Originally Posted by Ddraigfyre
Selbstverständlich würde ich, das ist doch schon rein logisch. Wenn ich Deutschland den Rücken kehre, dann ist das eine Entscheidung, die endgültig ist. Außer zu kurzen Verwandtenbesuchen kehrt man dann wohl kaum zurück. Den Kindern dann in meiner neuen Heimat zunächst mal Deutsch beizubringen, wäre überaus schwachsinnig. Damit wäre ja vorprogrammiert, dass sie dort Probleme bekommen werden. Natürlich müssen sie zunächst mal die Landessprache lernen, wie alle anderen Kinder dort auch - und dann können sie sich mit Deutsch befassen, wenn sie Lust haben.

Wenn Herr Erdogan hier fordert, dass in Deutschland geborene türkischstämmige Kinder zunächst mal Türkisch lernen sollten, dann ist völlig klar, dass man diesen Kindern damit massive Steine in den Weg legt - es sei denn, man will sie damit bewußt ausgrenzen und ghettoisieren.

Ich vermute, daß die wenigstens Einwanderer in welchem Land auch immer komplett auf ihre Muttersprache verzichten und die lokale Sprache sprechen. Das wäre aber der einzige Weg, um ein Kind von kleinauf zuerst an die lokale Sprache und dann an die ursprüngliche Muttersprache zu gewöhnen.

Ich rede nicht davon, daß ein Kind zwei- oder mehrsprachig aufwächst. Ich rede davon, daß ein Kind - und das hast du geschrieben - zuallerst mal die lokale Sprache lernt und dan vielleicht die eigentliche Muttersprache, die in der Familie gesprochen wird. Das ist nahezu unmöglich und absolut unrealistisch. Da kannst du mir gerne noch 100 Mal was anderes erzählen.

Was die Mehrsprachigkeit angeht:
In gängigen Sprachtheorien ist die Rede davon, daß es nicht zwingend notwendig ist, daß ein Kind von Geburt an eine Sprache lernt, um sie dann später gut zu beherrschen. Wichtiger ist, daß eine zumindest mal EINE Sprache - im Normalfall also die Muttersprache der Familie (oder bei Mischfamilien die hauptsächlich gesprochene Familiensprache) - gut zu sprechen lernt und sich darin flüssig und verständlich ausdrücken kann. Auf dieser Basis können dann weitere Sprachen leichter erlernt und umgesetzt werden. Natürlich kommen dann noch neurobiologische Argumenten ins Spiel, die besagen, daß sich das menschliche Gehirn in den ersten Jahren noch nicht endgültig herausbildet und man so ungefähr bis zum 10.-14. Lebensjahr Sprachen deutlich leichter aufschnappt, wenn man sie regelmäßig wie eine normale Sprache spricht (also nicht lernt, sondern tatsächlich spricht).

Aber wichtig ist, daß man sich von der Vorstellung lösen muß, daß man einem Kind nur früh genug eine Sprache beibringen muß, damit es diese auch gut beherrscht. Schlimmstenfalls richtet man auf diese Weise mehr Schaden an, als man was Gutes tut.

Wenn ich mich selbst als Beispiel heranziehen darf... bis in die Grundschule hinein konnte ich nur einige, wenige Brocken Deutsch, aber meine Muttersprache habe ich dank einer gesitteten Familienumgebung und auch Unterstützung meiner Eltern da schon gut beherrscht. Das hat mir dann auch geholfen, die deutsche Sprache recht schnell aufzuschnappen. Ich denke, mittlerweile spreche ich Deutsch dann auch recht flüssig.


Das ist die sprachwissenschaftliche Seite des Ganzen. Erdogan hat das natürlich nicht im Sinn, wenn er davon redet. Ihm geht es vor allem um nationalistische Meinungsmache, aber das bedeutet nicht, daß vernünftigere Menschen sich unbedingt auf sein Niveau begeben und seinen an sich schwachsinnigen Reden noch mehr Bedeutung beimessen müssen, als sie schon erhalten.


Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"