TÖDLICHE VERSPRECHEN:

In einem Londoner Krankenhaus stirbt eine minderjährige Mutter bei der Geburt ihres Kindes, woraufhin die Hebamme Anna (Naomi Watts) anhand eines auf russisch verfaßten Tagebuches, welches das Mädchen bei sich hatte, irgendwelche Verwandten ausfindig zu machen. Anna selbst ist russisch-stämmig, spricht die Sprache ihrer Vorfahren jedoch nur sehr bruchstückhaft, also ist sie auf die Hilfe ihres Onkels Stepan (Jerzy Skolimovski) angewiesen. Da der sich jedoch zunächst sträubt, sucht Anna ein russisches Restaurant auf, dessen Visitenkarte im Tagebuch enthalten war. Dort trifft sie auf den zuvorkommenden Patriarchen Semyon (Armin Mueller-Stahl), seinen impulsiven Sohn Kirill (Vincent Cassel) und dessen Freund Nikolai (Viggo Mortensen) - und muß erfahren, daß sie ungewollt Bekanntschaft mit der russischen Mafia gemacht hat ...

Nach "A History of Violence" ist "Tödliche Versprechen" (was übrigens wieder mal eine ziemlich reißerische Übersetzung des Originaltitel "Eastern Promises" darstellt ...) die zweite Zusammenarbeit des kanadischen Kult-Regisseurs David Cronenberg mit Viggo "Aragorn" Mortensen. Und erneut gelingt es Cronenberg, einen für seine Verhältnisse recht mainstreamigen Thriller zu präsentieren, der aber doch immer wieder den sehr eigenen Cronenberg-Stil durchscheinen läßt. Beispielsweise scheut Cronenberg auch in so einem Film mit eigentlich recht konventioneller Story nicht davor zurück, fast alles authentisch und schonungslos zu zeigen. Ein Cronenberg würde halt nie auf die Idee kommen, dann wegzuschneiden, wenn es hart auf hart kommt und/oder wortwörtlich um die Wurst geht (pun intended <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" /> - aber um das zu verstehen, sollte man den Film gesehen haben). Insofern hat mich die Altersfreigabe ab 16 Jahren durchaus ein wenig überrascht.

Die (mitunter mit sehr boshaftem Humor durchsetzte) Handlung selbst ist, wie erwähnt, nichts besonderes. Im Grunde eine Mischung aus "Der Pate" und "Road to Perdition", nur daß es hier wohl erstmals in einem großen internationalen Film um die Russen-Mafia geht (zumindest fällt mir gerade kein anderes Beispiel ein) und nicht um die sizilianische Mafia oder die japanischen Yakuza. Im Vergleich mit den Vorbildern fehlt es "Tödliche Versprechen" jedoch eindeutig an der epischen Breite und dem sprichwörtlichen Cinemascope-Gefühl. Was mit einiger Sicherheit genau im Sinne Cronenbergs ist.
Glorifizierung von Verbrechen kann man diesem Film jedenfalls nicht vorwerfen, er zeigt die Geschehnisse als die kleine, dreckige und vollkommen unglamouröse Geschichte, die sich auch in der Realität sein dürfte. Damit macht sich Cronenberg definitiv um Ehrlichkeit und Authentizität verdient - allerdings leidet darunter die Kinotauglichkeit!

Vor allem in technischer Hinsicht läßt "Tödliche Versprechen" vieles vermissen: Es gibt keinerlei innovative oder auch nur halbwegs spektakuläre Kameraführung, Ausstattung, Kulissen und Co. sind zwar zweckmäßig (und eben vermutlich wiederum authentisch), aber alles andere als beeindruckend. "Tödliche Versprechen" sieht aus wie ein (hochkarätiger) TV-Krimi und nicht wie ein Kinofilm!

Umso beeindruckender ist dafür die Besetzung geraten: Während Naomi Watts eigentlich eine eher passive Rolle einnimmt und damit gewissermaßen die Zuschauer-Perspektive des Kinopublikums einnimmt, sind die Leistungen der drei Mafia-Hauptdarsteller umso spektakulärer: Viggo Mortensen wurde völlig zurecht bereits für den Golden Globe nominiert und sollte auch gute Chancen auf die schon lange verdiente (und ihm bei "A History of Violence" leider noch verweigerte) OSCAR-Nominierung haben. Und das keineswegs nur aufgrund der heiß diskutierten, bereits jetzt als legendär zu betrachtenden und äußerst mutigen Sauna-Sequenz!
Entgegen Elgis Meinung fand ich auch Cassel und vor allem Armin Mueller-Stahl in seiner vielleicht letzten großen internationalen Kino-Rolle sehr gut. Ob deren Russisch nun überzeugend ist oder nicht (soweit ich weiß, spricht Mueller-Stahl aber schon seit Jahrzehnten fließend Russisch), kann ich allerdings nicht beurteilen.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß David Cronenberg mit "Tödliche Versprechen" erneut ein beeindruckender Thriller gelungen ist, der aber inhaltlich nicht an den Vorgänger "A History of Violence" herankommt und technisch schon gleich gar nicht. Dafür sind die darstellerischen Leistungen herausragend und die direkte, authentisch wirkende Erzählweise ist ebenfalls eindrucksvoll. Allerdings muß man wirklich sagen: Es gibt viele Filme, die auf einer großen Leinwand deutlich besser rüberkommen als auf einem kleinen Fernseh-Bildschirm. "Tödliche Versprechen" zählt eindeutig nicht dazu.
7,5 Punkte.

Last edited by Ralf; 15/01/08 04:37 PM.