THERE WILL BE BLOOD:

USA, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis) stößt bei einsamen Grabungen in einem Stollen auf eine Ölquelle. Der Beginn einer langen und erfolgreichen Karriere als "Ölmann", wie er selbst sich voller Stolz bezeichnet. Innerhalb weniger Jahre wird Daniel zu einem reichen Mann, der immer neues Land kauft und darauf Ölquellen erschließt. Durch einen Tip gerät er zu einer kleinen Ortschaft mitten im kargen Ödland, wo nicht einmal Getreide wächst. Doch dafür gibt es dicht unter dem Boden schier unermeßliche Ölvorräte. Daniel kauft den Einwohnern ihr Land ab und beschäftigt sie bei der Ölförderung. Neben der Öl-Konkurrenz hat er nur einen echten Gegenspieler: den jungen Eli Sunday (beeindruckend: Newcomer Paul Dano), der sich zum Prediger und Wunderheiler berufen sieht und damit in der Ortschaft auf seine Weise ähnlich erfolgreich ist wie Daniel. Dem als überzeugtem Atheisten ist Eli ein Dorn im Auge - doch das gilt auch umgekehrt ...

Ich danke Paul Thomas Anderson aus ganzem Herzen! Ich danke ihm dafür, daß er mir eine Gelegenheit gegeben hat, von der ich kaum noch zu träumen wagte: Einmal ein klassisches "Golden Era"-Hollywood-Epos auf der großen Kino-Leinwand zu sehen, das man ohne weiteres in eine Reihe mit Meisterwerken wie "Citizen Kane", "Jenseits von Eden", "Die Katze auf dem heißen Blechdach" oder "Der Schatz der Sierra Madre" stellen kann!

Paul Thomas Anderson ist dieses Kunststück tatsächlich geglückt.
Es gibt so vieles an "There will be Blood", das begeistert und fasziniert:
Die sorgfältig ausgearbeiteten Charaktere; die bemerkenswerte Musik von Jonny Greenwood, die eigentlich weniger Musik ist als vielmehr vertonte Stimmung und Gefühle; das meisterhafte Schauspiel von Daniel Day-Lewis natürlich; die virtuos arrangierten und gefilmten Bilder, die sich häufig - und zurecht! - auf ihre eigene Aussagekraft verlassen und auf viele Worte verzichten; die allgegenwärtige, aber selten aufdringliche Symbolik, die geradezu zum wiederholten Ansehen auffordert; die epische und dabei allzu menschliche Handlung von Macht und Machtgier, von Liebe und Haß, von Schuld und Sühne, von Öl und Religion ...

"There will be Blood" ist kein normaler Film und ganz bestimmt kein einfacher Film. Dafür entzieht er sich zu stark und zu konsequent den heute gültigen Kino-Konventionen.
Welcher Hollywood-Film kann es sich sonst schon leisten, so stark auf die Bilder und Taten zu vertrauen und dabei mitunter minutenlang komplett auf Gesprochenes zu verzichten? Welcher Hollywood-Film traut sich schon, auf Musik im klassischen Sinne fast komplett zu verzichten? Welches Hollywood-Epos kommt heutzutage schon ohne eine echte Liebesgeschichte aus?

[WARNUNG! Die nächsten Abschnitte sind eher Analyse des Films als Teil der Kritik. Wer den Film also auf jeden Fall noch sehen will, sollte erst nach dem Ende meiner Warnung weiterlesen. Auf konkrete Spoiler verzichte ich dennoch größtenteils, wer sich also noch nicht sicher ist, dem könnte das folgende eventuell bei der Entscheidungsfindung helfen, ohne zu viel zu verraten. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />]

Und dennoch geht es sehr wohl um die Liebe in diesem Film, sie spielt sogar eine ganz gewichtige Rolle. Nur geht es hier nicht beziehungsweise nur ganz am Rande um die Liebe zwischen Mann und Frau, sondern um die Liebe zwischen Vater und Sohn, um die Liebe zwischen Geschwistern. Und auch um die Liebe zur Macht und um die Liebe zu Gott!

Ein besonders wichtiger Baustein ist dabei Daniels Beziehung zu seinem Ziehsohn H.W. (Dillon Freasier), dem er einmal im Zorn sagt, er hätte ihn nur aufgenommen, damit bei seinen Geschäftsverhandlungen ein nettes Gesicht zugegen sei. Tatsächlich nutzt er das Kind auch ständig für seine Zwecke aus - nur dank ihm kann er die Leute überzeugen, daß er ein "Familienunternehmen" führt und alle seine Arbeiter großzügig in diese Familie aufnimmt.
Und doch ist es zweifelsfrei echte väterliche Liebe, die Daniel für seinen Ziehsohn empfindet. Auch, wenn er es nur selten zeigen kann und mitunter als alleinerziehender Vater schlichtweg hoffnungslos überfordert ist ...

Ein zweiter wichtiger Baustein des Films ist das alles andere als unkomplizierte Verhältnis zwischen Daniel und dem jungen Prediger Eli. Zwei Männer, die unterschiedlicher in ihrer Art und der Wahl ihrer Mittel kaum sein könnten - und sich doch so viel ähnlicher sind als alle Väter und Söhne im Film. Beide sind auf ihre Weise Kapitalisten. Beide wollen vor allem eines: Macht und Erfolg! Nur daß der eine dabei auf Öl setzt und der andere auf Religion.
Auch die Wirtschaft, der Kapitalismus spielt also eine Rolle in "There will be Blood", allerdings stehen die Charaktere eindeutig im Vordergrund. Anderson zeichnet ein realistisches, objektives Bild. Er verheimlicht nicht, daß Daniel mit seiner Ölförderung großen Wohlstand für die ganze Region bringt. Doch damals gab es eben noch keine oder zumindest viel zu wenige Grenzen, die dem Kapitalismus gesetzt wurden. Denn der Mensch ist nunmal gierig und wenn ihm keine Grenzen gesetzt werden, dann besteht immer die Gefahr, daß er viel zu weit geht. Daniel weiß das. Er weiß und gibt es offen zu, daß er ein zorniger und neidischer Mann ist, der keinem anderen Erfolg gönnt. Und schon gar nicht dem - wie er es sieht - Betrüger und Blender Eli Sunday.
Nein, Daniel ist definitiv kein Menschenfreund. Und dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb ist er mit all seinen Stärken und Schwächen so unglaublich menschlich und real. Und deshalb funktioniert es auch, daß er der merkwürdige Protagonist - nicht der Held! - dieser faszinierenden Geschichte ist. Als Zuschauer mag man ihn nicht unbedingt. Manch einer wird ihn wahrscheinlich sogar verabscheuen.
Aber man kann ihn verstehen. Man kann sogar Mitgefühl mit ihm empfinden.

[ENDE DER WARNUNG!]

Bemerkenswert ist auch, daß Anderson bis auf Day-Lewis und Nebendarsteller Ciarán Hinds komplett auf bekannte Namen verzichtet in seiner Besetzung verzichtet hat. Dennoch sind die darstellerischen Leistungen ohne Fehl und Tadel, offensichtlich wurde also in das Casting ähnlich viel Zeit und Arbeit investiert wie in das Drehbuch (das übrigens eher lose auf dem Roman "Öl!" von Upton Sinclair basiert) und die eigentlichen Dreharbeiten.

Fazit: "There will be Blood" ist kein Film, er ist ein Kino-Ereignis! Wer sich auf ein 160-Minuten-Epos mit langen Einstellungen und wenigen Dialogen, dazu noch ohne Liebesgeschichte oder echte Sympathieträger einlassen kann und will, der wird belohnt werden: Mit einem an klassische griechische Dramen erinnernden Charakterdrama, mit prächtigen Bildern und überzeugender Atmosphäre, mit einer vieldeutigen, zum Nachdenken und Diskutieren anregenden Handlung und mit tollen Schauspielern. Lediglich über die Bewertung des Filmendes muß ich selbst noch ein wenig nachdenken ... <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />
10 Punkte!

Edit: Ich lese übrigens gerade, daß der Komponist Jonny Greenwood im "normalen Leben" Gitarrist bei Radiohead ist. Hatte mich schon gewundert, daß Anderson die Musik jemandem so unbekannten überläßt. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />

Last edited by Ralf; 14/02/08 04:11 PM.