Doppelpack-Zeit! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />

ACROSS THE UNIVERSE:

Ende der 1960er Jahre: Der junge Liverpooler Werftarbeiter Jude (Jim Sturgess) hat genug von seinem geregelten, aber eher trostlosen Leben in England und heuert auf einem Kohlendampfer an, um seinen Vater in den USA zu besuchen (der nichts von seiner Existenz weiß). Zufällig trifft er dort auf den den hitzköpfigen Studenten Max (Joe Carrigan) und verliebt sich in dessen Schwester Lucy (stark: Evan Rachel Wood). Gemeinsam machen sich die drei auf nach New York, wo sie in einer Künstler-WG wohnen und glücklich sind. Bis Max nach Vietnam muß ...

"Across the Universe" erinnert stark an Milos Formans Broadway-Musical-Adaption "Hair" - nur daß es hier statt Rockmusik insgesamt 33 Beatles-Songs sind, welche die Handlung begleiten und vorantreiben. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />
Die erste Stunde des Films ist ein absoluter Traum! Die Musical-Nummern sind grandios arrangiert, teilweise phänomenal choreographiert (mein Favorit: "Let me hold your hand" während eines Football-Trainings! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" />) und von den überwiegend unbekannten Darstellern mitreißend und mit Verve vorgetragen. Die Handlung mit ihren überdeutlichen Anleihen bei "Hair" ist nicht sonderlich originell, stört aber auch nicht weiter. Kurzum: Ein phantastisches Vergnügen!

Doch dann kommt der radikale Stimmungsumschwung: Es war klar, daß ein Film, der explizit in den 60ern mit Studentenunruhen und Vietnam spielt, diese gesellschaftlichen Strömungen nicht einfach ignorieren kann. Aber man kann es auch übertreiben und das tut "Across the Universe" meiner Ansicht nach eindeutig. Die zweite Stunde des Films ist so weitgehend durchgehend düster und schwermütig gehalten, daß man fast schon Depressionen bekommt. Gut, die Musical-Nummern sind immer noch hervorragend in Szene gesetzt und werden dabei immer bizarrer und psychedelischer (was ja im Grunde genommen prima zu dieser Ära paßt) - nur leider werden in dieser Phase etliche Songs der Beatles verwendet, die ich ehrlich gesagt gar nicht kannte und auch nicht sonderlich gut finde. Selbst auf "Yellow submarine" wurde komplett verzichtet, dabei würde sich das doch perfekt in die psychedelische Stimmung einfügen ...
Auch merkt man als Zuschauer nun, daß die Geschichten einiger in der ersten Stunde liebevoll eingeführter Figuren wie der lesbischen Prudence entweder gar nicht oder nur alibimäßig vorangetrieben werden. Hier gibt es jede Menge verschenktes Potential zu beklagen. Immerhin gibt es dafür aber einige unterhaltsame Gast-Auftritte von Stars wie Joe Cocker, Bono oder Salma Hayek.

Am Ende wird man dann immerhin durch ein im besten Sinne zuckersüßes, aber recht überhastet herbeigeführtes Happy-End (nein, das ist kein wirklich Spoiler - aller Stimmungsumschwünge zum Trotz ist eigentlich von der ersten Szene an klar, wie der Film enden wird <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />) versöhnt, das wieder an die Stärken des Beginns anknüpfen kann.
Dennoch kann ich eine gewisse Enttäuschung über das Fehlen etlicher Beatles-Klassiker wie "Yesterday", "Help!" oder "Michelle" nicht verhehlen.

Somit bleibt unterm Strich: Eine perfekte erste neben einer überraschend düsteren (wesentlich mehr übrigens als das große Vorbild "Hair"!) und auch deshalb leicht enttäuschenden zweiten Filmstunde, die aber durch visuell berauschende und vor Phantasie überbordende Musik-Nummern sowie engagierte Jung-Darsteller gerettet wird. Das reicht für immerhin noch 7,5 Punkte.
Dennoch bleibt eine gewisse Ernüchterung, da sich auch "Across the Universe" in den Reigen jener Filme des Jahres 2007 einreiht, die ihr Potential nur ansatzweise ausreizen können. Aber wenigstens zeigt Regisseurin Julie Taymor nach dem hervorragenden "Frida" erneut, daß sie als eine der wenigen Frauen in der männerdominierten Regie-Riege locker mithalten kann. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />

PERSEPOLIS:

Bruce-Lee-Fan Marjane erlebt als Kind den vergleichsweise weltoffenen und freizügigen, aber politisch repressiven Iran unter dem Schah - und dann ist plötzlich die "islamische Revolution" da und alles soll besser werden! Endlich kommt Marjanes Onkel Anouche aus der politischen Haft frei, endlich gibt es freie Wahlen!
Okay, daß die islamische Partei mit 99,9% aller Stimmen diese "freie" Wahl gewinnt, sorgt für erste Sorgenfalten bei Marjanes Familie. Die immer restriktiveren Vorschriften, speziell bei der Bekleidung der Frauen, kommen auch nicht wirklich gut an. Und als dann Onkel Anouche wieder verhaftet wird und nach dem Angriff Saddams auf das noch geschwächte Land alles noch viel schlimmer wird, ist klar: Die Zeit unter dem Schah war vielleicht doch gar nicht SO übel ...

In "Persepolis" erzählt die heute in Frankreich lebende Autorin Marjane Satrapi als Co-Regisseurin die Geschichte des Iran in den vergangenen 30 Jahren aus Sicht eines vorlauten, selbstbewußten Individuums - sich selbst. Das ganze geschieht in Form eines Zeichentrickfilms, der nur auf den ersten Blick eher schlicht wirkt (wohl auch, weil er großteils in schwarz-weiß gehalten ist), tatsächlich aber ausgesprochen kunstvoll und beeindruckend gemacht ist. Fernab von jeglicher politischen Korrektheit (gleich welcher Richtung) erlebt das Publikum den Iran so, wie ihn Marjane (in der deutschen Version überzeugend gesprochen von der Deutsch-Iranerin Jasmin Tabatabai) als Kind, Teenager und junge Frau erlebt hat.

Dabei gelingt dem Film das Kunststück, stets intelligent, brutal ehrlich, nachdenklich und immer wieder zum Brüllen komisch zu sein. Entlarvend beispielsweise die Szenen, als Marjane ein Kunststudium in Teheran beginnt. Dort doziert dann schon mal der Professor über Botticellis "Geburt der Venus", nur daß die "unzüchtigen" Stellen des Bildes selbstverständlich geschwärzt sind. Da bleibt nicht mehr allzu viel übrig. Oder die Malstunde im Anatomiekurs: Gemalt wird eine Frau - die natürlich komplett verhüllt ist, sodaß, wie Marjane treffend bemerkt, eigentlich nur noch die Nase von der Anatomie zu sehen ist! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/ouch.gif" alt="" />

Aber neben den vielen witzigen Szenen (wenngleich der Humor meist ziemlich bitter ist) überzeugen auch die ernsten Szenen. So zeigt Satrapi, wie den Schülerinnen der Schleier als "Symbol der Freiheit" der Frauen verkauft wird, während auf der Straße jedes dahergelaufene Arschloch die Frauen anmachen kann, weil ihm der Schleier nicht tief genug über das Gesicht gezogen ist ...

Doch nicht der ganze Film spielt im Iran. Da Marjane als Teenager sehr aufmüpfig ist, fürchen die Eltern um ihre Sicherheit. Denn obwohl im Iran Jungfrauen nicht hingerichtet werden dürfen, haben die Mullahs eine elegante Methode gefunden, dieses Verbot zu umgehen: Jungfräuliche Delinquentinnen werden kurzerhand mit einem Revolutionswächter verheiratet. Somit werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen - ein loyaler Regierungsanhänger darf sich ein bißchen vergnügen und die Mullahs werden eine weitere unbequeme Aufrüherin simpel los. Bei solcher Perversion fehlen mir beinahe die Worte ...
Um Marjane dieses Schicksal zu ersparen, wird sie auf eine Privatschule nach Österreich geschickt. Wo sie natürlich wiederum Außenseiterin ist und trotz einiger Hochs letztlich auch nicht glücklich wird.

In dieser Phase liegt die vielleicht einzige echte Schwäche von "Persepolis" begraben: Zwar sind auch Marjanes Erlebnisse in Europa berührend und treffend erzählt, aber mitunter verkommt das ganze doch ein wenig zu offensichtlich zu einer nacherzählten Autobiographie. Es geht um diese Liebelei und jenen Streit etc. pp. Im Vergleich zu den Iran-Sequenzen wirkt das doch etwas trivial.

Dennoch: Insgesamt ist "Persepolis" ein wunderbarer Film geworden, der zurecht als französischer Beitrag um den Fremdsprachen-OSCAR 2008 konkurriert (und damit sogar die Piaf-Biographie "La vie en rose" aus dem Feld geschlagen hat). Das iranische Regime ist über den Erfolg des Films natürlich nicht übermäßig beglückt und als "Persepolis" in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde, führte das zu ziemlichen Spannungen im Verhältnis beider Länder (noch größeren als gewöhnlich). Bei einem Festival in Asien wurde der Film auf iranischen Druck hin sogar wieder ausgeladen ...
Das zeigt wohl mehr als deutlich auf, wie wichtig dieser unprätentiöse, persönliche Blick auf den Iran ist. Letztlich kann man daraus wohl mehr über den wahren Iran und seine jüngere Geschichte erfahren als aus den meisten noch so gelungenen TV-Dokumentationen.
Von dieser politischen, aufklärerischen Komponente abgesehen ist "Persepolis" schlicht und ergreifend ein sehr guter Film, dessen Anti-Diskriminierungs-Botschaft universell gültig ist. 9 Punkte.

Last edited by Ralf; 27/11/07 06:08 PM.