DIE ERMORDUNG DES JESSE JAMES DURCH DEN FEIGLING ROBERT FORD:

Es gibt bereits Dutzende Filme �ber den wohl popul�rsten Outlaw der amerikanischen Geschichte - braucht es da wirklich unbedingt noch einen weiteren? Okay, er konzentriert sich im Gegensatz zu den meisten nicht sehr stark auf Jesse James selbst, sondern widmet auch seinen Mitstreitern fast ebensoviel Zeit. Allen voran Robert Ford. Aber hey, es gibt auch schon Filme, die die Geschichte komplett aus Fords Perspektive zeigen, beispielsweise das Regiedeb�t von Samuel Fuller, "Ich erscho� Jesse James". Ist also ein weiterer Film, der auch noch ernsthafter Anw�rter auf den l�ngsten Filmtitel des Jahrzehnts ist, wirklich eine gute Idee?

Darauf gibt es eine klare Antwort: JA!

Es ist schon erstaunlich, wie es dem australische Regisseur Andrew Dominik, der mit dem au�erhalb seiner Heimat weitgehend unbekannten "Chopper" (mit Eric Bana) aus dem Jahr 2000 nur einen anderen Film gedreht hat, gelingt, die Geschichte von Jesse James und Robert Ford in einer Art und Weise zu erz�hlen, die sich wohl von allen bisherigen Versuchen in der Filmgeschichte (ich habe nat�rlich auch nicht alle gesehen ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />) so deutlich abhebt.

Die Handlung beginnt hier mit dem letzten �berfall der James-Gang. Anschlie�end trennen sich die Mitglieder, um ihre Verfolger abzusch�tteln. Jesse (in Venedig f�r die Rolle als Bester Darsteller geehrt: Brad Pitt) nimmt mit seiner Frau (in einer leider viel zu kleinen Rolle: Mary-Louise Parker) und den Kindern eine neue Identit�t an, der erst knapp 20-j�hrige Robert Ford (Casey Affleck) versteckt sich mit seinem �lteren Bruder Charlie (Sam Rockwell) und einigen anderen auf der Farm seiner �lteren Schwester (wo �brigens jeder Einzelne Miete zahlen mu� <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" />).
Viel zu tun gibt es nicht, also wird vor allem geredet - was auch schon mal zu folgenschweren Streitigkeiten f�hrt.

Im Zentrum des Films steht die Charakterisierung der beiden Titelfiguren: Brad Pitt spielt den "furchtlosen Outlaw" Jesse James als kr�nklichen, aber gnadenlosen Mann, der aufgrund des Wissens um seine von der Regierung angeheuerten Verfolger sowie des auf ihn ausgesetzten stattlichen Kopfgeldes von seiner Paranoia bis an die Schwelle des Wahnsinns getrieben wird. Das f�hrt soweit, da� er sogar einen Freund hinterr�cks erschie�t, weil er �berzeugt ist, da� der ihn anl�gt. Weshalb oder wor�ber er l�gt, interessiert Jesse dabei �berhaupt nicht.
Robert Ford auf der anderen Seite ist das Nesth�kchen seiner Familie und nat�rlich auch der James-Gang und wird daher pausenlos getriezt und ins L�cherliche gezogen. Er ist seit seiner Kindheit Fan von Jesse James und eifert ihm in jeder Beziehung nach. Von sich selbst sagt er, er f�hle, da� er zu etwas Besonderem bestimmt sei. Doch obwohl Robert intelligenter ist als die meisten seiner Mitmenschen, erh�lt er einfach nie das, was ihm am allerwichtigsten ist: Respekt! Und diese Mi�achtung durch Menschen, die er teilweise sogar als Vorbilder betrachtet, nagt unerbittlich an ihm.

Sowohl Pitt als auch Affleck (der demn�chst auch noch im hochgelobten Regiedeb�t seines gro�en Bruders Ben "Gone Baby Gone" in der Hauptrolle zu sehen und somit der unumstrittene Aufsteiger des Jahres ist) spiegeln die Facetten ihrer so ungleichen und doch �hnlichen Charaktere absolut glaubhaft wider. �berhaupt ist "Die Ermordung des Jesse James ..." vermutlich der Film mit dem herausragendsten Schauspielensemble des bisherigen Jahres: Neben Pitt und Affleck brilliert auch Sam Rockwell nach l�ngerer Zeit mal wieder, der alte Haudegen Sam Shepard bringt Jesses �lteren Bruder Frank James prima r�ber und auch Jeremy Renner, Garret Dillahunt und Paul Schneider �berzeugen als weitere Mitglieder James-Bande. Und als Sahneh�ubchen hat Nick Cave (der gemeinsam mit Warren Ellis auch den Soundtrack komponiert und eingespielt hat) einen Gastauftritt in einem Saloon als S�nger der unvermeidlichen "Ballad of Jesse James", die �brigens auch Pate f�r den ungew�hnlichen Filmtitel stand ("It was Robert Ford, that dirty little coward; I wonder how he does feel, For he ate of Jesse's bread and he slept in Jesse's bed,
Then laid poor Jesse in his grave."). Welch grandioser Einfall! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />

Neben den ausgefeilten Charakteren und den exzellenten schauspielerischen Darbietungen hat der Film aber nat�rlich noch viel mehr zu bieten: Der vielfach OSCAR-nominierte Kameramann Roger Deakins unterstreicht die melancholische Stimmung gleicherma�en mit atemberaubenden Landschaftsaufnahmen wie intimen Szenen der Filmfiguren, das ganze wird kongenial untermalt durch die sehns�chtigen Kl�nge von Nick Cave und Warren Ellis. Dazu kommen wenige, aber schn�rkellos inszenierte Action-Szenen, die im Kontrast mit der sonstigen Langsamkeit des Films umso st�rker nachwirken.
In dieser Mischung f�llt mir nur ein Film ein, der mit "Die Ermordung des Jesse James ..." vergleichbar ist und auch in etwa das selbe qualitative Niveau erreicht: Robert Altmans ber�hmter Schneewestern "McCabe & Mrs. Miller".

Und dennoch ist der Film nicht perfekt geworden: Der Mittelteil des 160-Minuten-Epos zieht sich doch vor�bergehend ziemlich in die L�nge - es geschieht einfach zu wenig. Eine gewisse Straffung in diesem Bereich h�tte dem Film sicherlich nicht geschadet, auch wenn darunter vor allem die Nebencharaktere gelitten h�tten. Au�erdem mu� an dieser Stelle ausdr�cklich betont werden - sollte das aus dem bisherigen Text noch nicht klargeworden sein -, da� "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" alles andere als ein typischer Western ist!
Es gibt zwar ein paar (sehr gelungene und authentisch wirkende) Gewaltszenen und Schie�ereien, aber die Dialoge stehen zweifelsohne im Vordergrund. In diesem Sinne handelt es sich auch eigentlich gar nicht um einen Western, sondern um ein reinrassiges Charakterdrama und einen klassischen Arthouse-Film, der eben zuf�llig im Wilden Westen spielt. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />
So l��t sich auch gut erkl�ren, warum die Zuschauer (vor allem) in den USA dem Film weitgehend fernblieben - mal ganz abgesehen davon, da� gerade in den S�dstaaten viele einfach kein Interesse daran haben d�rften, die filmische Demontage des Mannes mitzuerleben, der trotz seiner erwiesenen Brutalit�t und mindestens 17 kaltbl�tigen Morden vielerorts noch immer als amerikanischer Robin Hood verehrt wird ...

Von mir gibt es dagegen knappe 9 Punkte! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />

Last edited by Ralf; 29/10/07 02:51 PM.