GONE BABY GONE - KEIN KINDERSPIEL:

Patrick Kenzie (Casey Affleck) hat es geschafft: Er ist dem tristen Leben in einem heruntergekommenen Bostoner Stadtteil als Erwachsener entkommen und arbeitet nun mit seiner Freundin Angie (Michelle Monaghan) als Privatdetektiv. Als jedoch das Kind einer sehr entfernten Bekannten von Patrick spurlos verschwindet und er von dessen Schw�gerin engagiert wird (weil sie hofft, da� er mehr aus den verstockten und �berwiegend kleinkriminellen Nachbarn herausbekommt als die Polizei), ist es wie eine R�ckkehr in seine Jugend. Tats�chlich findet Patrick schnell einiges heraus, was der Polizei um Captain Doyle (Morgan Freeman) verborgen blieb - doch irgendwie wird der Fall immer komplizierter und nichts ist, wie es scheint. Nein, das ist keine Floskel. Hier trifft die Aussage tats�chlich zu!

Nachdem seine Karriere als Schauspieler in den letzten Jahren doch ziemlich den Bach runtergegangen ist (trotz �berraschender Ehrung in Cannes 2006 f�r den im Kino untergegangenen "Hollywoodland"), versucht sich Ben Affleck nun erstmals als Regisseur. Ein wesentlicher Grund daf�r, da� er den Segen des Autors der Romanvorlage, Dennis Lehane, erhielt, war die Tatsache, da� Affleck selbst aus Boston stammt und somit in der Lage sein sollte, den f�r die Geschichte extrem wichtigen Bostoner Lokalkolorit authentisch r�berzubringen.
F�r die Wahl eines Regisseurs wirkt das eigentlich eher wie ein relativ schwaches Argument - vor allem, wenn der Regisseur zum ersten Mal in dieser Funktion arbeitet. Und doch war es ganz eindeutig die richtige Wahl! Und die geforderte Authentizit�t steht tats�chlich im Zentrum von "Gone Baby Gone". Der Film atmet regelrecht Authentizit�t und das ist es, was ihn (unter anderem) deutlich von dem durchschnittlichen Hollywood-Thriller abhebt.
Alles in diesem Film wirkt erstaunlich unglamour�s, vielmehr grau und trist. Hier gibt es keine Hollywood-Sch�nlinge in den Hauptrollen und die Besetzung der Nebenrollen mit ziemlich bis komplett unbekannten Darstellern pa�t ebenfalls ins realit�tsnahe Bild, das Affleck und Autor Lehane von der Bostoner Wirklichkeit zeichnen (soweit sich das von jemandem beurteilen l��t, der noch nie in Boston war ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />).
Selbst Michelle Monaghans wunderbar unpr�tenti�se Darbietung als weitgehend ungeschminkte, blasse Freundin von Patrick - gewisserma�en als eine Frau wie du und ich <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" /> - f�gt sich perfekt in dieses Schema ein. Und auch die rohe Ausdrucksweise sowie die brutalen Handlungen der "White Trash"-Filmfiguren wirken in diesem Thriller weitaus glaubw�rdiger als das stylishe Gefluche zuletzt in Scorseses ebenfalls in Boston spielendem OSCAR-Gewinner "Departed - Unter Feinden". Selbst Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" kommt in dieser Hinsicht nicht ganz an die Qualit�t von "Gone Baby Gone" heran.

Doch nat�rlich reicht eine glaubw�rdige, intensive Atmosph�re alleine noch nicht aus f�r einen guten Film. Dazu braucht es zun�chst mal eine �berzeugende Geschichte. Und die Geschichte, die "Gone Baby Gone" erz�hlt, ist intelligent, vielschichtig, abgr�ndig und absolut nachdenkenswert. Vielleicht sogar ein bi�chen zu viel von all dem. Denn knapp 110 Minuten (ohne Abspann) sind eigentlich zu wenig, um die zahlreichen interessanten und ernsthaften Themen und moralischen Fragen ersch�pfend zu behandeln, die Autor Lehane in seinem Werk aufwirft. Deshalb gelingt es "Gone Baby Gone" leider nicht ganz, die gleiche gewaltige emotionale Wucht zu entfalten wie in Clint Eastwoods deutlich geradlinigerer Verfilmung von "Mystic River" des selben Autors.
Auch "Gone Baby Gone" rei�t den Zuschauer mit, regt ihn zum Nachdenken an und entlockt ihm emotionale Reaktionen. Aber eben nicht in dem gleichen Ausma� wie "Mystic River". "Gone Baby Gone" wirkt letztlich immer ein wenig sachlicher.

Die gro�e Entdeckung des Films ist auf jeden Fall Casey Affleck, der nach seiner �berzeugenden Darbietung in "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" nun auch unter der Regie seines gro�en Bruders eine mitrei�ende Performance abliefert. Er ist das emotionale Zentrum des ganzen Films, auch wenn er dabei von einem wieder mal grandios auftrumpfenden Ed Harris als aufbrausender Detective tatkr�ftig und eindrucksvoll unterst�tzt wird.

In technischer Hinsicht kann man das Urteil kurz zusammenfassen: Gut! Kameraarbeit, die Musik von Harry Gregson-Williams, Ausstattung etc. sind mehr als solide, ohne jedoch gro�artig hervorzustechen.

Fazit: "Gone Baby Gone" ist ein vielschichtiger, komplexer Thriller, der von einer tollen (am Ende vielleicht etwas gehetzt erz�hlten) Story, starken Darstellern und einer kaum nachvollziehbaren Authentizit�t lebt. Wer "Mystic River" mochte, wird auch von "Gone Baby Gone" kaum entt�uscht sein. 8,5 Punkte. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/up.gif" alt="" />

Die n�chste Verfilmung eines Romans von Dennis Lehane - der offensichtlich ein Garant f�r intelligente Geschichten ist - wird �brigens "Shutter Island" sein. Regie f�hrt Martin Scorsese, als Darsteller stehen bereits Leonardo DiCaprio, Sir Ben Kingsley und Mark Ruffalo ("Zodiac") fest.

Last edited by Ralf; 04/12/07 12:43 PM.