DER BLINDE SCHRAT von Dietmar Preuß:
1018 oder 1028 BF in Nostria: Kriegsheld Michal Jakubek von Olasko hat es sich in den letzten Jahren auf seiner Burg gutgehen lassen. Doch als eines Tages sein alter Kamerad Jan Pac mit einigen Soldaten aufkreuzt und ihn unterrichtet, daß er einen wichtigen Auftrag von der Königin erhalten hat, packt ihn schnell wieder die alte Abenteuerlust. In einer nahezu beispiellosen Aktion sollen nostrische und andergastische Soldaten unter Michals Führung gemeinsam rätselhaften Geschehnissen im Grenzgebiet der beiden verfeindeten Kleinstaaten nachgehen. Gerüchte sprechen davon, daß der im Osten des Kontinents wiedergekehrte Dämonenmeister Borbarad über die große Distanz hinweg seinen verderbten Einfluß geltend macht, doch der bodenständige Michal hält das für abergläubiges Geschwätz. Realistischer kommt ihm da schon die Meldung vor, wonach ein Faulwüter - ein kranker Schrat - die Verantwortung tragen soll ...
Seit die DSA-Romane nicht mehr bei Heyne erscheinen, muß ich bei fast jedem neuen Band der Reihe über das mangelhafte Lektorat meckern. Doch "Der blinde Schrat" sollte eigentlich auch Ulisses als endgültiger Beweis dafür reichen, daß es ohne (ordentliches) Lektorat einfach nicht geht. Das Dilemma beginnt damit, daß der Autor offensichtlich die Jahreszahlen durcheinander bringt. Theoretisch müßte "Der blinde Schrat" im Jahr 1018 spielen, da diese Jahreszahl mit der Rückkehr Borbarads korrespondiert und da bei einer Nebenfigur erzählt wird, daß sie seit der "Schreckensnacht von Salza" vor drei Jahren stumm ist - und wie ein Blick ins Internet zeigt, fand diese Schreckensnacht 1015 statt. Problem nur: Die einzige Jahreszahl, die im Text ausdrücklich als Zeit des Geschehens genannt wird, ist 1028. Zunächst ging ich von einem einfachen Tippfehler aus - doch dann kam die Zahl noch mal vor. Okay, Tippfehler versehentlich übernommen, kann passieren. Spätestens im Anhang wird jedoch klar, daß es doch kein Versehen ist, denn laut Personenbeschreibung wären zwei der Soldaten aus Michals Truppe im Jahr 1018 gerade elf Jahre alt. Nun mögen ja Nostria und Andergast als Hinterwäldler-Staaten berüchtigt sein, aber den Einsatz von Kindersoldaten traue ich ihnen dann doch nicht zu ... Fazit: Irgendwas lief da gewaltig schief.
Auch ansonsten gibt es etliche Fehler, deren Vermeidung normalerweise im Aufgabenbereich des Lektorats liegt. So kommt an einer Stelle eine bis dahin überhaupt noch nicht erwähnte Figur zu Wort - kein Wunder, daß sie noch nicht erwähnt wurde, denn sie stößt erst ein paar Seiten später zur Gruppe. Humoristisches Highlight - sofern ich da nicht etwas komplett falsch verstanden habe - ist jedoch sicherlich jene Szene, in der sich Michal von einigen Mitreisenden verabschiedet, die eigentlich ein paar Seiten vorher während einer Schlacht ums Leben kamen.

Diese nervigen und eigentlich leicht zu vermeidenden Fehler sind umso ärgerlicher, als das Buch im Grunde eine ziemlich interessante Geschichte auf unterhaltsame Art und Weise erzählt. Der raubeinige Michal ist ein spannender Protagonist mit Ecken und Kanten, wie man sie in der DSA-Reihe eher selten findet. Ein wenig erinnert er an eine Mischung aus Conan und Obelix: Gutmütig, aber stur, bauernschlau, aber mitunter unglaublich begriffstutzig, ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, aber gleichzeitig sehr standesbewußt. Ein ambivalenter, durchaus sympathischer Charakter mit Stärken und Schwächen.
Die Nebencharaktere sind deutlich weniger ausgefeilt und teilweise recht klischeehaft, erfüllen aber im Großen und Ganzen ihren Zweck. Ein Problem von "Der blinde Schrat" ist, daß der Autor in mehrererlei Hinsicht dem Zuschauer früh mehr Informationen zukommen läßt als den handelnden Figuren. Das ist natürlich ein legitimes Stilmittel, aber wenn man es - wie Preuß hier - zu lange auswalzt, läuft man einfach Gefahr, die Protagonisten ziemlich dumm aussehen zu lassen. Gleiches gilt für ein "Geheimnis" einer Nebenfigur, das an sich schon eines der offensichtlichsten Geheimnisse der Literaturgeschichte sein dürfte, durch Preuß´ ständige Hinweise darauf aber auch noch so plump rüberkommt, daß man die Geistesgegenwart der anderen Figuren ernsthaft anzweifeln möchte, weil sie das "Geheimnis" einfach nicht erkennen ...
Generell sind diese Wiederholungen ein weiteres kleines Problem der Geschichte: Einige Elemente sind einfach zu repetitiv, Subtilität ist eindeutig nicht die Stärke des Autors. Das gilt grundsätzlich für Preuß´ Schreibstil, ist aber erstens keine Neuigkeit (da es bei seinen vorangegangenen drei DSA-Romanen nicht anders war) und zweitens in meinen Augen gar keine Schwäche. In den mittlerweile über 130 DSA-Romanen sind so viele Stilrichtungen vertreten, da ist auf jeden Fall auch Platz für gelegentliche Ausflüge in die Welt der leicht trashigen Pulp-Romane. Und als solcher macht "Der blinde Schrat" zumindest mir wirklich Spaß, vor allem in der ersten Hälfte der rund 375 Seiten. In der zweiten Hälfte wird die Angelegenheit etwas zäher, bleibt aber stets unterhaltsam und leidlich spannend.
Inwiefern der Roman dem DSA-Regelwerk entspricht, kann ich nicht wirklich beurteilen, da ich selbst in meiner aktiven Spielerzeit kaum einmal mit diesen Regionen oder mit den Druiden (die im Handlungsverlauf eine wichtige Rolle spielen) in Berührung kam. Angesichts der Probleme mit der richtigen Datierung würden mich einige Ungereimtheiten allerdings nicht überraschen.
Fazit: "Der blinde Schrat" vertritt eine im Rahmen des DSA-Reihe ziemlich einzigartige Erzählweise, die sicher nicht jedem gefallen wird, mir jedoch durchaus Freude bereitet hat. Negativ fallen stilistische Schwächen (noch nicht erwähnt: die Dialoge klingen mitunter ziemlich unglaubwürdig, da Formulierungen verwendet werden, die in den entsprechenden Situationen mündlich wohl kaum so geäußert würden - schon eher in einer nachträglichen schriftlichen Aufarbeitung ...), einige zu offensichtliche bzw. zu breit ausgewalzte Storyentwicklungen und das leidige Lekoraktsproblem ins Gewicht.
Unterm Strich: Schulnote 3.