FLAGS OF OUR FATHERS:

Eine der bekanntesten Photographien überhaupt stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie zeigt sechs amerikanische Soldaten, die einen riesigen Mast mit der amerikanischen Flagge auf den Gipfel des Mount Suribachi auf der heftigst umkämpften japanischen Insel Iwo Jima pflanzen.
Das ist der Ansatzpunkt für Clint Eastwoods neuestes Meisterwerk, basierend auf dem gleichnamigen Roman von James Bradley und Ron Powers, der die wahre Geschichte jener sechs Soldaten erzählt (Bradley ist der Sohn von einem).

Dabei schafft "Flags of our Fathers" doch tatsächlich das Kunststück, das scheinbar ausgereizte Genre der Kriegs- bzw. Anti-Kriegsfilme aus einem neuen Aspekt zu betrachten, denn die eigentlichen Kampfhandlungen auf Iwo Jima machen nur die eine Hälfte des Films aus, während sich die andere um die Erlebnisse der überlebenden Soldaten auf dem Foto zurück in der Heimat dreht. Denn drei der sechs Soldaten fielen bereits kurze Zeit später im Gefecht, die übrigen drei hingegen wurden zurück in die USA gebracht, wo sie - die "Helden von Iwo Jima" - im Dienste des Vaterlandes für den Kauf von Kriegsanleihen werben sollen/müssen/dürfen.
Die drei Kameraden gehen ganz unterschiedlich mit der neuen, ungewohnten Aufgabe um: Während Rene (Jesse Bradford) den Ruhm und die mediale Aufmerksamkeit sichtlich genießt und "Doc" (Ryan Phillippe) einfach nur versucht, das zu tun, was ihm aufgetragen wird, verachtet Ira (stark in einer allerdings auch dankbaren Rolle: Adam Beach) den ganzen Zirkus und sucht Zuflucht im Alkohol.

Die Szenen auf Iwo Jima erinnern stark an Steven Spielbergs "Der Soldat James Ryan" - kein Wunder, fungiert Spielberg doch hier als Produzent! Die Kämpfe wurden in stark verwaschenen Farben gedreht, wodurch sie frappierend an die alten "Wochenschau"-Berichte aus dem realen Krieg erinnern (genau wie in "Der Soldat James Ryan"). Eastwood hat die Landung der Amerikaner auf dem kleinen Eiland (dessen Bedeutung für die amerikanischen Befehlshaber vollkommen unklar ist - die Invasion wurde nur befohlen, weil die Insel den Japanern so wichtig ist!) schonungslos und teilweise sehr brutal inszeniert, auch wenn die Szenen nicht an die Intensität der berühmten Landungs-Szene in "Ryan" herankommen. Was wohl auch gar nicht Eastwoods Bemühen war, denn jene Szene dürfte für lange Zeit unübertreffbar sein und außerdem zielt Eastwoods Film auch auf etwas ganz anderes ab. Die Japaner bleiben übrigens fast komplett gesichtslos, sind eigentlich nur in Gestalt feuernder Waffen oder als Leichen zu sehen - ihre Geschichte erzählt Eastwood im nächsten Monat bei uns startenden "Letters from Iwo Jima".

Eastwood zeigt seine Geschichte nicht einfach chronologisch, sondern wechselt immer wieder zwischen den Zeitebenen und Schauplätzen hin und her. So kontrastieren die beinahe schwarz-weiß erscheinenden Kampfszenen besonders extrem mit den bunten, augenscheinlich fröhlichen Bildern aus den Staaten und unterstreichen damit nur das Grauen des Krieges.
Doch auch die zweite Handlungsebene an der "Heimatfront" ist keineswegs frei von Grauen - wenn auch einer ganz anderen Art von Grauen.
Typisch Eastwood, daß er allerlei Mißstände beinahe beiläufig anprangert. Wenn beispielsweise der Indianer Ira in Football- und Baseball-Stadien bei der unfaßbaren, nachgestellten Erstürmung eines Papp-Mount-Suribachi von Zehntausenden gefeiert und bejubelt wird, später aber - unerkannt - in einer Kneipe nichts zu trinken bekommt, denn "wir bedienen keine Indianer" ...
Oder wenn in einem Akt besonderer Geschmacklosigkeit den drei "Helden" wider Willen bei einer Spenden-Veranstaltung ein Dessert serviert wird, welches das berühmte Foto mit der Flaggen-Pflanzung nachformt. Passenderweise gibt es dazu schön rote Erdbeersoße ...

Besonderes Lob gebührt auch der Musik, die Eastwood selbst gewohnt zurückhaltend, aber gerade in den Kampfszenen umso passender komponiert hat.

Fazit: "Flags of our Fathers" ist ein ungewöhnlicher, aber hervorragender Anti-Kriegsfilm, dessen einzige kleine Schwäche ist, daß er nicht übermäßig subtil ist und am Ende vielleicht ein bißchen zu rührselig wird. Das verhindert auch die Höchstwertung. 9 Punkte.

Interessant ist übrigens, daß "Flags of our Fathers" Kritiker und auch Zuschauer sehr gespalten hat. Während es zwar etliche euphorische Kritiken gab, sind doch auch überraschend viele negative zustandegekommen und auch die User-Bewertungen z.B. bei der IMDB sind zwar gut (in dem Fall 7,3), aber nicht überragend. Hauptkritikpunkt scheint zu sein, daß der Film "langweilig" sei. Ich vermute mal, sowas ist das Ergebnis falscher Erwartungen, denn wer einen typischen Kriegsfilm mit viel Action erwartet, der wird vermutlich enttäuscht werden. "Flags" erinnert mich in gewisser Hinsicht eher an Filme wie "Lord of War", "Catch-22" oder auch "M.A.S.H.", nur mit wesentlich weniger Humor.
Was ich jedoch (gerade angesichts des sehr kritischen Untertons im Film) überhaupt nicht verstehe ist die Tatsache, daß "Flags" außerhalb der USA (zumindest beim normalen Kinopublikum) deutlich schlechter ankommt als in den Staaten selbst. Möglicherweise ist die Thematik mit den Kriegs-Anleihen und der mehr oder weniger erzwungenen Werbetour der "Helden" für den Durchschnitts-Zuschauer doch zu amerikanisch? Fände ich jedenfalls schade, denn das ganze läßt sich zumindest sinngemäß sicherlich auch auf andere Nationen übertragen ...

Last edited by Ralf; 22/01/07 03:35 PM.