Daedalus: Nur solange sie nicht gewonnen hatten ...

Alrik: Da es sich um die internationale Version handelt (auch in den USA heißt es "Pan´s Labyrinth") und nicht nur um die deutsche (es hat schon seinen Sinn, daß ich bestimmte Begriffe verwende <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />), nehme ich wie Elgi an, daß es irgendeine Vorgabe dafür gab. Ich weiß bloß nicht, welche. Vielleicht dachte ja irgendein Heini von den Verleih-Firmen, daß man sich international mehr mit griechischer als mit römischer Mythologie auskennt? Warum auch immer ...

Jedenfalls folgt nun der 4. und letzte Teil meiner großen OSCAR-Woche:

LETTERS FROM IWO JIMA:

Nachdem der mehrfache OSCAR-Gewinner Clint Eastwood in "Flags of our Fathers" die amerikanische Sicht auf die verlustreiche Schlacht um Iwo Jima im 2. Weltkrieg geschildert hat (wobei die Schlacht dort eigentlich nur als Aufhänger einer kritischen Geschichte über die Manipulationen der Politiker auf Kosten der einfachen Soldaten war), ist nun die japanische Seite an der Reihe - konsequent auf japanisch gedreht und auch international nur mit Untertiteln versehen!

Im Zentrum der Geschichte steht General Kuribayashi (Ken Watanabe aus "Last Samurai" und "Batman Begins"), der mit der Verteidigung der kargen kleinen Insel betraut wurde. Kuribayashis Männer sind den Amerikanern in Anzahl und Bewaffnung hoffnungslos unterlegen und Aussicht auf Verstärkung gibt es auch kaum, doch der (auch durch einen längeren USA-Aufenthalt) weltgewandte General entwirft einen raffinierten Verteidigungsplan.
Mit seinen unkonventionellen Methoden stößt der "Amerikaner-Freund" jedoch auf erbitterten Widerstand bei einigen Offizieren, die noch immer komplett in veralteten Traditionen und Ehrbegriffen verfangen sind.
Auch Kuribayashi befindet sich in einem ständigen Konflikt zwischen seiner Erziehung und der japanischen Historie auf der einen Seite sowie seiner militärischen Ausbildung und seinem scharfen Verstand auf der anderen.

Anders als bei "Flags of our Fathers" läßt sich Eastwood diesmal viel Zeit mit der Einführung. Ehe die ersten Kampfhandlungen gezeigt werden, vergehen rund 45 Minuten, die Eastwood neben einer einfühlsamen Vorstellung der Hauptfiguren vor allem dazu nutzt, dem Publikum die japanische Kultur näherzubringen. Dabei herrscht ein sehr melancholischer Grundton vor, was natürlich auch logisch ist. Immerhin haben die Japaner die Schlacht verloren und fast keiner verließ die Insel lebend. Und was das wichtigste ist: Die Soldaten wußten, daß es so kommen würde!
Das beweisen die titelgebenden Briefe der japanischen Soldaten an ihre Angehörigen, die auf Iwo Jima vergraben waren und vor einigen Jahren gefunden wurden - und im Film als Grundlage für immer wieder eingeschobene, kurze Rückblenden dienen. Zumindest die Hauptfiguren des Films sind also nicht erfunden, sondern haben wirklich existiert - darunter übrigens mit dem Baron Nishi sogar der Gewinner der Olympischen Spiele 1932 im Springreiten - ausgerechnet in Los Angeles ...

Wenn dann die Amerikaner an der Insel anlanden und somit die Kämpfe beginnen, verändert sich der Ton natürlich. Wie in "Flags" zeigt Eastwood die Kämpfe realistisch (auch hier gilt FSK16) und ohne jede Verherrlichung. An dieser Stelle kommt auch die zweite Hauptfigur des Films richtig zur Geltung, der einfache Soldat Saigo (Kazunari Ninomiya, in Japan als Mitglied einer Boygroup ein Megastar), dessen Wege sich immer wieder auf erstaunliche Art und Weise mit denen von General Kuribayashi kreuzen. Hier in den Kämpfen wird auch immer offensichtlicher, daß die Japaner teilweise eher gegen ihre eigenen Traditionen kämpfen als gegen die Amerikaner. Flucht ist unehrenhaft, Aufgabe sowieso - einzige Alternative: Selbstmord (Seppuku). Das geht soweit, daß viele Offiziere und Soldaten sich lieber den klaren Befehlen Kuribayashis widersetzen und mit einer Handgranate selbst in die Luft sprengen als sich zurückzuziehen ...
Übrigens bleibt Eastwood der ihm eigenen Ausgewogenheit treu: Sowohl Amerikaner als auch Japaner werden keineswegs als ausnahmslos gut oder böse gezeigt. In beiden Filmen gibt es ausschließlich Grautöne, wobei der Regisseur seine Sympathie für die Soldaten, die im Kampf um eine karge, häßliche Insel fallen, von der keiner weiß, welchen Wert sie eigentlich haben soll.

Wie bei den Kampfszenen in "Flags" hat Clint Eastwood "Letters from Iwo Jima" sogar komplett mit einem äußerst verwaschenen Farbfilter inszeniert, sodaß die Bilder beinahe schwarzweiß wirken - was die gefühlte Authentizität des Gezeigten nur weiter verstärkt.

Insgesamt ist "Letters from Iwo Jima" das perfekte Gegenstück zu "Flags of our Fathers", wie die beiden Seiten einer Medaille. Beide Filme sind sehr verschieden und doch so ähnlich. In beiden Filmen geht es um Menschlichkeit und Unmenschlichkeit (die sprichwörtliche "Bestie Krieg"), um Heuchelei und die Sinnlosigkeit des Krieges, um Individuen, die ohne echte Vorbereitung in die Hölle geschickt werden und keine Ahnung haben, wie zum Teufel sie da lebend wieder rauskommen sollen.
Wie "Flags of our Fathers" gebe ich auch "Letters from Iwo Jima" verdiente 9,5 Punkte.

P.S.: In Japan - wo die verlorene Schlacht bis heute weitgehend totgeschwiegen wird - wurde "Letters" ein großer Hit, der auch in den Medien gefeiert wurde. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />
P.P.S.: Übrigens gibt es keine direkten "Crossovers" zwischen "Flags" und "Letters", kein Schauspieler hat in beiden Filmen mitgespielt. Dennoch gibt es einige Szenen, die sich direkt auf den jeweils anderen Film beziehen. Hervorragend gelöst, wie ich finde!
P.P.P.S.: Eigentlich wollte ich meine OSCAR-Woche ja mit "Tagebuch eines Skandals" abschließen, aber das wäre mir dann wirklich zu viel geworden ... Außerdem: Der Film ist zwar für immerhin vier OSCARs nominiert, davon gingen zwei Nominierungen aber an Hauptdarstellerin Judi Dench und Nebendarstellerin Cate Blanchet und, ehrlich gesagt: Ich brauche einen Film nicht gesehen zu haben, um zu wissen, daß diese beiden Ausnahmekönnerinnen darin eine OSCAR-reife Leistung zeigen!
Also hebe ich mir "Tagebuch eines Skandals" wie auch Robert DeNiros "Der gute Hirte" (eine Nominierung) für nächste oder übernächste Woche auf ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />

Last edited by Ralf; 23/02/07 02:47 PM.