DARJEELING LIMITED:

Die drei ungleichen, nach dem Tod ihres Vaters vor einem Jahr entfremdeten Brüder Francis (Owen Wilson), Jack (Jason Schwartzman) und Peter (Adrien Brody) begeben sich auf Francis´ Veranlassung auf eine "spirituelle Reise" durch Indien, um wieder zueinander zu finden. Doch Francis hat dabei noch einen Hintergedanken, er hat nämlich ihre Mutter (Anjelica Huston) ausfindig gemacht, die die Familie vor langer Zeit verlassen hatte, um Nonne zu werden - in einem indischen Kloster. Erwartungsgemäß verläuft die Reise nicht ganz frei von Zwischenfällen ...

Nachdem der von seiner Fanschar beinahe kultisch verehrte Regisseur Wes Anderson in seinen letzten beiden Filmen eher die für ihn typische bizarre, mitunter ziemlich klamaukhafte Komik in der Vordergrund stellte (was meiner Meinung nach bei "Die Tiefseetaucher" sehr gut funktionierte, bei "Die Royal Tenenbaums" weniger), orientiert sich "Darjeeling Limited" eher an Andersons Erstling "Rushmore" und konzentriert sich mehr auf die Emotionen der Figuren. Das aber natürlich ohne daß der Humor zu kurz käme!

Bezeichnend und absolut hinreißend ist bereits die allererste Sequenz des Films, die ich hiermit kurzerhand spoilern werde: Wir sehen einen aufgeregten Bill Murray (Hauptdarsteller aus "Rushmore" und "Die Tiefseetaucher") in einem rasenden indischen Taxi. Als der Wagen vor dem Bahnhof hält, springt Murray heraus, rennt in das Gebäude hinein zum Bahnsteig, auf dem sein Zug - der "Darjeeling Limited" - sich soeben in Bewegung gesetzt hat! Murray rennt so schnell er kann, um noch auf den letzten Waggon aufzuspringen und dann ... wird er plötzlich von Adrien Brody überholt! Die Kamera folgt dem schnelleren Brody, der den Zug tatsächlich einholt und bei einem Blick zurück den verzweifelten Murray auf dem Bahnsteig sieht. Und damit ist Murray auch schon raus aus dem Film. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" />

Es ist im Grunde ganz einfach: Wer diese Szene witzig findet, dem wird auch der ganze Film gefallen. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />
Die Handlung dient dabei nur als dünner roter Faden, stattdessen trifft die Floskel "Die Reise ist das Ziel" hier exakt zu. Es geht um die Brüder und ihre ganz privaten Probleme, um ihr Verhältnis zueinander und, ja, es geht auch um ein hier wunderschön (aber keineswegs komplett romantisch verklärt) dargestelltes Indien. Ein bißchen erinnert das ganze an Filme wie "Lost in Translation" und das ist ja alles andere als eine Beleidigung. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />

Besonders erfreulich ist natürlich, daß die Leinwandchemie der Film-Brüder trotz ihrer zahlreichen charakterlichen und körperlichen Unterschiede einwandfrei funktioniert. Sicherlich auch ein Verdienst von Andersons Gewohnheit, immer wieder mit den gleichen Schauspielern zu drehen (wenngleich Brody neu in der "Familie" ist). Dennoch möchte ich besonders Jason Schwartzman hervorheben, der seine Kino-Karriere überhaupt erst Anderson verdankt ("Rushmore" war sein allererster Auftritt vor einer Kamera!) und sich seitdem zu einem sehr respektablen Charakterdarsteller entwickelt hat und hier auch noch erstmals als Co-Autor am Drehbuch mitwirkte.

So gesehen ist es irgendwie passend, daß er auch im 13-minütigen Kurzfilm "Hotel Chevalier" die männliche Hauptrolle spielt, der hier - anders als in den USA - als Vorfilm gezeigt wird und die Vorgeschichte von Schwartzmans Figur Jack erzählt. Naja, nicht die wirklich die Vorgeschichte, sondern einfach nur eine kleine Episode, die Jacks Ex-Freundin (Natalie Portman in ihrer bislang freizügigsten Rolle!) beinhaltet und für sich genommen zwar sehr stimmungsvoll, aber doch eher belanglos wirkt. Erst im Nachhinein entfaltet der Kurzfilm seine Kraft - durch die Geschehnisse und direkten wie indirekten Bezugnahmen in "Darjeeling Limited".

Insgesamt ist "Darjeeling Limited" der bislang beste Film von Wes Anderson. Eine subtile, humorvolle und von den exotischen Reizen Indiens ebenso wie von den erstklassigen Schauspielern profitierende Reise ins Ich der Filmfiguren. Ein wahres Feel-Good-Movie. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />
9 Punkte.

Last edited by Ralf; 30/01/08 12:28 PM.