THE DESCENT - ABGRUND DES GRAUENS:
Sechs Freundinnen im Alter von etwa 20 bis 35 Jahren machen eine Art Abenteuerurlaub und wollen in einem Höhlensystem herumklettern. Dummerweise geraten sie jedoch in eine komplett unerforschte Höhle und werden dort nach einem Erdrutsch eingesperrt. Unangenehm genug, doch auf der Suche nach einem zweiten Ausgang treffen sie zu allem Überfluß noch auf fleischfressende Monster, die durchaus das Resultat einer Paarung zwischen Gollum und einem Ork sein könnten ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" />

Der Horrorfilm des 35-jährigen britischen Independent-Regisseurs Neil Marshall ("Dog Soldiers") war DER Hit der diesjährigen Fantasy-, Mystery- und Horrorfilm-Festivals, erhielt aber auch von den üblichen Kritikern gute Kritiken und wurde in England sogar zu einem veritablen Kassenerfolg.
Zurecht.
Denn "The Descent" ist endlich mal wieder ein purer Horrorfilm. Dieses Jahr gab es mit "Creep" mit Franka Potente ja schon einen Horrorfilm, der mit sehr gut gefallen hat (insgesamt aber sehr kontrovers besprochen wurde), doch der konnte mich eher mit seinem trashigen Charme überzeugen - "The Descent" ist da ganz anders.
Erstmal ist er gewissermaßen ein echter "Frauenfilm" - lediglich im Prolog während des Vorspanns kommt ein Mann vor, ansonsten gibt es nur Frauen im Film (und Monster natürlich! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" />). Die Darstellerinnen sind weitgehend unbekannt, machen ihre Sache aber ordentlich - auch wenn es gerade in der ersten Hälfte des Filmes für meinen Geschmack doch etwas arg viel Gejuchze und Gekreische gibt ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />
Überhaupt ist die erste Hälfte noch etwas zwiespältig zu betrachten. Regisseur Marshall geht recht langsam vor, etabliert geschickt die Charaktere und baut sogar so etwas wie eine Hintergrundstory auf - nur gelegentlich gibt es ein paar zwar sehr gut getimte, aber letztlich doch recht billige Schockmomente. Vermutlich einerseits eine Art Beruhigung für hartgesottene Horrorfans, die sich in diesem Stadium des Films ansonsten langweiligen könnten, andererseits aber auch eine gekonnte Irreführung des Publikums, das in der Folge einen relativ konservativen Horrorfilm erwartet - und positiv überrascht wird!
Einige dieser durchaus selbstironischen Szenen sind wirklich gelungen, wenn beispielsweise eines der Mädels wie am Spieß schreit, weil aus der Dusche nur eiskaltes Wasser kommt - tja, später werden die Damen aus anderen Gründen schreien ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />
Nach diesem recht gemächlichen Aufbau geht es also endlich in die Höhle und damit zur Sache - ohne daß ich zuviel verraten will!
Nur soviel: Je länger der Film dauert, desto mehr Action gibt es. Die ist sehr gut gemacht und spart auch nicht an einigen recht extremen Splatterszenen (wobei aber einige der ekligsten Szenen nicht mal mit Gollums Nachfahren zu tun haben!). Wie so oft im Genre gilt jedoch auch hier: Das Beste ist eigentlich die atemlose Spannung ZWISCHEN den Schockmomenten. Die kommt am Ende leider ein klein wenig zu kurz, dafür wird man jedoch durch einige wahrhaft überraschende Szenen mehr als entschädigt und durch die erfreuliche Tatsache, daß die meisten Horrorfilm-Klischees elegant umschifft werden.
Tatsächlich wendet Marshall nicht mal die erwartete "Zehn kleine Negerlein"-Methode im herkömmlichen Sinne an, sondern fügt immer wieder einen kleinen, aber feinen Twist ein (trotzdem schade, daß es meinen Liebling unter den Mädels gleich als erstes erwischt ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />).
Und am Ende schafft er es sogar, das Publikum innerlich auf einen wirklich billigen Schlußgag (sowas ist im Genre ja unvermeidlich) vorzubereiten - nur um dann doch einen ganz anderen, ungleich besseren anzubringen!

Doch bevor ich zu sehr ins Schwärmen komme - ein paar kleine Schwächen gibt es dann doch. Am meisten geärgert hat mich, daß die sechs Frauen tatsächlich in dieses Höhlensystem hinabsteigen und nicht spätestens dann umdrehen, als sie sich durch einen extrem engen Gang schlängeln müssen. Sorry, Mädels! Aber wenn ihr wirklich so dämlich seid, bis dahin nichts zu bemerken, dann habt ihr es eigentlich fast schon verdient, was danach auf euch zukommt! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/evilgrin1.gif" alt="" />
Außerdem bleibt die in der ersten Hälfte etablierte Hintergrundstory letztlich erwartungsgemäß doch nur ein Alibi, um einige - zugegebenermaßen sehr gelungene - Szenen später im Film zu rechtfertigen. Wirklichen Tiefgang gibt es aber natürlich nicht. Naja, wer würde den in einem Horrorfilm auch ernsthaft erwarten ...

Aber zum Abschluß dieser erstaunlich ausführlichen Kritik (wohl auch ein Ausdruck meiner großen Sympathie für den Film <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />) möchte ich noch erwähnen, was ich bei allen Stärken des Films mit Abstand am besten fand: Die phänomenale Musik von David Julyan ("Memento", "Insomnia")!
Wenn die Welt gerecht wäre, würde er dafür zweifelsohne den OSCAR erhalten, denn "The Descent" ohne diesen tollen Score wäre wie "Gladiator" ohne die Musik von Hans Zimmer oder "Star Wars" ohne die Musik von John Williams - nur halb so gut! Anders als bei der Hollywood-Horror-Durchschnittsware setzt Regisseur Marshall nämlich nicht auf billige Soundeffekte, um sein Publikum zu schocken - statt dessen nutzt er David Julyans epochalen, immer wieder gänsehauterzeugend an- und abschwellenden Score, um die spannungsgeladene Atmosphäre immer wieder ins Unendliche zu steigern. Das ist schlicht und ergreifend genial - und nichts weniger!

Umso trauriger, daß dieser Soundtrack offenbar (noch?) nicht auf CD erhältlich ist ...

Fazit: Wer keine Probleme mit unappetitlichen Szenen und nahezu unaufhörlicher, nervenzerrender Spannung hat und nicht gerade auf der Suche nach einer anspruchsvollen Literatur-Verfilmung ist, sollte mit "The Descent" jede Menge Spaß haben!
9 Punkte.

Last edited by Ralf; 23/11/05 01:36 PM.