Und wieder ein Doppelpack:

MARGIN CALL - DER GROßE CRASH:

Eine große Investmentbank entlässt einen Großteil ihrer Mitarbeiter im Bereich Risikomanagement. Der ebenfalls gefeuerte Chef der Abteilung, Eric Dale (Stanley Tucci), gibt seinem Protegé Peter Sullivan (Zachary "Spock" Quinto) einen USB-Stick, den er sich mal näher anschauen solle. Als am Ende des Tages alle anderen bereits das Büro verlassen haben, studiert Peter die Daten, rechnet ein wenig herum - und kommt zu dem Schluß, daß die Bank aufgrund eines Kalkulationsfehlers kurz vor dem finanziellen Kollaps steht! In Windeseile ruft er seinen neuen Vorgesetzten Will Emerson (Paul Bettany) zurück zum Büro und zeigt ihm, was er entdeckt hat. Als dieser erkennt, auf was Peter gestoßen ist, beruft er alle hohen Tiere des Unternehmens ein, um zu beraten, wie man die Bank noch retten könne ...

"Margin Call" zeigt einen fiktiven Blick auf die letzte Nacht vor dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers, der (in Verbindung mit der folgenschweren Weigerung der republikanischen Bush-Regierung, unterstützend einzugreifen) die noch immer nicht überstandene weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise so richtig ausbrechen ließ. Natürlich heißt die Bank im Film anders (oder ist sogar namenlos, ich kann mich eigentlich nicht erinnern, daß irgendein Name genannt wurde), aber jeder weiß, daß Lehman gemeint ist. Das Interessante an der Geschichte ist offensichtlich, daß sie aus der Insider-Perspektive der Bankverantwortlichen geschildert wird.

Also ein sehr aktuelles, hochbrisantes und interessantes Thema, das Regisseur und Drehbuch-Autor J.C. Chandor in seinem Low-Budget-Leinwanddebüt angepackt hat. Das ist sicher auch ein Grund dafür, daß er ein solch hochkarätiges Darstellerensemble anheuern konnte (neben den genannten sind noch Kevin Spacey, Jeremy Irons, Demi Moore und Simon Baker in tragenden Rollen zu sehen).

Tatsächlich ist "Margin Call" vor allem in der ersten Filmhälfte ein gut gemachtes, gut gespieltes und spannendes Kammerspiel. Wirklich erhellend ist die Handlung jedoch leider nicht. Die Charakterisierungen bleiben eher an der Oberfläche, auch auf die tatsächlichen Hintergründe der Krise wird eher am Rande eingegangen. Zwar ist dem Film anzurechnen, daß er auf populistische klare Schuldzuweisungen großteils verzichtet (auch wenn durchaus einige typische Banker-Klischees gewälzt werden), aber als tiefgründige Analyse kann man ihn sicher nicht ansehen. Schade, da wäre deutlich mehr möglich gewesen.

Mein Hauptproblem mit "Margin Call" ist eigentlich die Figur, die Jeremy Irons spielt: Unternehmenschef John Tuld. Mal davon abgesehen, daß Irons mit Anzug und Krawatte irgendwie albern aussieht, wirkt seine Rolle auch noch wie eine billige Gordon-Gekko-Kopie und kann auf diese Weise in zweierlei Hinsicht nicht überzeugen. Erstens, weil diese extrem flache Figur nicht wirklich zu den zwar wie gesagt auch eher oberflächlichen, aber trotzdem einigermaßen authentischen übrigen Charakteren paßt. Und zweitens, weil auch durch Irons´ übertriebene Darstellung dieser Tuld wie eine Karikatur seiner selbst wirkt (zusätzlich unterstrichen durch Sätze wie "Ich bin ganz bestimmt nicht auf diese Position gekommen, weil ich soviel weiß!").

Die Schwäche von "Margin Call" ist, daß der Film sein Thema und seine Figuren zwar im Großen und Ganzen ernstnimmt, aber letztlich inspirationslos wirkt und keinerlei neue Ideen oder Einsichten zum Geschehen einbringt. Den Hauptverursachern der Krise wird zwar ein (fiktives) Gesicht gegeben und auch ansatzweise versucht, ihre Motivation nachzuvollziehen - aber unterm Strich bleibt ein ziemlich enttäuschender Ertrag.

Als Wirtschaftsfilm kann "Margin Call" also nur bedingt überzeugen, als Kammerspiel ist er vor allem dank spielfreudiger Darsteller wie Spacey, Tucci und Quinto (der übrigens auch als Produzent beteiligt ist) sowie einiger netter Dialoge vor allem in der ersten Stunde durchaus unterhaltsam. Das reicht immerhin noch für 6,5 Punkte.

THE GUARD - EIN IRE SIEHT SCHWARZ:

Sergeant Gerry Boyle (Brendan Gleeson) ist ein ziemlich unkonventioneller irischer Dorfpolizist ("Ich liebe Korruption!"). Er erfreut sich seines recht einfachen Lebens, bis plötzlich eine Leiche mit einem Loch im Kopf in seinem Zuständigkeitsbereich gefunden wird. Dann verschwindet auch noch sein neuer Partner spurlos und auf einer Informationsveranstaltung referiert FBI-Agent Wendell Everett (Don Cheadle) vor den Polizisten der Gegend über eine Gruppe gefährlicher Drogenschmuggler (darunter Mark Strong und Liam Cunningham). Boyle erkennt in einem der von Everett gezeigten Fotos sein Mordopfer wieder und gemeinsam mit dem FBI-Agenten nimmt er die Ermittlungen auf ...

Obige Inhaltsbeschreibung klingt (bis auf das Boyle-Zitat) nach einem ziemlich konventionellen Krimi. Das täuscht jedoch extrem. "The Guard" ist das Leinwanddebüt des Iren John Michael McDonagh. "McDonagh?", mag der ein oder andere nun fragen, "Kenne ich den Namen nicht irgendwoher?" Durchaus möglich, denn sein Bruder Martin hat vor drei Jahren seinerseits sein Kinodebüt gegeben und mit "Brügge sehen ... und sterben?" (ebenfalls mit Gleeson in einer Hauptrolle) gleich mal eben ein kleines Meisterwerk des schwarzen Humors geschaffen. In der Familie McDonagh muß es lustig zugegangen sein, denn auch "The Guard" strotzt nur so vor herrlich fiesem und zynischem irischen Humor. Vor allem Boyles knackige Oneliner und seine Versuche, den FBI-Agenten zum Wahnsinn zu treiben, lassen mit Sicherheit kein Auge trocken bleiben. grin

Dennoch sind die stilistischen Ähnlichkeiten zum betont melancholischen "Brügge sehen ... und sterben?" gar nicht so groß, wie man meinen könnte. Zwar ist der Humor bei beiden Filmen ähnlich schwarz, aber "The Guard" erinnert mehr an eine Mischung der Filme von Quentin Tarantino und dem jungen Guy Ritchie ("Bube, Dame, König, GrAs", "Snatch"). Vor allem die herrlich coolen Gangster sind sehr deutlich an die Tarantino-Gangster in Filmen wie "Reservoir Dogs" oder "Pulp Fiction" angelehnt, wenn sie beispielsweise über ihre Lieblings-Philosophen diskutieren. Das Herz des Films ist jedoch ohne jede Frage Brendan Gleeson in der Titelrolle. Ich bin ja schon seit "Braveheart" ein Fan von ihm und freue mich, daß er inzwischen zu einem sehr begehrten und auch populären Nebendarsteller in Großproduktionen geworden ist, der in der Heimat auch immer wieder Hauptrollen wie diese hier bekommt. Aber die politisch extrem unkorrekte Rolle des Sergeant Gerry Boyle ist ihm geradezu auf den Leib geschrieben. up

Fazit: Wer auch nur ein bißchen was für irischen Humor übrig hat oder generell auf schwarzhumorige Filme steht, der sollte sich "The Guard" keinesfalls entgehen lassen! 8,5 Punkte.

In einem Interview hat Don Cheadle, der auch als Produzent beteiligt ist, übrigens erfreulicherweise die Möglichkeit einer Fortsetzung eingeräumt, falls der Film finanziell erfolgreich genug ist. Angesichts der Tatsache, daß "The Guard" bereits der erfolgreichste irische Independent-Film aller Zeiten ist und auch international ordentlich läuft, dürften die Chancen gut stehen. Ich freu´ mich schon drauf. smile