Nur vier Monate nach dem Deutschlandstart hat es dieser Film doch noch in mein Stammkino geschafft (und zwar im Rahmen einer "Ü50"-Sondervorführung! Ich sag´s euch, wenn ihr euch mal so richtig jung fühlen wollt, DAS ist genau das richtige dafür! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/biggrin.gif" alt="" />).

GEFAHR UND BEGIERDE:

Hongkong, zur Zeit des Zweiten Weltkrieges: Eine sechsköpfige Gruppe junger, idealistischer Studenten engagiert sich gegen die japanische Besetzung Chinas. Zunächst nur mittels patriotischer Theateraufführungen und Spendensammlung für die Rebellen, doch dann ergibt sich die Chance, den hochrangigen Kollaborateur Mr. Yee (Tony Leung Chiu Wai) zu eliminieren. Doch es ist nur eine kleine Chance, denn Mr. Yee ist ausgesprochen vorsichtig. So dauert es auch deutlich länger als von den naiven Studenten beabsichtigt, bis sich der schönen Wong Chia Chi (sehr beeindruckend in ihrem Schauspieldebüt: Tang Wei) die Gelegenheit ergibt, eine Affäre mit Mr. Yee zu beginnen. Doch das ist erst der allererste Schritt auf dem langen Weg zur erfolgreichen Beendigung ihrer gefährlichen Mission ...

Nach seinem OSCAR-prämierten "Brokeback Mountain" hat sich Star-Regisseur Ang Lee wieder zu seiner chinesischen Heimat zurückorientiert und einen dort sehr erfolgreichen Roman verfilmt. Doch obwohl die Geschichte auf den ersten Blick ganz anders zu sein scheint als die von "Brokeback Mountain", gibt es doch starke, unübersehbare Parallelen.
Wo bei "Brokeback Mountain" der Spätwestern-Hintergrund eigentlich nur als Fassade für die ausführliche Betrachtung der Hauptcharaktere diente, gilt in "Gefahr und Begierde" das gleiche für die Spionagehandlung.
Wer einen Film wie "Casablanca" oder gar "James Bond" erwartet, wird mit Sicherheit enttäuscht werden - zwar spielen der geschichtliche Hintergrund und Wongs Auftrag eine wichtige Rolle, im Zentrum stehen jedoch erneut die beiden Haupt-Protagonisten. Obwohl Mr. Yee und Wong nur sehr wenig gemein haben, eint sie vor allem eine Sache: Ihre Einsamkeit. Mr. Yee als Kollaborateur ist sich der ständigen Gefährdung seines Lebens jederzeit bewußt, er hat auch bereits zwei Versuche, über eine Frau an ihn heranzukommen, überstanden. Das hat ihn geprägt, er traut absolut niemandem mehr, selbst die Beziehung zu seiner Frau (gespielt von Joan Chen aus "Twin Peaks" und "Der letzte Kaiser") wirkt eher distanziert. Wong andererseits ist quasi eine Waise, selbst in ihrem Mitverschwörer-Freundeskreis eher still und scheint nicht mal wirklich von ihrem Auftrag überzeugt zu sein.
Doch irgendwie kommen die beiden letztlich doch zusammen und entwickeln sogar unwahrscheinliche Gefühle füreinander.

Wie einfühlsam und schmerzhaft authentisch Ang Lee dieses Verhältnis zwischen zwei von ihrer Umwelt entfremdeten, beinahe zerbrochen wirkenden Charakteren in langsamen, elegischen Einstellungen (die übrigens mitunter stark an den Stil seines Regiekollegen Wong Kar-Wai erinnern) zelebriert, ist absolut beeindruckend. Und wenn es doch mal zu seltenen Gefühlsausbrüchen kommt, geraten diese umso heftiger und schockierender (was sowohl auf Gewalt als auch auf Sex zutrifft - in China und anderen Ländern wurden die Sexszenen komplett zensiert, in den USA führten sie zur höchstmöglichen Altersfreigabe, die dort gleichbedeutend ist mit dem kommerziellen Todesstoß, da viele Kinoketten Filme mit diesem Rating grundsätzlich nicht spielen ...). Wieder einmal funktioniert dieser Kontrast (wenngleich er etliche ältere Zuschauer in der Vorführung zum vorzeitigen Gehen animierte <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />) und ist sogar essentiell für die Charakterisierung der Filmfiguren.

Wie immer bei Ang Lee sind Ausstattung, Kameraführung und ähnliches tadellos (weshalb es auch sehr enttäuschend ist, daß es keine einzige OSCAR-Nominierung gab), auch die eher unauffällige Musik von Alexandre Desplat paßt sich wunderbar ins Geschehen ein.

Daß "Gefahr und Begierde" von mir dennoch keine Höchstnote bekommt, liegt vor allem an seiner Länge. Während man dem Meisterwerk "There will be Blood" seine 160 Minuten kaum anmerkt (auch wenn manche Kritiker das anders sehen <img src="/ubbthreads/images/graemlins/winkwink.gif" alt="" />), zieht sich "Gefahr und Begierde" bei gleicher Laufzeit doch etwas sehr in die Länge. Die eigentliche Handlung trägt nicht über so eine lange Zeit und obwohl die Darstellung der zentralen Beziehung zwischen Mr. Yee und Wong sehr beklemmend und eindrucksvoll in Szene gesetzt ist, hätte ich mir manchmal doch ein etwas höheres Tempo gewünscht.
Genau wie bei den Filmen von Wong Kar-Wai. <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />

Insgesamt ist "Gefahr und Begierde" jedoch ein wirklich beeindruckender erotischer Spionage-Thriller mit starker Charakterzeichnung und einem bemerkenswerten Finale. 8,5 Punkte.

Übrigens: Ich hätte ja eigentlich gedacht, daß das Publikum einer "Ü50"-Vorstellung erträglicher wäre als das sonstige. Aber ganz ehrlich, ich habe schon ewig nicht mehr so oft während eines Films Handy-Gebimmel über mich ergehen lassen müssen wie hier! Und gequatscht haben auch einige, wenn auch zum Glück relativ leise ...