Was die deutsche Berichterstattung betrifft: Die kann man vergessen. Allein das alberne Hickhack um "Kernschmelze!", "Nein, doch nicht...", "Doch - Kernschmelze!", "Nein, immer noch nicht...", "Jetzt aber: Kernschmelze!" war geradezu erbärmlich. Wer stattdessen NHK (Japanischer Sender) verfolgen konnte, der war besser informiert.

Noch peinlicher war der Versuch, das eigene journalistische Unvermögen und die Gier nach der ersten Sensationsschlagzeile zum AKW dann auf die "Widersprüchlichkeit" der Quellen in Japan zu schieben. So widersprüchlich war das gar nicht, wenn man wie gesagt NHK verfolgt hat.

Und selbst die ÖR von der tagesschau haben hier unterstes Niveau raushängen lassen, als sie ihre rasenden Reporter wiederholt zu Aussagen drängen wollten, die diese einfach nicht geben konnten.


Warum die Japaner so überzeugt von Kernenergie sind, hat mehrere Gründe. Zum einen besitzen sie eine ausgeprägte Fortschrittgläubigkeit. Bis ins 19. Jahrhundert war Japan isoliert und technologisch sehr rückständig. Durch die dann folgende Öffnung zum Westen haben sie im Eiltempo alles nachgeholt – mit dem Ziel die herrschenden Industrienationen zu übertreffen und besser zu sein. Damit waren sie sehr erfolgreich und infolge dessen hat sich daraus ein teilweise blindes Vertrauen in moderne Technologien wie eben die Kernkraft entwickelt. Hiroshima und Nagasaki hatten darauf überhaupt keinen Einfluß. Es gab in den 50igern und 60igern in Japan sogar eine extrem erfolgreiche Manga- und Anime-Serie namens "Tetsuwan Atomu" - über einen unbesiegbaren atombetriebenen Roboter in Form eines kleinen Jungen.

Zudem lebt der größte Teil der japanischen Bevölkerung in wenigen Ballungsräumen - hauptsächlich in Küstennähe. Allein im Großraum Tokyo lebt ein Drittel der gesamten japanischen Bevölkerung. Für solche Megazentren die Energieversorgung zu sichern, geht mit ein paar AKWs halt deutlich einfacher, als mit einer dafür erforderlichen weit größeren Zahl konventioneller oder gar alternativer Energieerzeuger. Ich meine, wir reden bei Tokyo über 40 Millionen Menschen, die auf einem Fleck leben. Und die restlichen 80 Millionen leben wie gesagt auch sehr konzentriert. Ob die aktuellen Ereignisse ein Umdenken und eine Suche nach anderen Möglichkeiten anregen können, wird sich zeigen.

Japan fehlt eine Energieinfrastruktur, wie wir sie hier haben, wo sich die Bevölkerung relativ gleichmäßig über das ganze Land verteilt. Viele Haushalte außerhalb der Ballungsräume versorgen sich dort z.B. autonom mit Gastanks zum Kochen und Heizen, weil es keine Heizkraftwerke und Fernwärmenetze gibt. Die meisten Häuser dort haben ja nicht mal Heizungen. Geheizt wird oft mit Gasöfen oder Strom. Und das gesamte Stromnetz verläuft nur oberirdisch und ist zudem im Grunde veraltet.

Aber je nachdem, was dort jetzt passiert, ist das ohnehin vielleicht bald alles Makulatur. Mit Fukushima 1 sieht es nicht gut aus, Fukushima 2 macht auch Probleme und drei weitere AKWs laufen ebenfalls nicht mehr ganz rund. Bei NHK war von einer Wiederaufbereitungsanlage die Rede, die ebenfalls Kühlprobleme haben soll. Und dort lagern die Brennstäbe aus 30 Reaktoren...


Dieses Beben und seine Folgen sind eine unsagbare Tragödie für das Land und die Menschen dort, die ja ohnehin schon ständig mit Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Tsunami und Taifunen leben müssen. Das Vorwarnsystem für Erdbeben und Tsunami ist außerordentlich gut, aber bei so einer Intensität nutzt das alles nichts mehr. Die Messstationen für Tsunami sind z.B. auf maximale Kammhöhen von 10 meter ausgelegt. Mehr konnte man sich einfach nicht vorstellen. Diverse dieser Messsysteme fielen aus, weil die Wellen dort wohl noch höher waren. Ein 10 Meter hoher Ozean, der plötzlich über das Land rollt. Man stelle sich das überhaupt erst mal vor...

Die derzeitigen offiziellen Opferzahlen sagen nichts aus. Erst am Ende wird Bilanz gezogen - und ich fürchte, dann wird die Zahl 5-stellig sein.

Im Moment kann ich nur hoffen, dass keine Freunde von mir darunter sind. Die kann ich nämlich seit Freitag nicht mehr erreichen.