Originally Posted by Steffen
@elgi
Warum sollte sich das denn gegenseitig ausschließen, zumal es letztlich doch auch noch zusammenhängt?

Ich sage ja nicht, daß sich das beides ausschließt... ich habe nur nicht ganz verstanden, was du mit dem Beitrag eigentlich sagen wolltest. Oder, um beim Topic-Titel zu bleiben, über was genau du dich aufregst.


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Natürlich ist es scheinheilig, die Entscheidung zu verurteilen, wenn nach der Gesetzeslage hierzulande ein analoges Urteil möglich ist und Forderungen nach einer Verschärfung der momentanen Regelungen nicht die gleiche Kritik bekommen.

In der Theorie magst du recht haben... aber es wäre doch sehr vermessen, wenn man die Lage hier mit der Lage in Rußland vergleichen würde. Wie auch Ddraig geschrieben hat, ist die Existenz eines Gesetzes noch nicht zwangsläufig mit der Umsetzung verknüpft. So kann man die wenigen Fälle hierzulande gerne im Internet recherchieren... und in all diesen Fällen gab es keine mehrjährige Strafe in einem russischen Arbeitslager. Von daher sollte man die Relationen im Auge behalten, wenn man vergleicht.


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Dass Religionen insbesondere auch in Deutschland zu viele Rechte haben, die ihnen von eben solchen Politikern eingeräumt werden, ist doch nun einmal kein Geheimnis. Was zum Teufel hatten Religionsvertreter in der Ethikkommission (u.v.a) zur Kernkraft zu suchen, viel Themenkompetenz werden sie nicht mitgebracht haben? Was ist mit Arbeitsrecht, Steuern und sonstigen Privilegien, wie lange hat es gedauert, bis die Politiker nach dem Kölner Urteil gekuscht haben? Wie kann ein Bischof ungestraft über Religionslose sagen, sie wären keine Menschen?
Und nach dem Aufwand der nötig war zumindest die hiesigen Religionen wenigstens halbwegs zu zivilisieren, habe sie diese Rechte tatsächlich nicht verdient.

Daß Religionsorganisationen zu viele Rechte haben, ist glaube ich klar. Und normalerweise stimme ich jedem zu, der sagt, daß die Institutionalisierung der Religionen zu durchbrechen ist. Aber Religion hat neben der politischen Dimension auch eine individuelle, persönliche Seite. Ich bin selbstverständlich gegen die dogmenhafte Ausführung des Islam oder des Katholizismus... aber auf der individuellen Ebene respektiere ich diejenigen, die sich einem Glauben verpflichtet fühlen.
Wenn also die sog. Religionskritik nichts weiter ist, als die Gefühle zahlreicher Menschen zu verletzen - indem man z.B. Mohammed als Symbol des Glaubens verunglimpft, wohlwissend, daß dies nicht gern gesehen ist... oder indem man ein Stück aufführt, "in dem eine (neuzeitliche) 'Marie' durch eine verunreinigte Klobrille befruchtet wird und daraufhin ein Fall von 'Jungfrauengeburt' eintritt" (Zitat Wikipedia) -, ja, in diesen Fällen geht es meiner Meinung nach nicht um Religionskritik, sondern schlichtweg um Unruhestiftung und Beleidigung. Und in diesen Fällen finde ich eine rechtliche Möglichkeit der Auseinandersetzung OK. Man kann sich dann darüber streiten, wie die Strafen ausfallen können, aber daß Millionen von Menschen eine Verunglimpfung der Dinge, an die sie nun einmal glauben, nicht tatenlos hinnehmen müssen, finde ich in Ordnung.

Was Pussy Riot gemacht haben, ging aber eben nicht gegen die einzelnen Gläubigen, sondern gegen die Institution der Kirche... und gegen den Staat. Und das ist ein sehr großer Unterschied in meinen Augen. Insofern ist hier die Tragweite einer entsprechenden Bestrafung eine ganz andere als bei den paar Fällen im Zusammenhang mit dem Gotteslästerungsparagraphen hierzulande. Folglich kann man durchaus das Urteil kritisieren, auch wenn man selbst in einem Land lebt, das in der Theorie ähnlich klingende Gesetze hat.


Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"