Da folgender Film in ganz Deutschland am Startwochenende weniger als 5000 Zuschauer hatte und dementsprechend auch nur in sehr wenigen Kinos laufen dürfte, ist die Wahrscheinlichkeit rein statistisch betrachtet ziemlich gering, daß in diesem Forum noch jemand außer mir den Film im Kino sehen wird. Folglich werde ich zur Abwechslung nicht mit Spoilern sparen (obwohl es auch nicht mehr sein dürften als in jeder anderen diesbezüglichen Kritik), dies zur Warnung vorab ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />

IRREVERSIBEL:
Die Zeit zerstört alles. Dieser Satz bildet Beginn und Ende des größten Skandalfilms des vergangenen Jahres, nun also auch in deutschen Kinos (FSK 18). Die Story des Films ist schnell erzählt. Die schöne Alex (Monica Bellucci) wird auf dem Heimweg nach einer Party brutal vergewaltigt. Ihr Freund Marcus (Belluccis Ehemann Vincent Cassell), der die Party etwas später verließ, rächt sich am Vergewaltiger, indem er ihn nicht weniger brutal ermordet.
Das zu erzählen, ist eigentlich gar kein Spoiler. Denn "Irreversibel" erzählt seine Geschichte - ähnlich "Memento" - rückwärts, beginnend konsequenterweise mit dem ebenfalls rückwärts ablaufenden (und teilweise sogar spiegelverkehrten) Abspann. Daß "Irreversibel" als Skandalfilm in die Kinogeschichte eingehen wird, liegt speziell an zwei Szenen, die große Teile des Premierenpublikums in Cannes 2002 zum fluchtartigen Verlassen des Kinosaals veranlaßten: Die knapp zehn-minütige Vergewaltigung von Monica Bellucci (kursierte anschließend im Internet als Raubkopie mit der Bezeichnung "geiler Arschfick-Gewaltporno" - dabei ist eigentlich gar nicht so viel zu sehen, dafür umso mehr zu ahnen) und vor allem der sehr explizit dargestellte Mord. Aufgrund der Umkehrung der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse wird der Zuschauer somit unvorbereitet ins kalte Wasser geworfen - wer angesichts der, äh, ETWAS unkonventionellen (Hand-)Kameraführung während Marcus´ Suche nach dem Vergewaltiger (die Marcus´ emotionale Aufgewühltheit verbildlichen soll) - begleitet durch einen dröhnenden Sound (Musik ist es nicht wirklich) nicht seekrank wird, hat wirklich Glück. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />
Hat man diese wirklich harte erste Hälfte des Films schließlich überstanden, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Wir sehen Alex, Marcus und ihren Freund Pierre beim fröhlichen Zusammensein, beim Scherzen, beim Philosophieren über das Leben und die Zukunft und beim Sex (natürlich nicht alle drei zusammen ...). Heitere Bilder, die einfach Spaß machen. Wenn ... ja, wenn man nicht eben bereits wüßte, daß die heile Welt sämtlicher Protagonisten für immer zerstört ist - ohne daß sie es wissen. Dadurch bleibt einem das Lachen im Halse stecken, die Szenen wirken regelrecht irreal.
Ich habe lange überlegt, was ich jetzt tatsächlich von diesem Film halte. Nach einer Nacht des Grübelns (ich kann euch versichern, daß ich über wenige Filme so lange und intensive nachdachte wie über diesen) bin ich mir nun ziemlich sicher.
Eines ist klar: Handwerklich ist der Film nahezu perfekt. Die Schauspieler sind ebenfalls hervorragend (sonst hätte die oben beschriebene Szene wohl kaum als "echter" Porno im Internet durchgehen können), genau wie der Soundtrack. Fraglich ist, ob es wirklich nötig war von Regisseur Gaspar Noé, die Gewaltszenen so ausführlich zu inszenieren. Ich weiß es nicht. Hätte er es nicht getan, wäre die Wirkung des Films auf seine Zuschauer - in die eine oder andere Richtung - sicherlich weit weniger intensiv. Ich weiß auch nicht, ob ich diesen Film - dieses Grenzerlebnis - mir noch einmal antun werde. Aber eines weiß ich: Ich werde ihn sicherlich nie vergessen.
9 Punkte.