BLACK BOOK:

Das von den Nazis besetzte Holland, 1944/45: Die jüdische Sängerin Rachel (überzeugend - und zwar mit vollem Körpereinsatz <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />: Carice van Houten) tritt nach diversen Schicksalsschlägen in den holländischen Widerstand ein: Sie färbt sich die Haare blond und nennt sich fortan Ellis. In dieser Aufmachung trifft sie zufällig auf den hochrangigen Nazi-Offizier Ludwig Müntze (gut wie immer: Sebastian Koch) - dessen Interesse an ihr offensichtlich ist. Der Widerstand will das ausnutzen und so nimmt Ellis mit Müntzes Hilfe eine Stellung als Sekretärin in der örtlichen Nazi-Zentrale ein. Theoretisch läuft also alles gut für den holländischen Widerstand, doch dummerweise gibt es einen Verräter in den eigenen Reihen - und daß Ellis sich allmählich in Müntze zu verlieben beginnt, macht die Sache auch nicht unbedingt einfacher ...

Nach rund 20 zunächst sehr erfolgreichen ("RoboCop", "Total Recall", "Starship Troopers"), dann aber zunehmend schwachen ("Showgirls", "Hollow Man") Jahren in Hollywood ist Star-Regisseur Paul Verhoeven in seine niederländische Heimat zurückgekehrt, um dort den teuersten (und schließlich auch erfolgreichsten!) Film der Landeshistorie zu drehen. Und dafür hat er sich gleich ein ausgesprochen kontroverses Thema ausgesucht, das in Holland zu wochenlangen erbitterten Diskussionen führte: Denn Verhoeven zeigt seine Landsleute in "Black Book" nicht nur als heldenhafte Widerstandskämpfer, sondern auch als egoistische Kollaborateure und Landesverräter - und, nach Kriegsende, als fanatische Racheengel.
Offenbar war dieses dunkle Kapitel der holländischen Geschichte - anders als beispielsweise in Frankreich - bis dahin kaum öffentlich thematisiert worden, denn anders läßt sich der ganze mediale Aufruhr wohl kaum erklären. Verhoeven mußte sich gar selbst von verschiedenen Seiten (man kann sich in etwa vorstellen, auf welcher Seite des politischen Spektrums die stehen) als Landesverräter und Nestbeschmutzer diffamieren lassen!

Dabei ist das ganze Getöse aus neutraler Sicht reichlich übertrieben, denn wenngleich Verhoeven natürlich und dankenswerterweise auf die meisten Gut-und-Böse-Klischees verzichtet und vielmehr ein einigermaßen realistisches Bild der damaligen Zeit sowie der unterschiedlichen Verhaltensweisen der holländischen Bürger zeichnet, ist "Black Book" im Grunde nicht mal ein echter Kriegsfilm, sondern eher ein Mix aus Action-Thriller und klassischem Krimi (samt tragischer Liebesgeschichte) vor dem Kriegshintergrund. Was ihm dafür übrigens von einigen internationalen Kritikern sogar vorgeworfen wurde ...

Ja, es gibt einige bedrückende Kriegsszenen, die die düstere Atmosphäre des Films bestimmen - aber im Vordergrund steht ganz eindeutig der Unterhaltungsaspekt mit actionreichen Thriller-Elementen und der komplizierten Suche nach dem Verräter in den eigenen Reihen. Und "Black Book" ist auch ein Charakterdrama. Eine Studie von Menschen im Krieg. Zwar wird dieser Aspekt angesichts der Inhaltsfülle des Films nicht allzu tiefgehend intensiviert, dennoch ist es Verhoeven (der auch einer von zwei Verfassern des Drehbuchs ist) gelungen, seine Charaktere auf beiden Seiten gut und nachvollziehbar auszuformen. Man fühlt mit ihnen!
Daran sind natürlich auch die durchweg guten Schauspieler stark beteiligt: Neben Koch und van Houten sind mit Christian Berkel als überzeugtem Nazi-General und Derek de Lint (einigen sicher noch als Hauptdarsteller der "Poltergeist"-TV-Serie bekannt, anderen vielleicht aus der gelungenen Literaturverfilmung "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins") als Anführer des Widerstands weitere bekannte Namen dabei, aber auch die (mir) unbekannten Darsteller wie Thom Hoffman, Waldemar Kobus oder Halina Reijn leisten ganze Arbeit.
Kameraführung, Kostüme, Musik etc. haben allesamt Hollywood-Niveau, wenngleich sich spektakuläre Action- bzw. Special-Effects-Sequenzen angesichts des im Vergleich zu amerikanischen Filmen immer noch sehr bescheidenen Budgets von rund 16 Mio. Euro in engem Rahmen halten (dann aber überzeugend sind).

Leider trüben einige aufgrund der zahlreichen überraschenden Plot-Wendungen häufig erst im Nachhinein erkennbare Logikfehler den positiven Gesamteindruck und durch die Vermischung so zahlreicher unterschiedlicher Genres gerät der Filmfluß gelegentlich etwas ins Stocken.
Eine Szene, die ich aus Spoiler-Gründen nicht genau erzählen kann, ist übrigens sogar dermaßen haarsträubend, daß ich fast befürchte, sie muß wahr sein: So dürfen nach der deutschen Kapitulation von den Alliierten gefangene Nazis ein bestehendes Todesurteil an einem "Hochverräter" unter ihnen allen Ernstes noch durchführen! Der konkrete Verweis auf einen bestimmten Paragraphen und ein paar spätere Bemerkungen im Film lassen mich befürchten, daß so etwas tatsächlich geschehen sein könnte.
Edit: Ich habe jetzt ein wenig geforscht und offenbar gab es tatsächlich einen ähnlichen Fall, in dem gefangene Nazis mit kanadischer Erlaubnis zwei Deserteure erschießen durften. Wurde Jahre später zu einem ziemlich Skandal in Kanada.
Das diente Verhoeven sicherlich als Inspiration. Wirklich unfaßbar, sowas. Wieder ein grausames Detail mehr über den 2. Weltkrieg und seine Folgen ...
Ein Artikel eines Doktoranden:
Victims of Circumstance

Insgesamt ist "Black Book" jedenfalls eine sehr gelungene filmische Rückkehr von Paul Verhoeven in seine Heimat. Dafür gibt es von mir gutgelaute 8 Punkte. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />

Last edited by Ralf; 16/05/07 01:15 PM.