Originally Posted by Lurker
Aber Kritik an Überzeugungen sollte erlaubt sein, ob sie nun religiöser Natur sind oder nicht, und das auch in provokanter Form. Oder weshalb sind religiöse Überzeugungen schützenswerter als politische?

Zum wie vielten Mal soll ich eigentlich den Trennstrich darlegen, den ich ziehe: Wenn es eine Beleidigung um des Beleidigens willen ist, dann ist das nicht OK. Handelt es sich um eine Kritik (eben am System), die man mehr oder minder nachvollziehen kann, ist es was anderes.

Ersteres kommt leider viel zu oft vor... ich weiß, wovon ich rede, ich habe es oft genug selbst gemacht. Aber es ist nicht konstruktiv und es nützt eben nichts, außer die Menschen, die es betrifft, zu beleidigen/verärgern. Das ist nicht nur auf die Religion beschränkt, sondern kann auch gerne auf die Politik ausgeweitet werden, auch wenn der Vergleich zwischen Politik und Religion doch eher sophistisch klingt...

Ich gebe zu, daß ich auf meine alten Tage zu dem werde, was Ddraig als Gutmensch tituliert hat. Ich rege mich immer noch über vieles auf, aber möchte nicht mehr allzu negativ denken. Zwei besonders ausgeprägte Formen des negativen Denkens sind zum einen die Fixierung auf ein Problem statt auf dessen Lösung und zum anderen das Streben nach "negativer Gleichheit", wenn ich das mal so nennen darf. Wie eben die Aussage: Warum sollen wir die Religionen aus der Kritik herausnehmen, wenn wir doch auch die Politik so sehr kritisieren?
Gutmenschlicher wäre die Frage: Sollten wir bei der Kritik an der Politik nicht ebenso vorsichtig vorgehen wie bei der Religion? (Mal abgesehen von der Trennlinie, die ich mehrfach angesprochen habe... also daß ich ja nicht mal so große Vorsicht propagiere.)

Ein Beispiel für die erste Form des negativen Denkens wäre: Es ist durchaus ein Problem, daß viele Menschen sich dem dogmenhaften Religionstrieb blind hingeben. Also konfrontieren wir sie mit diesem Problem, machen wir das Problem besonders deutlich, zeigen wir es ihnen.
Gutmenschlicher Ansatz wäre: Ja, das Problem besteht, aber was ist meine Lösung dafür? Bspw. mit gutem Beispiel vorangehen, daß man auch ohne Dogmen gut leben kann? In normalen Dialog mit besonders verbohrten Menschen treten? Die Religionslehren in der Theorie angreifen?

Mir ist bewußt, daß das nicht unbedingt etwas bringen mag... und daß das Gutmenschliche eine schärfere Auseinandersetzung nicht ausschließt oder gar ersetzt. Aber andererseits kann ich nicht dauernd behaupten, daß die Menschen alle Scheiße sind, wenn ich dann selbst genau so große Scheiße baue. Die Probleme, die die Menschen haben und die noch deutlich schlimmer werden in Zukunft, können nicht gelöst werden, wenn sich die Menschen nicht selbst grundlegend ändern. Und diese Änderung muß bei jedem Menschen selbst stattfinden. Wenn sich die Menschen nicht ändern, werden sie z.B. auch weiterhin Religionen nachgehen und auch die FDP wählen. Erst eine Änderung zum Guten wird dafür sorgen, daß diese Geißeln der Menschheit abgeschüttelt werden. Und diese Veränderung zum Guten propagiere ich hier.


P.S: Nein, bin nicht unter die Esos gegangen... und wie auch Ddraig ist das Ganze etwas tagesformabhängig. Aber prinzipiell versuche ich mittlerweile, so zu denken. (Außer natürlich bei besonders klaren Themen wie Nazi-Wichsern, BVB-Fans und Musik-/Film-/Buchdiskussionen, wo nur meine Meinung zählt!)


Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"