Rashida stösst den Eingang zum Zelt auf und schaut nach draußen. Sie sieht den dunklen Himmel, die Bäume, die vom Wind gerüttelt werden. Ein Fuchs läuft vorbei, eng an den Boden gedrückt, auf der Suche nach Schutz. Sie hört im Hintergrund den Gelehrten murmeln. Seit Tagen studiert er nun schon die heiligen Schriften und sucht nach Hinweisen. Hinweise, die ihnen den Weg zeigen würden. Der Gelehrte war ihrer Meinung nach dumm, naiv und einfältig. Es wußte doch jeder, daß Ra´och damals die Schriften verschlüsselt hatte. Ach ja, Ra´och...
Sie erinnert sich an die Zeiten, wo sie bei ihm in der Lehre war. Hohepriester des Mondes, ja, so mußte man ihn ansprechen. Er war der fleischgewordene Undar, der Mondgeist. "Naja...so ein bißchen ist ihm ja alles zu Kopf gestiegen", denkt sie schmunzelnd. "Aber vermutlich hat ihm der Trank, den er immer zu sich nahm, um in Trance zu fallen, die Sinne verwirrt." "Mach die Tür zu, es kommt die Kälte herein und mein Licht flackert immerzu!" herrscht der Gelehrte barsch. Seufzend läßt Rashida den Vorhang mit den Erinnerungen fallen und tritt wieder in das Innere des Zeltes. "Es kommt ein Sturm auf", sagt sie sachlich. Der Gelehrte winkt ab: "Ich bin sicher, daß uns nichts passiert...übrigens, was gibt es denn zu essen? Ich habe Hunger!" Es ist immer dasselbe. Sie ist hier nur die Hausfrau. Rashida zieht sich ein Cape über, um gegen den Regen geschützt zu sein, nimmt ihr Schwert und schlüpft leise aus dem Zelt. Mittlerweile ist ein schlimmes Unwetter aufgezogen. Blitze durchzucken die dunkle Nacht. "Na prima, da werde ich ja in Nullkommanichts etwas zu jagen finden..." eine gewisse Ironie ist Rashida schon in die Wiege gelegt worden. Sie kämpft sich einen Weg frei, auf der Suche nach eßbaren Tieren. Als sie nach einigen Stunden endlich einen Hasen erlegt hat, macht sie sich erschöpft auf den Rückweg. Zu ihrem Glück hat das Unwetter aufgehört und der Regen ist zu einem Nieseln übergegangen. Als sie auf die Lichtung kommt, wo ihr Zelt steht, bleibt sie stehen und sieht sich erstaunt um. Es gibt ihr Zelt nicht mehr!

Anscheinend hat ein Blitz eingeschlagen. Sie geht zu der Unglücksstelle, und wühlt ein bißchen in der Asche herum. Als sie sieht, daß die Sonne schon halb verschwunden ist, hebt sie ihren Beutel und das Buch auf. Dann schlägt sie das heilige Buch auf, segnet die Stelle und fängt an, zu beten. Nach den heiligen Ritualen des Tertulus beendet sie ihre Meditation. Sie steht auf und läßt ihren Blick gen Himmel schweifen. Ohne sich umzublicken, wendet sie sich zügig und leise vor sich hersummend nach Westen, da sie noch einen langen Weg vor sich hat.

Nach mehreren Tagesreisen erreicht sie endlich das Gebirge, deren Berge auch "Brecher" genannt werden. Mit einem Seufzer auf den Lippen beginnt sie den Aufstieg und überlegt ihren Auftrag nochmals. "Finde den unheiligen Tempel und bringe mir die Statue des Blutes! Sei vorsichtig und pass auf! Dem Bösen darf man keine Milde angedeihen lassen!" Die Worte ihres Hohepriesters hallen so deutlich durch ihren Kopf, als würde er neben ihr stehen. "Als Kriegerin von Undar hat man es auch nicht einfach", bemerkt sie trocken zu sich selbst. "Erst muss man verhutzelte Gelehrte bewachen, um dann doch alleine nach verstaubten Statuen zu suchen. Aber ich lasse mich von nichts und niemand von meinem Auftrag abbringen. Ein paar mehr Hinweise wären zwar schön, aber so muss halt der Fetzen einer uralten Landkarte reichen."
Da es bereits dunkel wird, errichtet sie ein Lager und merkt erst spät, dass sie direkt neben einem anderen Krieger lagert. "Na, auch egal, vielleicht hat der andere Krieger noch etwas Fett dabei, meine Lederrüstung scheuert schon." Sie nähert sich dem Krieger vorsichtig und beobachtet ihn erst eine Weile. Dann tritt sie in den Schein seines Feuers und sagt entschlossen: "Seid gegrüsst. Ich bin Rashida a'Roch, die heilige Kriegerin des Undar. Ihr habt nicht zufällig noch etwas Fett bei euch, um meine Lederbekledung zu schmieren?"


Quem dei diligunt, adulescens moritur. Titus M. Plautus