OSCAR-Countdown, Teil 2:

DREAMGIRLS:

Um ehrlich zu sein: Normalerweise hätte ich mir dieses R´n´B-Musical frühestens bei der ersten TV-Ausstrahlung angeschaut - zu unoriginell war der Trailer, zu uneinig waren sich die Kritiker und zu wenig mag ich normalerweise diese Musikrichtung. Aber dank 8 OSCAR-Nominierungen sah ich mich beinahe gezwungen, mir die "Dreamgirls" - die Verfilmung eines erfolgreichen Broadway-Stücks, das lose auf der wahren Erfolgsgeschichte von Diana Ross & The Supremes basiert - doch noch anzuschauen. Und ich wurde erfreulicherweise positiv überrascht!

Die in den 1960er Jahren beginnende Handlung unterscheidet sich noch groß von der anderer Musiker-Biopics der letzten Jahre ("Ray", "Walk the Line"): Die Dreamettes, bestehend aus den jungen schwarzen Sängerinnen Deena (Beyoncé Knowles), Effie (Jennifer Hudson) und Lorrell (Anika Noni Rose) tingeln durch die schwarzen Clubs in der Hoffnung auf den großen Durchbruch. Als sie schon beinahe aufgeben wollen, wird Curtis Taylor, Jr. (Jamie Foxx) auf sie aufmerksam. Der aufstrebende Manager - im Hauptberuf Autoverkäufer ... - bringt die drei als Background-Sängerinnen beim Star Jimmie Early (Eddie Murphy) unter. Ab dann geht es aufwärts, aber natürlich bleiben Rückschläge und Streitigkeiten nicht aus.

Im Vergleich zu den genannten vergleichbaren Filmen spielen Drogensucht und andere Schattenseiten des Ruhms, ja selbst der damals noch weit verbreitete Rassismus in "Dreamgirls" eine deutlich geringere Rolle, dafür werden die teils üblen Machenschaften der Musikindustrie eingehend (wenn auch nicht sehr tiefgehend) beleuchtet - und vor allem das Verhältnis der Charaktere untereinander (mit den üblichen Zutaten Liebe, Eifersucht, Verrat). Letzteres hat zur Folge, daß "Dreamgirls" sich storymäßig nicht allzu sehr von der typischen Vorabend-Seifenoper unterscheidet. Dafür hat der Film andere Stärken:
1. Ein phantastisches Darsteller- und Musiker-Ensemble!
2. Tolle Musik!

Erstmal zur Musik: Hier möchte ich vor allem darauf hinweisen, daß man sich nicht von den Songs verunsichern lassen sollte, die in den Filmausschnitten oder auch im Radio zu hören sind. Denn gerade diese Lieder - von denen drei sogar für den OSCAR nominiert sind - gehören meines Erachtens eindeutig zu den schwächeren des Films. Nun mag man sich fragen, warum dann ausgerechnet die nominiert wurden?
Ganz einfach, jene Songs, die bereits im Broadway-Stück verwendet wurden, standen nicht zur Auswahl. Lediglich die wenigen extra für den Film geschriebenen Lieder konnten gewählt werden (darunter das momentan in den Charts plazierte "Listen" von Beyoncé). Das ist wirklich schade, denn "Dreamgirls" hat wesentlich bessere Lieder und echte, mitreißende, mehrstimmige Musical-Nummern zu bieten!

Zu den Schauspielern: A star is born! Unter all den hervorragenden Darsteller-Leistungen sticht eine deutlich hervor: Das Leinwanddebüt der Gewinnerin der US-Variante (namens "American Idol") von "Deutschland sucht den Superstar" Jennifer Hudson hat nicht nur ein unglaubliches Stimmvolumen, sondern zeigt zudem eine fulminante, emotional mitreißende schauspielerische Vorstellung. Kein Wunder, daß die optisch eher unscheinbare Ms. Hudson in den USA die Titelblätter sämtlicher Magazine erobert hat. (Da fragt man sich schon, warum scheinbar in der ganzen Welt diese dämlichen Casting-Shows wenigstens ab und zu mal echte Stars hervorbringen, bloß in Deutschland nicht ...)
Den OSCAR hat Jennifer Hudson jedenfalls bereits zu 99,9% sicher, auch wenn es ziemlich peinlich ist, daß sie von der Academy als Beste NEBENdarstellerin nominiert wurde, wo sie doch in jeder Einstellung den Film beherrscht und die eigentliche Hauptdarstellerin Beyoncé Knowles reichlich blaß aussehen läßt.
Wäre sicher eine interessante Entscheidung zwischen "Queen" Helen Mirren und Jennifer Hudson geworden, wären gerechterweise beide als Beste Hauptdarstellerin nominiert worden ...

Ebenfalls für den Nebendarsteller-OSCAR nominiert wurde Eddie Murphy und auch er gilt als Favorit. Das erstaunlichste ist ja erstmal, daß Murphy tatsächlich singen kann (wer seit Jahrzehnten an die überdrehte deutsche Synchronstimme gewöhnt ist, mag sich das nicht mal in seinen wüstesten Alpträumen vorstellen <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />), aber auch sonst spielt er eine der besten Rollen seiner Karriere. Dennoch finde ich, daß ein OSCAR übertrieben wäre.
Zu meinem Erstaunen wird Jamie Foxx in den Kritiken kaum erwähnt, dabei beweist auch er einmal mehr, daß sein OSCAR für "Ray" kein Zufall war. Gerade in so einer zwielichtigen Rolle wie der als Manager, der für den Erfolg über Leichen geht, kann er seine Stärken voll ausspielen. Respekt. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />
Und auch die weiteren Darsteller, von denen außer "Lethal Weapon"-Veteran Danny Glover keiner sonderlich bekannt ist, fügen sich harmonisch ins gelungene Gesamtbild ein.

Herausragende Schauspieler/Sänger und tolle Musik stehen also einer klischeebeladenen, anspruchslosen Handlung gegenüber. Weiterhin soll auch nicht verschwiegen werden, daß der Film gerade angesichts der schwächeren Handlung mit seinen gut 130 Minuten etwas zu lang ausgefallen ist und sein Publikum kaum durchgehend fesseln kann. Eine gewisse Inkonsistenz mag auch den ein oder anderen Zuseher stören, denn während "Dreamgirls" zu Beginn eher ein Musikfilm ist (im Sinne einer normalen, gespielten Handlung mit eingeschobenen Musiknummern), entwickelt er sich zunehmend hin zu einem echten Musical, in dem die Handlung singenderweise vorangetrieben wird. Das ist schon ein gewisser Stilbruch innerhalb des Films, der aber viele kaum stören dürfte.

Insgesamt gibt es das gutgelaunte 8 Punkte, die aber keinesfalls an den Drehbuch-Autor (bzw. den Autor des Broadway-Stücks) gehen ...

Edit: Wie ich sehe, hat Jennifer Hudson "American Idol" gar nicht gewonnen, sie war "nur" eine der 12 Finalistinnen. Umso erstaunlicher, welche Karriere sie nun macht. :up;

Last edited by Ralf; 20/02/07 03:06 PM.