Ich bin gerade Zeuge von etwas so Unfaßbarem geworden...
ich kann das kaum in Worte fassen.
Das Ganze kann höchstwahrscheinlich nur jemand entsprechend nachvollziehen, der wenigstens ein Mindestmaß an cineastischem Interesse sein eigen nennt.
Die anderen möchten sich mit dem folgenden daher nicht unbedingt belasten und sind daher keinstenfalls gezwungen weiterzulesen.
... jedenfalls wollte ich gerade wieder zu
"Aliens" zurückschalten, als ich in einem letzten Zap-Durchlauf plötzlich auf ORF2 hängenblieb, weil mich die Bilder die dort zu sehen waren, irgendwie anzogen.
Ich hörte mir das also eine Weile an und sah zu, wie sich in eher an die 80er erinnernder Qualität eine Geschichte entspann, die in sich in der frühen Zeit des noch nicht allzu lange vergangenen, letzten Jahrhunderts zugetragen zu haben schien. Es waren klassische Schwarzweiß-Aufnahmen zu sehen, die hauptsächlich ein Brüderpaar zeigten, gekleidet im Stile so um 1910/20, und eine Kamera.
Daneben gab es immer wieder Einspielungen mit bekannteren und weniger bekannten Schauspielern (z.B.
"Jurassic Park"´s Sam Neill!), Regisseuren und anderen Filmschaffenden, sowie scheinbar Zeitzeugen und schon bald war klar, daß es sich um irgendeine Art von Dokumentation über Film handelte. Im weiteren stellte sich immer mehr heraus, daß die Geschichte in Neuseeland angesiedelt war, es um die dort aufgewachsenen Brüder
McKenzie ging - von denen ich nie zuvor etwas gehört hatte - und diese ein Projekt in Angriff genommen hatten, dessen wahre Bedeutung sich erst später offenbaren sollte (sowohl in dieser Dokumentation, als auch dem Zeitraum den sie zum Gegenstand hatte).
Endgültig in seinen Bann schlug mich das Gezeigte, als - der Fortschritt des Filmes war ins Stocken geraten und das Geschwisterpaar wurde auseinandergerissen, weil der eine in den ersten Weltkrieg hineingezogen wurde (Neuseeland gehörte oder gehört noch zum Britischen Empire) - sich wahrhaft unglaubliche Bilder meinem Auge darboten.
Zurück ließ er seine junge Frau, die er bei den Dreharbeiten kennengelernt hatte, auch wenn sich der andere,
Colin McKenzie, zuerst in sie, die er zur Hauptdarstellerin erkoren hatte, veliebt hatte, dies aber verbarg und in der folge, wohl aufgrund seiner Besessenheit mit dem Projekt, nicht bemerkte, wie sich dafür eine Romanze zwischen ihr und seinem Bruder entspann.
Jedenfalls, in Folge seines Verlustes, packte er seine Sachen und war von einem Tag auf den anderen in Richtung Westen verschwunden und galt als verschollen.
Das wirklich atemberaubende daran war jedoch nicht so sehr, daß er 1918, nach drei Jahren wieder auftauchte, nein, vielmehr engagierte er sofort eine Menge Komparsen und überredete auch die Witwe seines Bruders, um in seinem Gedenken das Projekt fortzusetzen - und zwar auf einer Ebene an die ich als Zuschauer in dem Moment kaum zu denken gewagt hatte.
Die zurückliegende Zeit hatte er nämlich mitnichten einsam und grübelnd vergeudet.
Vielmehr führte er seine neuen Angestellten direkt wieder zurück in die Wildnis - vermeintlich.
Tatsächlich aber kamen jene aber kaum aus dem Staunen raus - und somit auch ich als Zuschauer - als sie dort plötzlich, mitten im Urwald Neuseelands, vor einem Bauwerk von wahrhaft
monumentalen Ausmaßen standen, welches das alte Jerusalem darstellen sollte und, sicher im Verhältnis zur damaligen Zeit, annähernd nicht den Vergleich mit
Minas Tirith der heutigen Zeit zu scheuen brauchte - und das im ersten Fünftel des 20 Jhdts., wo sich gerade mal die ersten Autos etabliert hatten und ein möderischer Krieg die Kolonialmächte Europas in eine menschliche und wirtschaftlich Katastrophe geführt hatte, also vielem anderen als ausgerechnet der noch jungen Kunst des Filmemachens ein Hauptaugenmerk galt.
Folgerichtig geriet auch gerade im weniger zentralen Neuseeland die Produktion schnell aus Geldmangel ins Wanken und die Arbeiten mußten nach nur 5 Drehtagen schon wieder eingestellt werden.
Die Dokumentation schildert anhand von Bildern, kurzen Filmschnipseln (nicht unbedingt von dem Projekt) in typischer Machart der Zeit und Interviews den weiteren Irrweg des Werkes unter dem steten Bemühen
Colin McKenzies seine Vision endlich zu Leben zu erwecken.
Dabei versuchte er zunächst eine Finanzierung auf die Beine zu stellen indem er die Gelegenheit nutzte, die sich durch seine Bekanntschaft mit dem kurzzeitig zu Ruhm kommenden, aber eigentlich untalentierten einheimischen `Komiker´
"Stan, the Man" ergab. Die beiden setzten zusammen etwas um, was man heute wohl als Slapstick-Humor bezeichnen würde, allerdings in einer recht derben Form und mit einem ebenfalls im Rückblick überraschend vertraut erscheinenden `Reality´-Element - ahnungslose Passanten wurden Opfer von Torten im Gesicht, Tritten und anderen teils recht gewalttätig anmutenden Streichen, die schließlich in einem unwissentlichen, aber umso folgenreicheren `Attentat´ auf den
damaligen Premierministers Neuseelands und seine Gattin kulminierten.
Dabei gelang
Colin McKenzie eine Aufnahme, die in der Dokumentation mit einer Art
`Rodney King´-Charakter belegt wurde, als nämlich die Geheimpolizisten des Staatsoberhauptes gnadenlos auf
"Stan, the Man" einzuprügeln begannen.
Während dieser im sonnigen, aber allzu kurzen Glanz des nachfolgenden Ruhmes seinem vermeintlichen Ruf nach Hollywood folgte, kam jenes 1925 zu
McKenzie nach Neuseeland in Gestalt des Mogulen
Solomon, der nach Ansicht der Drehstätte auch sofort 100 000$ zuschoß, von denen der Vorschuß, ein Viertel, bereits nach einer Massenszene (Schlacht zwischen Herodes´ Soldaten und proto-christlichen Fanatikern) verbraten war.
Dennoch war dieser Filmmagnat für den Neuseeländer über die 20er eine verläßliche Geldquelle, die seine Kreation entscheidend voranbrachte - bis sie an einem recht bekannten welthistorischen Datum 4 Jahre später jäh versiegte.
In seiner Not und seinem künstlerischen Ehrgeiz ging
McKenzie ab `30/`31 sogar einen Pakt mit Stalin ein, dessen Regime ihm über die Vertreter der lokalen KP die ersehnten finanziellen Mittel zur Fortsetzung zur Verfügung stellte.
Selbstverständlich ließ die Einflußnahme auf den künstlerischen Part von dieser Seite nicht lange auf sich warten, die entsprechend der von ihnen gestellten Bedingungen das biblische Epos in ein Propaganda-Machwerk umfunktionieren wollte, weswegen u.a. alle biblischen Motive daraus gestrichen werden sollten und durch klassenkämpferische Elemente ersetzt werden.
McKenzie wehrte sich dagegen, indem er die Szenen doppelt bis mehrfach drehte, wovon mindestens eine Einstellung der Umsetzung seiner originalen Version zugedacht war, während die andere seinen ungeliebten Auftraggebern das gab, was sie verlangten.
Gegen Ende geriet er auch von dritter Seite unter Zeitdruck, hatten doch die Rechte seines ehemaligen amerikanischen Finanziers sich ein mafiöser italienischer Clan unter den Nagel gerissen, die wohl ihren Anspruch noch mit ganz anderen Methoden unterstreichen wollten, als sie schließlich in Neuseeland zur Begutachtung ihrer Investition ankamen.
In dieser Situation sollte
Colin McKenzies Manie einen überteuren Preis fordern.
Längst hatte er seine ehemalige Schwägerin und Hauptdarstellerin geheiratet und diese war in freudiger Erwartung, als er in einer letzten, schier wahnsinnigen Anstrengung eines 72-Stunden-Drehs sein Lebenswerk zu einem erfolgreichen Ende zu bringen suchte.
Wie man sich vorstellen kann, überforderte das die Gesundheit seiner großen Liebe und letztenendes, nach einer Frühgeburt, verbluteten sowohl sie als auch das Neugeborene am Platze.
McKenzie begräbt danach in Gram nicht nur seine junge Familie sondern auch seine filmische Kreation an Ort und Stelle und seine Spur bleibt noch eine Weile erhalten, führt ins Europa des nahenden WW II und dort die Auseinandersetzungen im spanischen Bürgerkrieg, die er, genauso wie im vorangegangen mit der Kamera dokumentarisch begleitet, und verliert sich dann.
Genauso wie die seines Werkes und der sagenhaften Filmstadt im neuseeländischen Dschungel.
Während der gesamten Sendung waren auch bereits parallel die Bemühungen einer lokalen Forschungesexpedition zu sehen gewesen, die versuchte ebenjene nach über 60 Jahren 1994 wieder ausfindig zu machen.
Und was soll ich sagen:
Es dürfte nicht von ungefähr kommen, daß jener ausgerechnet kein geringerer als
Peter Jackson persönlich angehörte.
Und tatsächlich waren er und seine Kompagnons schließlich erfolgreich - mehr als zu erwarten stand.
Das eigentliche Juwel sollte nämlich in dieser Dokumentation noch auf mich als Zuschauer warten.
Nicht nur daß sie im längst überwuchernden Gestrüpp schließlich die Betonbauten, über 73 Meilen fernab jedweder Zivilisation, wiederentdeckten, in ausnehmend fantastischem Zustand. Nein, zu aller wohl insgeheimer Hoffnung aber dennoch sicher übergroßen Überraschung, konnten sie tatsächlich in einer kleinen Kammer mit den ebenfalls bewunderswert gut erhaltenen Originalrequisiten des Filmes, sogar die Dutzende von
Colin McKenzie einst in einem Sarkophag (keine Angst, auch nur Requisite! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" /> ) vor den Nachstellungen seiner Gläubiger in Sicherheit gebrachten Rollen seines Werkes bergen.
Nach mühseliger, monatelanger Kleinarbeit war von der neuseeländischen Filmkomission bereits ein Termin für die posthume Welturaufführung seines ewigen Traumes angesetzt, als der Expedition um
Jackson noch das Privileg zuteil wurde, daß eine ihrer Anfragen an die spanischen Museen doch noch Antwort fand und ihnen damit den letzten Mosaikstein in einem filmhistorischen Puzzle lieferte.
Das Schicksal wollte es nämlich, daß das Medium welchem
Colin McKenzie sein Leben gewidmet hatte, schließlich auch dessen Ende präzise dokumentiert hatte.
In einer uralten Filmrolle, die ihm zugeordnet war, befand sich ein Streifen, der den blutigsten Angriff des erwähnten Bürgerkrieges zeigte und einen Soldaten, der direkt vor dem Objektiv des Kamermannes getroffen zu Boden fällt. Dieser versucht seinem Kameraden zu Hilfe zu eilen, als eine letzte Salve beide tödlich erwischt.
Der Kameramann war der verschollene
Colin McKenzie.
Was ich nach diesem eher traurigen Anblick allerdings an Bildern zu sehen bekam übertraf alles und stellte das absolute Highlight der Sendung dar:
Die Dokumentation geht nun zur Aufführung in Neuseeland 1995 über.
Die insgesamt vom Restauratorenteam auf 3 Stunden geschnitte Fassung wird in den entscheidenden Szenen nacherzählt.
Und diese Bilder! Diese Bilder!
Wer immer in den 80ern alte Schwarzweiß-Filme, z.B.
"Stan und Ollie" oder
"Buster Keaton", gesehen hat, kennt vielleicht noch deren damals typisches Erscheinungsbild - die Bewegungen erscheinen einem zu schnell, teils abgehackt, der Kontrast ist nicht besonders volumniös, die Konturen daher verwaschen, Details, vor allem in Gesichtern, kaum sichtbar.
Ganz anders dieses, welches somit neben der damaligen Leistung wohl auch die in den letzten nicht zuletzt offensichtlich dank `digitaler Revolution´ gemachten Fortschritte in der Aufbereitungs- und Abspieltechnik:
Die Gesichter verlieren ihre Auswechselbarkeit, es sind klar sehr individuelle Personen, mit sehr unterschiedlichem Erscheinungsbild zu erkennen. Details wie Gesichtskonturen, Grübchen, Falten, Stirnrunzeln bis hin zu Pickeln und Muttermalen, sowie feinsten Haarsträhnen sind wunderbar deutlich sichtbar.
Dasselbe gilt für die Kostüme.
Schier unglaublich sind jedoch einige Szenen mit Salomé im Thronsaal und im Kerker!
Obwohl eigentlich schwarzweiß, tritt hier das Sonnenlicht eher gelb, ja fast bernsteinfarben, in Erscheinung, und die einzelnen Strahlen sind so fein aufgelöst, daß man schon fast annähernde die Qualität heutiger Produktionen zu erblicken vermeint.
Besonderes deutlich wird das bei dem seitlich einfallenden Licht in das kleine Kerkerfenster in dem Johannes der Täufer (vom Macher selbst dargestellt) seinem grausamen Schicksal harrt, teils auf der Rüstung des Kerkermeisters und geliebten der schönen Herodestochter (gespielt vom Bruder) die Details wundervoll hervorhebend und vor allem aber beim Auftritt der Prinzessin selber, in denen es golden um sie herum in den Thronsaal flutet.
Sonst gingen solche Effekte eher in einem Meer von bloßen weißen Flächen unter weißem Himmel unter, kaum das mal ein deutlicher Schatten zu sehen war.
(Vielleicht ist das auch den ersten Experimenten zu verdanken, die die Brüder zuvor erfolgreich - technisch zumindest, leider aber nicht kommerziell, vielmehr kamen sie sogar aufgrund des Inhaltes für 6 Monate ins Zuchthaus! - mit
Farbfilm durchgeführt hatten!!)
Alles in allem bekam ich damit ein wahrhaft
filmhistorisch einzigartiges Dokument zu Gesicht, welches ich nicht zu erahnen gewagt hätte, daß es existieren könnte.
Krass!!! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/eek.gif" alt="" />
Ob die Leute andere Filme dieser Zeit damals in ähnlicher Brillanz erlebt haben (ähnlich ging es mir neulich mit der ebenfalls exzellent restaurierten Fassung von
Charlie Chaplins "Der Große Diktator" auf arte!), und wir in den späteren Jahrzehnten im Fernsehen und Kino auf diesen Genuß nur wegen der unweigerlichen Alterung des Materials und fehlender Bemühungen dem entgegenzuwirken verzichten mußten, oder ob das aufgrund der zu Beginn verfügbaren Qualität der Abspielgeräte eher nicht der Fall war und deren Zuschauererlebnis doch mehr meinen zuvor geschilderten ersten Erfahrungen entsprach, hab´ ich mich schon seit einiger Zeit gefragt.
Und wenn ich auch darauf nach diesem Anschauungsunterricht immer noch keine endgültige Antwort zu haben glaube, so sind doch zumindest die Möglichkeiten des Aufnahmemediums der damaligen Zeit und was mit heutiger Technik dabei rausgeholt werden kann, schon umwerfend und es ist eine wahre Faszination diese Ergebnisse anzuschauen!
<img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />
Ebenso wie die Tatsache, daß weitab von den damaligen großen Studios in Hollywood und in der Frühzeit des Filmes, mitten im Urwald von Neuseeland ein solches Projekt entstehen konnte!
Ragon, der Verzauberte
<img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />
P.S.: Die Dokumentation hieß übrigens laut Programm
"Forgotten Silver" und lief von 23.20 - 0.15 Uhr.
Falls Ihr mal wieder die Gelegenheit bekommen solltet - unbedingt empfehlenswert! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" /> <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />
*seufz* <img src="/ubbthreads/images/graemlins/rolleyes.gif" alt="" />