VERBLENDUNG:

Nachdem der schwedische Investigativ-Journalist Mikael Blomkvist (Daniel Craig) einen großen Verleumdungsprozeß verloren hat, zieht er sich vorerst aus seinem Beruf zurück. Da trifft es sich gut, daß der Großindustrielle Henrik Vanger (Christopher Plummer, gerade OSCAR-nominiert, allerdings für den Film "Beginners") ihn anheuert, um das spurlose Verschwinden seiner Nichte vor mehreren Jahrzehnten aufzuklären. Als Täter des vermutlichen Verbrechens kommen vor allem Mitglieder der Familie Vanger in Frage ...

Nur zwei Jahre hat es gedauert, bis Hollywood eine eigene Version des ersten Bandes von Stieg Larssons gefeierter "Millennium"-Trilogie der erfolgreichen schwedischen Verfilmung folgen ließ. Ob diese Neuverfilmung nun sinnvoll ist oder nicht, muß jeder für sich selbst entscheiden - Fakt ist, daß Regisseur David Fincher ("Sieben", "The Social Network") einen handwerklich überzeugenden Thriller mit hochkarätiger Besetzung geschaffen hat. Zwar ist sein Film erwartungsgemäß etwas amerikanisiert (besser aussehende Schauspieler, ein paar kleine, IMHO unnötige Storyabweichungen) und natürlich in technischer Hinsicht wesentlich aufwendiger (beginnend mit dem grandiosen Vorspann, auch wenn manche meinen, daß er nicht wirklich zum Film passe), aber für Hollywood-Verhältnisse dennoch erstaunlich düster und (in sexueller Hinsicht) explizit.

Da ich den schwedischen Film erst vor einem Jahr gesehen habe (in der Langfassung im TV), fällt mir eine genaue inhaltliche Bewertung von Finchers Version relativ schwer, da mir die Handlung einfach noch zu genau im Gedächtnis war. Außerdem ist speziell der zentrale Kriminalfall in meinen Augen sowieso der größte Schwachpunkt der Handlung, da er erstens für erfahrene Krimigucker (oder -leser) recht vorhersehbar ist (ich vermute, daß er im Buch deutlich besser funktioniert, da dort logischerweise alles nicht so "gedrängt" ist wie in einem Film, selbst wenn er zweieinhalb oder drei Stunden dauert) und zweitens die handelnden Figuren eine zentrale Vermutung niemals ernsthaft hinterfragen, obwohl das offensichtlich wäre. Da mich das schon beim ersten Mal gestört hat, ist es beim zweiten Mal innerhalb eines Jahres noch nerviger (deshalb ist übrigens von der schwedischen Trilogie der zweite Film mein Favorit). An diesen Schwächen konnte Fincher aber natürlich auch nichts ändern, ohne der Buchvorlage sehr untreu zu werden.

Wo er doch mal zumindest vom schwedischen Film abweicht (da ich das Buch nicht gelesen habe, weiß ich nicht, wie vorlagentreu dieser tatsächlich war), da funktioniert es meiner Meinung nach nicht allzu gut, zudem werden vereinzelte Ereignisse aus den späteren Büchern vorgezogen, da der amerikanische "Verblendung" offensichtlich erstmal als Einzelfilm konzipiert wurde. Dabei bleibt es aber bei Kleinigkeiten, die auch nicht wirklich stören.

In Bezug auf die Besetzung kann ich eigentlich nicht klagen. Daniel Craig macht seine Sache gewohnt souverän und braucht sich nicht hinter seinem "Vorgänger" Michael Nyqvist zu verstecken, auch die weiteren wichtigen Rollen werden von Schauspielern wie Plummer, Stellan Skarsgard, Joely Richardson, Robin Wright, Steven Berkoff oder Goran Visnjic tadellos verkörpert. Nur mit Rooney Mara in der weiblichen Hauptrolle der problembeladenen Hackerin Lisbeth Salander habe ich so meine Probleme - rein optisch, wohlgemerkt, denn die OSCAR-Nominierung für ihre darstellerische Leistung ist verdient (wenn auch etwas unfair gegenüber Noomi Rapace, die für ihre mindestens gleichwertige Darstellung in der schwedischen Version nicht nominiert wurde). Aber sie sieht einfach nicht so aus, wie ich mir diese Person vorstelle. Natürlich bin ich da auch geprägt von Rapaces großartiger Darstellung, aber grundsätzlich finde ich, daß deren markante Gesichtszüge und eher knabenhafter Körperbau besser zu der Figur Lisbeth Salander passen als Rooney Mara, die letztlich auch in dieser Rolle mit seltsamer Frisur, vielen Piercings und großen Tätowierungen eher den konventionellen Schönheitsvorstellungen entspricht. Aber das ist letztlich Geschmackssache und schauspielerisch gibt es, wie gesagt, wenig auszusetzen.

Der größte Unterschied zwischen den beiden Verfilmungen von "Verblendung" manifestiert sich sicherlich in der Musik. Während die schwedische Version einen eher klassischen Soundtrack aufwies, griff Fincher wieder zu seinem im Vorjahr für "The Social Network" OSCAR-prämierten Komponisten-Duo Trent Reznor und Atticus Ross, die einen (auf drei CDs veröffentlichten!) düster-unheilvollen, mitunter nahezu atonalen Klangteppich geschaffen haben, der die Stimmung der Geschichte perfekt untermalt - wenn auch in manchen Szenen vielleicht etwas zu dominant. Dieser oft gerade unangenehme Soundtrack scheint die Zuschauer deutlich stärker zu polarisieren als der Film selbst, ich finde sie insgesamt sehr gelungen.

Fazit: Wer den schwedischen "Verblendung" gesehen hat und für gut befand, der ist nicht wirklich auf diese Neuverfilmung angewiesen, da sich die Unterschiede in Grenzen halten und auch qualitativ beide Filme in einer Liga spielen. Wer die Geschichte noch nicht kennt, der erhält auf jeden Fall einen spannenden, düsteren Thriller mit starken Schauspielerleistungen, der lediglich beim zentralen Kriminalfall etwas schwächelt. Aufgrund der kleinen Änderungen und der Tatsache, daß mir Noomi Rapace in der weiblichen Hauptrolle etwas besser gefällt als Rooney Mara, gebe ich David Finchers "Verblendung" einen halben Punkt weniger als dem "Original": 7,5 Punkte.