ZUGVOGEL von Dr. André Fomferek:
Wow, ein DSA-Roman von einem leibhaftigen (und erstaunlich jungen) Richter - daß ich sowas noch erleben darf! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />
Ein kurzer Überblick über den Inhalt von "Zugvogel" mag zunächst so erscheinen, als handele es sich um einen äußerst konventionellen DSA-Roman:
Der junge Alrik (welch origineller Name! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" />) will eine Abenteurer-Laufbahn einschlagen und da trifft es sich gut, als ihn der arrogante, aber ebenfalls noch unerfahrene Weidener Ritter von Weißentraut anheuert, um ihn und die Wildhüterin Tsaja bei der Suche nach seiner verschollenen Verlobten, der angehenden Magierin Silvana, zu helfen. Die Suche führt sie durch ganz Weiden und weiter und schließlich geht es nicht mehr nur darum, Silvana zu finden, sondern gar um das Schicksal ganz Aventuriens: Der legendäre "Stab des Wahren Herrschers" ist in Gefahr und muß von unseren wackeren Helden gerettet werden!
Wie gesagt: Eine klassische DSA-Geschichte. Zumindest auf den ersten Blick. Bei genauerer Betrachtung gibt es aber doch einige interessante Abweichungen: Das beginnt bereits damit, daß Alrik kein typischer, mittelloser Abenteurer ist, sondern ein Student des Rechts aus Vinsalt, den plötzlich die Abenteuerlust überkommen hat. Somit ist er kein überragender Kämpfer, aber dafür äußerst wortgewandt und belesen - was sich im Laufe der Geschichte als sehr hilfreich erweisen wird.
Auch die anderen Protagonisten weichen im Laufe der Erzählung immer weiter von den üblichen Klischees ab und werden vom Autor zu interessanten, durchaus vielschichten Charakteren geformt, die dem Leser bald ans Herz wachsen.
Hilfreich ist dabei sicher, daß vor allem Hauptfigur und Ich-Erzähler Alrik ein ungemein sympathischer Kerl und eine perfekte Identifikationsfigur für jeden DSA-Spieler ist - so wird auch schnell klar, daß der Name "Alrik" ganz bewußt gewählt wurde und nicht aus Ideenlosigkeit. Alrik selbst wundert sich zwar in der Geschichte, daß er von seinen Gefährten häufig als "der Alrik" bezeichnet wird, als sei es kein Name, sondern eine Berufsbezeichnung - aber genau das ist es eben auch in Aventurien! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />
Daß dieser Alrik auch noch bei jeder unpassenden Gelegenheit einen selten dämlichen Spruch losläßt, vergrößert das Vergnügen des Lesers nur noch mehr ... (er ist gewissermaßen der aventurische Elgi <img src="/ubbthreads/images/graemlins/evilgrin1.gif" alt="" />)
Überhaupt ist die Geschichte sehr launig und unterhaltsam geschrieben, was über die an sich recht dünne Story und auch einige Längen hinweghilft. Auffällig ist, daß der Autor scheinbar möglichst viele unterschiedliche Genres in seiner Geschichte unterbringen wollte - was sich angesichts des betonten "road-movie"-Charakters zwar anbietet, aber auch nicht übertrieben werden sollte. Dabei läßt sich durchaus erkennen, wo die Stärken und die Schwächen des Autors liegen.
So gibt es beispielsweise ein "Gruselkapitel", das leider überhaupt nicht gruselig ist. Ein "Mysterykapitel" in einem rätselhaften Gasthaus in Baliho ist zwar interessant, paßt aber IMHO nicht wirklich rein. Zwar gibt es später eine ansatzweise Erklärung für dieses Kapitel, die mich aber nicht vollends befriedigen konnte. Überhaupt Baliho: Mir ist in meiner langen DSA-Karriere nie aufgefallen, daß Baliho das DSA-Äquivalent zu einer klassischen Western-Stadt wäre. Ich weiß nicht, ob da die Phantasie des Autors mit ihm durchgegangen ist, oder ob das tatsächlich den "offiziellen" Vorgaben entspricht und es mich nur nie in dieses Städtchen verschlagen hat: Jedenfalls empfand ich auch dieses Kapitel - wiewohl es durchaus unterhaltsam ist - unpassend.
Ein weiterer Nachteil ist, daß eine spektakuläre "überraschende Wendung" am Ende der Geschichte zumindest für mich bereits rund 200 Seiten vorher zu erkennen war, was natürlich immer ärgerlich ist. Diese Überraschung ist eigentlich gut und weitgehend subtil aufgebaut - gerade zu Beginn des Handlungsstrangs sind die Hinweise jedoch leider allzu offensichtlich. Zum Glück ist es jedoch nicht die einzige Überraschung, die den Leser am gelungenen und durchaus untypischen Ende erwartet, somit wiegt auch diese Schwäche nicht allzu schwer.
Insgesamt bietet "Zugvogel" also einen sehr gut und unterhaltsam geschriebenen DSA-Roman, der letztlich vor allem eine liebevolle Ode an das ist, was Aventurien von Anfang an ausgemacht hat: Die Abenteurer!
Eine nicht allzu ausgefeilte zentrale Storyline und kleinere dramaturgische Schwächen werden durch wunderbare Charaktere und viel Wortwitz (der mich mitunter durchaus an einen Terry Pratchett erinnert hat) mehr als wettgemacht. Ich hoffe sehr auf eine Fortsetzung, die sich am Ende auch anbieten würde, und vergebe die wirklich verdiente:
Note 2.
Übrigens: Wie es zu einer Ode an die Abenteurer perfekt paßt, hat der Autor als Kapitelüberschriften Titel von DSA-Abenteuern verwendet. Ich als nicht mehr aktive P&P-Spieler kenne zwar nicht alle, weshalb es auch eine Weile gedauert hat, bis ich das wirklich begriffen habe (beim Kapitel "Der Wald ohne Wiederkehr" - mein allererstes DSA-Abenteuer! - war es mir dann endlich klar, nachdem ich zuvor Titel wie "Silvanas Befreiung" noch als Zufall abtun wollte <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />). Aber da ich mehr als die Hälfte erkannt habe, gehe ich mal davon aus, daß es beim Rest nicht anders ist.
Ein wirklich nettes Detail für DSA-Veteranen und im Gegensatz zu jenem DSA-Roman vor ein paar Jahren, in dem ALLE bis dahin erschienenen Abenteuer-Titel in den Text eingebaut waren, wirkt es auch nicht erzwungen, sondern völlig passend. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />
Würde mich nicht mal wundern, wenn der Autor seine mitunter durchaus liebenswert chaotische Handlung sogar bewußt nach diesen Abenteuer-Titeln geformt hätte ...
P.S.: So sehr sich FanPro ein großes Lob dafür verdient hat, daß sie mittlerweile fast nur noch gute und wirklich aventurische Romane verlegen, so sehr muß ich den Verlag immer wieder für die mangelhafte Lektoren-Arbeit kritisieren! Gerade bei "Zugvogel" gibt es sehr viele Tipp-, Grammatik- und sonstige Fehler, die den Lesefluß stören.
Ich weiß, ich weiß. FanPro ist ein kleiner Verlag. Nicht viel Geld - Lektoren wollen Geld - Problem. Aber ganz ehrlich: In meiner Diplomarbeit gab es deutlich weniger von diesen Fehlern und ich hatte keinerlei professionelle oder semi-professionelle Korrekturleser ...
Last edited by Ralf; 07/08/06 11:59 AM.