So, ich denke - abseits stetig wechselnder Aufregerthemen - sollte man dieses evtl. mal grundlegender diskutieren.
Dafür bietet mMn. dieses, am Rande der momentan hochwallenden, von der SPD initiierten sog. "Kapitalismus-Kritik"-Welle geführte
Interview mit Professor Klaus-Peter Kisker in der SZ einen vortrefflichen Ansatzpunkt.
Ich kann jetzt bei weitem
Kisker nicht im Kontext zu den jeweiligen Partei-Standpunkten oder den vielfältigen Theorien und Diskussionen des vergangenen Jahrhunderts um
Kapitalismus vs. Kommunismus einordnen oder seine aktuelle Relevanz.
Nur soviel aus der Vita laut Artikel:
Klaus Peter Kisker ist emeritierter Professor der Freien Universität Berlin,
wo er das Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte leitete.
Er ist weiterhin in der Lehre der Freien Universität tätig. Seine
Forschungsschwerpunkte: Ökologische Ökonomie, Regionen im
Standortwettbewerb und eine kritische Rekonstruktion der Marxschen
Theorie. Aus Unzufriedenheit über die Wirtschaftspolitik der SPD trat das
frühere Parteimitglied bereits Anfang der 90-er Jahre aus der SPD aus.
Kisker ist außerdem Mitherausgeber der Zeitschrift Sozialismus.Davon abgesehen, verdichten sich aus meiner Perspektive schon geraume Zeit die Hinweise, daß der
Kapitalismus - oder auch seine gemäßigten Ausprägungen, wie die in
Soziale Marktwirtschaft deutscher Provenienz, die ironischer und amüsanterweise von den Störmungen der anderen Richtung bereits als "sozialistisch" bezeichnet wird <img src="/ubbthreads/images/graemlins/silly.gif" alt="" /> <img src="/ubbthreads/images/graemlins/badsmile2.gif" alt="" /> - lediglich der andere `Zwilling´ des verblichenen
Kommunismus/Sozialismus ist und wegen einiger grundlegender Wesensgleichheiten unweigerlich verdammt ist, diesem in nicht allzuferner Zukunft nachzufolgen.
Tatsächlich hat es mMn. bereits begonnen.
Diese Ähnlichkeiten wurden nur durch die Positionierung als Antagonisten und die darauf fußenden, gravierenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, ideologischen Grabenkämpfe des vergangenen Jahrhunderts, insbesondere im 50-jährigen `Kalten Krieg´ überdeckt.
Viel entscheidender ist mMn. jedoch die fundamentale Gemeinsamkeit, daß es sich bei beiden um divergente, zu einfach zum Nutzen weniger und Schaden vieler aus der Balance zu bringende, manipulierbare, auf ökonomische und Macht-Aspekte reduktive Systeme handelt, die in dem Moment, in dem sie sich zum dominanten Ordnungssystem menschlicher Gemeinschaft aufzuwerfen, zum Scheitern verurteilt sind.
Entweder sie sprengen die darunterliegenden Gesellschaften mit ihrem ungeeigneten Korsett oder werden aufgrunddessen vorher von ihnen abgeworfen.
Und darüber kann im Beispielfall auch der vordergründige Unterschied nicht hinwegtäuschen, daß es sich beim
Kommunismus/Sozialismus schon im Entwurf um eine sozio-ökonomisches Organisationsform handelt (Wirtschafts- und Staatsform zugleich), während sich der
Kapitalismus erst mit seinem `kongenialen Partner´
Demokratie dazu ergänzte, mit dem er bis dato im Verein aufzutreten pflegte.
Bezeichnender- und ironischerweise schienen sich diese beiden dominanten Prinzipien über den Großteil des letzten Jahrhunderts in einem zumindest stabilen Gleichgewicht zu halten.
Aber mit dem Untergang des einen und der damit einhergehenden, rasanten Beschleunigung der Globalisierung begann der Kapitalismus sich sukzessive aus den bisherigen Halterungen der nationalstaatlichen Rahmen zu lösen und in der neu gewonnen Eigendynamik scheinen seine gravierenden Defizite als zukünftig vorherrschendes Ordnungsprinzip für menschliche Gemeinschaften immer evidenter zu werden.
Entsprechende, gesellschaftstragende Qualitäten müßte der Kapitalismus aber haben, angesichts der Dominanz mit der er seinen Einfluß auf alle weiteren Lebensbereiche ausweitet.
Und äquivalente `Begrenzer´ sind auf der nun einzig relevanten, supranationalen Ebene weit und breit nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil, werden dort eher `Fortschritte´ in die andere Richtung vorangetrieben.
[ aus o.v. Interview: ]
"...
sueddeutsche.de: Die SPD benutzt also klassenkämpferische Parolen,
doch in ihrem Handeln schert sie sich darum wenig?
Kisker: Die Kapitalismuskritik, wie sie jetzt vorgetragen worden ist,
zeigt für mich ein erschreckendes Theoriedefizit der SPD. Müntefering
kritisiert das unethische Verhalten einzelner Unternehmer, wie zum
Beispiel das von Herrn Ackermann, und lenkt damit von dem eigentlichen
Problem ab. Anhaltende Massenarbeitslosigkeit, zunehmende Armut die
sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich, die
Umweltbelastung, et cetera, sind nicht Folgen des Fehlverhaltens
einzelner Unternehmer, sondern entspringen einfach der Logik dieses
Regulierungssystems. Marx hat sein berühmtes Buch nicht umsonst
nicht etwa „Die Unternehmer“ sondern „Das Kapital“ genannt. Es geht
hier nicht um ethisches Verhalten einzelner Unternehmen.
sueddeutsche.de: Sie stellen also die Prinzipien des Kapitalismus
insgesamt in Frage?
Kisker: Ich antworte mit einem Vergleich: Wenn ich meiner Katze
hundert Mal sage, sie soll keine Vögel fangen, dann guckt sie mich an,
geht in den Garten und fängt Vögel. Das entspricht ihrer Natur, da kann
ich reden, so viel ich will. Ich kann die Katze nicht durch schöne Worte
vom Jagen abhalten. Ich kann nur Rahmenbedingungen setzen. Ich
kann verhindern, dass sie im Frühjahr in den Garten läuft. Wie es dem
Wesen der Katze entspringt, zu rauben, so entspringt es dem Wesen
des Kapitals, den Gewinn zu maximieren.
sueddeutsche.de: Hohe Gewinne der Unternehmen müssen ja nicht per
se schlecht sein.
Kisker: Gut oder schlecht für wen? Das ist die Frage. Die
betriebswirtschaftliche Logik, die die Gewinnmaximierung erzwingt, ist
nicht gleich der gesellschaftlichen Logik. Oder betriebswirtschaftliche
Effizienz ist nicht gesellschaftliche Effizienz. Die Schere zwischen diesen
beiden Effizienzen klafft immer weiter auseinander und wir müssten
versuchen durch Grenzsetzungen, diese Schere ein Stückchen zu
schließen.
sueddeutsche.de: Es besteht Ihrer Auffassung nach also ein Zielkonflikt
zwischen unternehmerischem Handeln und gesellschaftlichem Handeln?
Kisker: Eindeutig ja. Der Job des Unternehmers ist es, den Gewinn zu
maximieren. Es ist nicht seine Aufgabe, gute Produkte herzustellen, das
ist für ihn nur Mittel zum Zweck. Es ist nicht sein Job, Arbeitsplätze zu
schaffen, es ist auch nicht sein Job, für die Umwelt zu sorgen. Seine
Aufgabe als Funktionär des Kapitals besteht darin, den Gewinn zu
maximieren. Ansonsten wird er gefeuert oder sein Unternehmen von der
Konkurrenz geschluckt. Etwas daran ändern kann man nur, indem man
Grenzen setzt. Solche Grenzen sind im 19. und 20. Jahrhundert mühsam
erkämpft worden. Jetzt wird versucht, sie nieder zu reißen.
sueddeutsche.de: Aber niemand wird bestreiten wollen, dass das
wichtigste Problem in der Arbeitslosigkeit besteht. Kommen wir bei der
Bekämpfung dieses gesellschaftlichen Problems Nummer eins wirklich
voran, wenn wir statt mehr nun weniger Kapitalismus in unserem Land
zur Geltung verhelfen?
Kisker: Kapitalismus ist eine in sich sehr logische Veranstaltung. Und
unter den gegenwärtigen Bedingungen, die durch stagnierende Märkte
und Überkapazitäten geprägt sind, ist es betriebswirtschaftlich logisch,
dass Arbeitskräfte entlassen werden Also: Je mehr reine kapitalistische
Logik, umso mehr Arbeitslosigkeit, umso mehr Armut, Umweltschäden,
et cetera.
sueddeutsche.de: Angenommen es wäre tatsächlich so. Könnten wir
uns in der vernetzten Weltwirtschaft den Zwängen der Marktwirtschaft
überhaupt entziehen?
Kisker: Ja, ich denke, dass wir vor dem Gespenst der Globalisierung
nicht wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren dürfen. Wirksame
Maßnahmen sind allerdings im Wesentlichen nur noch EU-weit zu
ergreifen. Statt moralischer Apelle müsste die Bundesregierung in der
EU eine Inititiative ergreifen, die der kapitalistischen Logik Schranken
setzt.
sueddeutsche.de: Aber ist das denn politisch durchsetzbar?
Kisker: Wenn man das wirklich will, schon. In die Gegenrichtung ging
es ja auch: Was im letzten Jahrzehnt an neoliberaler Politik durchgesetzt
worden ist, das hätten wir uns in den 70-er oder 80-er Jahren nicht
träumen lassen.
..."
Als Quintessenz - und das ist jetzt eher wieder meine Folgerung, denn unbedingt die des Interviews - müßte eigentlich ein komplett neues oder zumindest sinnvoll evolviertes, gegen die divergenten Strömungen der Vorgängersysteme und Manipulationen durch einzelne oder einzelne Gruppen resistenteres Konstruktion her.
Leider jedoch sind alle entsprechenden Kräfte, die sich dessen Entwicklung widmen könnten noch in dem Erbe und den Denkmustern des vergangenen Antagonisten-Pärchens verhaftet.
Nun denn, ich bin schon gespannt auf Eure Meinungen, Standpunkte, (Gegen-)Argumente und erhellenden Kommentare ! <img src="/ubbthreads/images/graemlins/smile.gif" alt="" />
Ragon