Originally Posted by elgi

Alles schön und gut... aber hörst du dir auch mal an, was der Herr so von sich gibt? Zuerst sagt er, daß da nix wäre... dann sagt er, daß es einige Fehler gegeben hat und er deswegen vorübergehend auf seinen Titel verzichten werde... dann sagt er, daß er sich seine eigene Doktorarbeit wieder mal genauer angeschaut hat und viele Fehler entdeckt hat und deswegen jetzt ganz generös auf seinen Titel ganz verzichten werde... von der Scharade, die er mit der Bundespressekonferenz abgezogen hat, und den Vorwürfen, daß er sein Amt mißbraucht und Bundesmittel für seine private Doktorarbeit genutzt hat, ganz zu schweigen.


Ja, das ist einfach nur peinlich. Und ja, ich finde auch, dass er nicht besonders geschickt mit der Situation umgeht. Der Amtsmissbrauch insbesondere ist zu überrüfen - wurde der Auftrag primär für seine Arbeit erteilt und auch nur für diese genutzt - oder war nur der Zeitpunkt gut gewählt?

Und trotzdem - ändert all das etwas daran, dass die wenigstens überhaupt auch nur ansatzweise einschätzen können, ob all die Plagiate insgesamt einen ernstzunehmenden Betrug ergeben? Das Wesen einer Promotionsarbeit besteht daran, neue Gedanken, Ideen zu entwickeln und vorzustellen oder etwas bisher Unbekanntes aufzudecken und zu erforschen. Eine ernstzunehmende Promotion *muss* etwas Neues enthalten, das reproduzierbar ist. Ein Betrug wäre die bewusste Vorenthaltung von Ergebnissen, die nicht zur angestrebten These passen, oder die Fälschung von Ergebnissen, was in den Naturwissenschaften immer mal wieder vorkommt (wahrscheinlich häufiger, als bekannt ist). Selbst die "Beschönigung" von Ergebnissen ist eine Art Betrug. Texte anderer dreist zu kopieren ist äußerst unfein und wird zu recht angekreidet - aber solange der Kern der Arbeit zweifelsfrei auf den eigenen Gedanken, Ideen, Arbeiten beruht, bleibt es eine Bagatelle. Erst, wenn auch diese Gedanken, Ideen und Arbeiten "kopiert" werden und *als eigene* verkauft werden, wird es zu einem echten Betrug und einem wirklichen Plagiat. Deshalb ja auch die Frage, ob die Arbeit ernstzunehmend bleibt, wenn man alle Plagiate heraustreicht - ob die Thesen der Arbeit also tatsächlich auf Guttenbergs Mist gewachsen ist und der Rest nur Beiwerk ist. Ich kann das unmöglich beantworten.

Wir sind mit dem Vorwurf des Betruges allgemein sehr schnell zur Hand, ohne genaue Hintergründe zu kennen. ein paar Dutzend Textbeispiele im Internet reichen im allgemeinen für ein Urteil nicht aus - wir alle hier wissen, wie fragwürdig Texte sind, die aus dem Kontext gerissen wurden. Wer von uns hier kann schon einschätzten, *wie wesentlich* diese Textbeispiele im Gesamtzusammenhang dieser Arbeit sind? "Im Zweifel für den Angeklagten" - wenn man den Ahnungslosen erlauben würde, Urteile zu fällen, wäre die Welt vermutlich noch ein ganzes bisschen übler, als sie ohnehin ist. Möglicherweise sind diese ganzen Plagiate allesamt unwichtige Rand"notizen" (vielleicht auch nicht), und möglicherweise enthält die Arbeit einfach nur viel zu viele Buchstaben. Und erneut die Frage: bleibt der *Kern* der Arbeit bestehen, wenn all die Plagiate entfernt werden?

Ich traue Guttenberg durchaus zu, dass er seine eigene Arbeit ziemlich gut kennt, und möglicherweise (!) weiß er recht gut, dass die Plagiate alle nur weniger wichtige Stellen seiner Arbeit betreffen. Möglicherweise (!) erlaubt ihm das einen recht lockeren Umgang mit den Vorwürfen und führt zu seiner ungeschickt, geradzu anmaßend wirkenden Reaktion: "Hey - das sind alles nur Stellen, die für die eigentliche Arbeit eher unwesentlich sind - also was soll das Geschrei?"
Und *möglicherweise* sind es nicht nur Lückenfüller und Beiwerk, sondern tatsächlich wesentliche Abschnitte der Arbeit, ohne die der Rest wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen würde. Dann wären alle Vorwürfe angebracht.

Zumindest sollte man das in Erwägung ziehen.

Es mag scheinen, dass ich die Problematik bagatellisiere und Guttenberg und sein Vorgehen verteidige. Eigentlich plädiere ich aber nur für eine sachliche Auseinandersetzung (ich bin ja schließlich neutral!), denn ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass hier pauschal vorverurteilt wird und eben *nicht* mit gleichen Maßen gemessen wird.

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Du magst es also Bagatelle empfinden. Ich finde es ungeheuerlich, daß ein derart prominenter Politiker, der auch noch ein relativ wichtiges Amt führt, sich solche Fehler erlauben kann und dann dennoch von 2/3 der Bevölkerung auch noch verteidigt wird...


Vielleicht hast Du recht. Vielleicht *muss* ein Politiker mit einem schärferen Maß gewogen werden als ein "Normalsterblicher" und vielleicht sind solche Verfehlungen tatsächlich ein Rücktrittsgrund. Natürlich gingen uns dann bald die Politiker aus, denn keiner von ihnen scheint mir fehlerfrei zu sein.
Vielleicht wäre es aber auch angebracht, wenn ein Politiker primär nach seiner Arbeit bewertet würde und nicht nach seinen privaten Fehlern - erst recht nicht, wenn noch gar nicht bekannt ist, wie tief seine Fehler reichen - siehe meine obigen Ausführungen. Denn wo sollte man die Grenze ziehen? Müssen irgendwann Politiker dann auch den Hut nehmen, weil sie eine rote Ampel übersehen haben oder zu schnell gefahren sind? Mit scheint das Thema ziemlich grenzwertig zu sein...

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Keiner von denen war der Meinung, daß der Mann zurücktreten soll. Es ginge ja um Politik, nicht um seine Doktorwürde.


Ich frage mal ganz provozierend: Und was ist jetzt an dieser Aussage falsch? Herr Guttenberg ist nicht als Dr. eingestellt worden, sondern als Verteidigungsminister, oder? Wirkt sich eine Verfehlung aus dem Privatbereich automatisch auf die Qualität seiner Arbeit als Minister aus? Und wieder die Frage: Wenn ja, wo ist die Grenze zu ziehen? Oder gibt es gar keine Grenze, und ein Minister verliert automatisch jedes Recht auf ein Privatleben?

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Das ist eine tolle Message, die wir damit also an Deutschland senden: Ihr könnt betrügen und dreist lügen. Solange ihr beliebt seid, ist das alles überhaupt kein Problem. Weiter so! up


Vielleicht sollte man sinnvollerweise ja einfach mal versuchen zu differenzieren? Mit scheint die ganze Affäre zu sehr schwarz-weiß Malerei zu sein. Der Vorwurf des Betruges wiegt schwer, und man sollte ihn mMn nur tätigen, wenn man sicher sein kann, dass es ein handfester Betrug ist (siehe oben). Ich für meinen Teil bin das solange nicht, bis nachgewiesen wurde, dass auch der Kern der Arbeit nur ein Plagiat ist. Dass wäre dann schon eher etwas wie eine Fälschung und käme dem Betrugsvorwurf wesentlich näher. Solange es dafür keinen Beweis gibt, macht sich Guttenberg und die Gutachter seiner Arbeit, die mindestens eine Teilschuld trifft, in meinen Augen einfach nur lächerlich.

Last edited by buad; 22/02/11 12:38 PM.