ERAGON - DAS VERMÄCHTNIS DER DRACHENREITER:

Die Geschichte ist klassisch: Junger Bursche (hier: Eragon) wächst am Arsch der Welt auf einer Farm auf, ehe ein geliebter Mensch stirbt und Eragon erfährt, daß er auserwählt ist (hier: als Drachenreiter, der als einziger das Böse besiegen kann). Er findet einen Mentor und macht sich auf den Weg, sein Schicksal zu erfüllen.

Tja. Die Struktur kommt einem sehr bekannt vor, nicht wahr? "Eragon" ist die Verfilmung eines weltweit erfolgreichen Fantasy-Romans des Teenagers Christopher Paolini. Dem Buch (mittlerweile gibt es auch einen Nachfolger) wird oft vorgeworfen, ein ziemliches Plagiat von "Herr der Ringe" und Co. zu sein. Nun, ich habe es nicht gelesen, aber der Film orientiert sich jedenfalls sehr eindeutig an Tolkiens Meisterwerk bzw. Peter Jacksons cineastischer Umsetzung des selbigen.
In Paolinis Fantasywelt gibt es ganz klassisch Elfen (die wohl einzige im Film wird von Sienna Guillory verkörpert, die zwar hübsch, aber nicht wirklich elbisch aussieht), Zwerge (amüsanterweise einfach kleine, bärtige Männer ...), böse und gute Zauberer und eben die Drachenreiter, die einst von einem der ihren verraten wurden, der nun als dunkler König über die Welt herrscht (John Malkovich schafft es tatsächlich, sein gewohntes finsteres Charisma auszuspielen, obwohl seine Rolle kaum mehr als ein Cameo ist). Achja, und die Schergen der Bösen sehen ziemlich nach Orks aus, auch wenn sie anders heißen ...

Für Regisseur Stefen Fangmeier ist "Eragon" das Regiedebüt, bislang war er vor allem für die visuellen Effekte in Filmen wie "Lemony Snicket", "Master & Commander", "Jurassic Park" oder "Die Bourne Identität" zuständig. Folgerichtig sind auch in "Eragon" die visuellen Effekte, darunter Drachenlady Saphira, ein Highlight (wenngleich die eher unbefriedigende finale Schlacht das relativ geringe Budget des Films erahnen läßt), ebenso die oft wunderschönen Aufnahmen von Kameramann Hugh Johnson - allerdings sind einige Einstellungen beinahe 1:1 aus "Der Herr der Ringe" abgefilmt ... Die Musik von Patrick Doyle ist stimmungsvoll, wird aber gelegentlich etwas zu aufdringlich eingesetzt.

Damit ist also klar, daß der Film toll aussieht. Aber was steckt hinter der schönen Fassade? Leider nicht genügend. Die Geschichte ist klischeehaft (wenn auch durchaus unterhaltsam) und ist viel zu überhastet erzählt, dazu bleiben leider sämtliche Charaktere komplett oberflächlich.
Kein Wunder, wenn man ein Buch von über 700 Seiten auf gerade mal 100 Minuten Film zusammenstaucht (man vergleiche das mit den "Herr der Ringe"-Filmen, bei denen Jackson aus jeweils etwa 400 Seiten 170 bis 200 Minuten pro Film machte und immer noch einiges weglassen mußte)!
Den Schauspielern kann man da keinen großen Vorwurf machen: Newcomer Ed Speleers macht seine Sache als Drachenreiter Eragon in seinem allerersten Film sehr ordentlich (was nicht so einfach ist, da die Figur mitunter recht vorlaut und stur ist und somit nicht unbedingt als Identifikationsfigur taugt), Jeremy Irons spielt seine Rolle als Mentor Brom mit gewohnter Souveränität, Robert Carlyle gibt sich als dämonischer Hexer schön fies und Djimon Hounsou und Sienna Guillory sehen gut aus (nein, mehr haben sie wirklich nicht zu tun, was gerade beim unbestritten sehr guten Schauspieler Hounsou eine echte Verschwendung darstellt!). Und selbst an Nena als deutsche Stimme der telepathisch begabten Drachin Saphira gewöhnt man sich nach einer Weile (im Original wird sie von keiner geringeren als OSCAR-Gewinnerin Rachel Weisz gesprochen).

Unterm Strich ist "Eragon - Das Vermächtnis der Drachenreiter" ein sehr schön anzusehender, aber leider auch sehr mittelmäßiger Fantasy-Film für die ganze Familie (die FSK12-Freigabe für dieses harmlose Werk halte ich übrigens für übertrieben, wenn man bedenkt, daß selbst "Der Herr der Ringe" in den Kinofassungen ab 12 freigegeben wurde ...), der unglaublich viel Potential durch die überhastete Erzählweise verschenkt. Bei kommerziellem Erfolg gilt eine Verfilmung des zweiten Buches als sicher - dann aber bitte mit etwas mehr Sorgfalt, denn allen Klischees zum Trotz bietet diese Fantasy-Welt mit Sicherheit genügend Raum für schöne Geschichten.
6 Punkte.

Und damit immer noch deutlich besser als "Narnia" oder gar "Dungeons & Dragons" ...

Last edited by Ralf; 15/12/06 03:08 PM.