schnell, weil dieser Film eine nachhaltige Komödie/Satire ist, die auch zum Nachdenken anregt und zahllose unvergeßliche Momente zu bieten hat. "Tucker & Dale vs. Evil" dagegen ist cineastisches Fastfood, das letztlich immer wieder den gleichen Gag variiert und damit auch zunehmend vorhersehbar wird. Es ist überraschend gutes Fastfood, aber trotzdem Fastfood.

Knapp 8 Punkte.