THE SOCIAL NETWORK:

Harvard University, Anfang des Jahrtausends: Der ziemlich arrogante Student Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg, "Zombieland", "Adventureland"), ein junges Computergenie, das bereits in der Highschool mit seinen Programmierkünsten das Interesse von Microsoft und Co. geweckt hat, ist wütend, weil seine Freundin Erica (Rooney Mara, demnächst in der Hauptrolle von Finchers US-Verfilmung von Stieg Larssons "Millennium-Trilogie" zu sehen) mit ihm Schluß gemacht hat. In seiner Verbitterung programmiert er über Nacht (und das in betrunkenem Zustand) eine Internetseite, auf der die Harvard-Studenten das Aussehen all ihrer Kommilitoninnen bewerten können, deren Fotos er unerlaubterweise aus den Uni-Verzeichnissen "herausgehackt" hat. Die Aktion bringt ihm sowohl Ärger als auch Bewunderung ein, vor allem bringt sie ihn jedoch auf jene Idee, mit der in den kommenden Jahren zu einem der reichsten Männer der Welt werden wird: Ein soziales Netzwerk zu schaffen, zunächst auf einige amerikanische Colleges begrenzt, später frei für alle, kostenlos in der Nutzung - abgesehen von der Privatsphäre, die man freiwillig mehr oder weniger stark opfert. Die Rede ist natürlich von Facebook, Schreckgespenst aller deutschen Politiker und Datenschützer, heilige Kuh von Millionen und Abermillionen vor allem Teenagern und jungen Erwachsenen weltweit!
Gemeinsam mit einigen Freunden entwickelt Zuckerberg also Facebook, doch mit dem wachsenden Erfolg des Projekts gibt es immer mehr Probleme, von juristischen Streitigkeiten bis hin zur ernsthaften Gefährdung einst enger Freundschaften ...

Ich persönlich finde ja Facebook in etwa so spannend wie das Telefonbuch. Deshalb war meine Reaktion auf die Ankündigung eines Films über Facebook vor über einem Jahr ähnlich wie die der meisten anderen. Ich fragte mich: Wer will das sehen? Gut, dann kam David Fincher ("Sieben", "Fight Club", "Zodiac") als Regisseur hinzu, was bei mir bereits erstes Interesse weckte. Aber die Entscheidung, mir "The Social Network" tatsächlich gegen Geld im Kino anzuschauen, fiel erst mit den Lobeshymnen der Kritiker wie auch der normalen Kinozuschauer und mit der Position des Films als einer der größten OSCAR-Favoriten 2011. Und was soll ich sagen? "The Social Network" ist erstaunlicherweise tatsächlich ein toller Film geworden!

Natürlich liegt das vor allem daran, daß es darin eben NICHT primär um Facebook geht. Stattdessen hat Fincher mutig einen "Citizen Kane"-artigen Ansatz gewählt: Wie in Orson Welles´ Meisterwerk aus dem Jahr 1941 stehen im Zentrum der Geschichte Aufstieg und Fall eines extrem erfolgreichen und innovativen Unternehmers - auch wenn besagter "Fall" hier (aufgrund der Bezugnahme auf die Realität, in der Facebook und damit auch Zuckerberg nunmal immer noch erfolgreicher werden) auf den persönlichen und teilweise auf den juristischen Bereich beschränkt bleibt. "Citizen Kane" war damals vor allem deshalb so revolutionär, weil er seine Geschichte in Form von bewußt subjektiven Rückblicken jener Menschen erzählt, die den verstorbenen Medienmagnaten Charles Foster Kane persönlich kannten. Aus diesen subjektiven Eindrücken ergibt sich in ihrer Gesamtheit ein Mosaik, das den Menschen und Unternehmer Kane zeigt - wie genau, das liegt jedoch in den Augen des Betrachters. Jeder Zuschauer muß für sich selbst entscheiden, welchen "Augenzeugenberichten" er Glauben schenkt, welchen nicht und welchen nur teilweise.
Ähnlich gehen David Fincher und Drehbuch-Autor Aaron Sorkin (Schöpfer der bereits legendären Polit-TV-Serie "The West Wing") in "The Social Network" vor. Auch hier wird die Geschichte der Gründung von Facebook und des beruflichen Aufstieges von Mark Zuckerberg in Form subjektiver Rückblenden erzählt - anders als in "Citizen Kane" werden diese jedoch nicht von einem neugierigen Reporter gesammelt, sondern während der außergerichtlichen Verhandlungen bei gleich zwei Prozessen gegen Zuckerberg. Da die "Augenzeugen" somit deutlich mehr Grund zur Unehrlichkeit haben (sie wollen schließlich Geld von Zuckerberg) als die Befragten in "Citizen Kane", ist der Wahrheitsgehalt von "The Social Network" logischerweise sehr fragwürdig. Fincher und Sorkin betonen das auch noch einmal extra kurz vor Ende des Films (in Form einer Anwältin, die Zuckerberg erläutert, daß ihrer Erfahrung nach 85% solcher Aussagen übertrieben seien und 15% glatte Meineide). Dadurch relativieren die beiden Filmschöpfer den Wahrheitsgehalt des von ihnen Präsentierten ausdrücklich, ohne dadurch jedoch die eigentliche Aussage des Films über Freundschaft und die Verführbarkeit durch Macht, Ruhm und Reichtum anzutasten. Ein geschickter Schachzug (der zudem auch noch Klagen der realen Personen verhindern dürfte, auf denen der Film basiert und die teilweise alles andere als positiv dargestellt werden).

Ein Markenzeichen des Regisseurs Fincher war schon immer sein Augenmerk auf eine sorgfältige, glaubwürdige Charakterzeichnung. Nachdem er diese in seinem vorletzten Film "Zodiac" leider stark vernachlässigt hatte, gibt er sich diesmal wieder große Mühe und so wirken die Hauptfiguren von "The Social Network" im Großen und Ganzen sehr schlüssig und authentisch - auch wenn sie, wie gesagt, nicht allzu viel mit der Realität gemein haben müssen. Zuckerberg selbst wird von Jesse Eisenberg als ziemlich arroganter, leicht manischer, eben nicht ganz einfacher Kerl dargestellt, der speziell aufgrund seiner sehr direkten Art und Weise oft Probleme hat, mit anderen Menschen auszukommen (eine weitere Parallele zu Charles Foster Kane, übrigens). Aber auch als brillanter Programmierer und innovativer Unternehmer, der durch den geschickten Einsatz seiner Ideen und Fähigkeiten zu einem steinreichen Mann wird. Er ist also in gewisser Weise sowohl Vorbild als auch mahnendes Beispiel.
Trotz seines schwierigen Wesens hat Zuckerberg in Eduardo Saverin (Andrew Garfield, der neue "Spider-Man") einen loyalen Freund, der bei der Facebook-Gründung das Finanzielle übernimmt und sie somit überhaupt erst ermöglicht. Daß die Freundschaft der beiden in große Gefahr gerät, liegt einerseits am zunehmenden Erfolg von Facebook mit all seinen Nebenwirkungen, andererseits aber auch am schillernden, selbstherrlichen Napster-Mitbegründer Sean Parker (stark: Justin Timberlake), der sich zwischen die beiden drängt.

Die Inszenierung dieses "Dreiecksverhältnisses" (ausnahmsweise ohne jeglichen sexuellen Bezug gemeint) ist Fincher wirklich hervorragend gelungen. Obwohl höchstens Eduardo wirklich sympathisch rüberkommt (dafür sorgt Zuckerbergs trockener Humor für den einen oder anderen Lacher), wird man als Zuschauer in die eigentlich recht banalen Ereignisse und Entwicklungen hineingezogen und fiebert mit den gut herausgearbeiteten Charakteren mit. Und schon bald vergißt man vollkommen, daß man hier einen "Facebook-Film" sieht. Stattdessen sieht man eine beeindruckend clever konstruierte, bewegende Charakter-Studie einer jungen, komplexen Persönlichkeit, die in ihrem raschen beruflichen Erfolg nicht die Erfüllung findet, die sie in Wirklichkeit sucht. Und deshalb ist es auch vollkommen egal, ob sich Fincher und Sorkin an die realen Fakten halten oder nicht. Sie nutzen die Realität nur als Basis für eine einfache, universelle und zutiefst menschliche Geschichte.

Der Soundtrack von Nine Inch Nails-Mastermind Trent Reznor ist zudem sehr gelungen und untermalt das Gezeigte vortrefflich, die darstellerischen Leistungen des großen Casts aus überwiegend (noch) relativ unbekannten Jungdarstellern überzeugen ebenfalls.

Alles in allem endlich wieder ein großer Wurf von David Fincher, nachdem er mich zuletzt mit "Zodiac" und "Der seltsame Fall des Benjamin Button" zweimal leicht enttäuscht hatte.
9 Punkte.

Eine OSCAR-Nominierung als "Bester Film" dürfte "The Social Network" sicher sein, für den Sieg dürfte es angesichts der Altersstruktur der Academy eher nicht reichen. Mal sehen, ob einer der drei zentralen Darsteller eine Nominierung erhält - verdient hätten es eigentlich alle drei.

P.S.: Und als nächstes verfilmt Fincher dann bestimmt wirklich das Telefonbuch! grin