Lu hat sich völlig auf die ungewöhnliche Energie konzentriert, die ihm von Bodasen zur Verfügung gestellt worden ist. Über welch ein riesiges Potential der Magier verfügte! Die Kraft fühlte sich gleichzeitig sehr vertraut und doch wieder völlig fremdartig an, so als versuche er mit der rechten Pfote zu schreiben, statt wie gewöhnlich mit der linken. Aber es könnte funktionieren ...
Während er die Idee, sich mit Glance Keksen zu stärken, verwarf und gleichzeitig darüber nachgrübelte, woher er wissen könne, welche Fäden zu verknüpfen seien, hörte er Stone in tiefster Qual schreien. Der mächtige Krieger ging wie ein toter Hirsch zu Boden.
"Stone!", schreit Lu verzweifelt. Alles andere, das Siegel, die Welt, erscheinen ihm plötzlich nicht mehr so wichtig. Sein Gefährte, sein - Freund!
Lu will sich in einem gewagten Steilflug nach unten stürzen, um Stone irgendwie zu helfen. Doch plötzlich schießen feine Kraftfäden aus Stones Händen auf ihn zu und treiben ihn unerbitterlich zurück, gerade so, als wollten sie ihn an seine eigentliche Aufgabe erinnern. Kraftfäden? Stone, ein verkappter Magier? Ein geheimnisvolles Opfer?
Eine rote Wolke hüllt Lu ein und nimmt ihm kurz die Sicht. Dann spürt er, wie ungebändigte, rohe Kraft stürmisch auf ihn eindringt, ihn durchströmt und einen Teil seines Wesens ausfüllt. Wie konnte Stone nur diesen Kraftstrudel auf ihn übertragen? Mit Entsetzen begreift Lu den Sinn dieses Opfers. Das Siegel!
Ein Wissen keimt in dem kleinen Drachen auf, dessen Quelle ihm selbst nicht gänzlich klar ist. Er erkennt die Symmetrie und Struktur der Kraftfäden im Raum; die Zuordnung erscheint ihm einfach, geradezu so, als kopiere er nur ein Bild, was schon lange in seinem Inneren geruht hat.
Stones Kraft ermöglicht es dem kleinen Drachen, die Enden einander anzunähern. Er schöpft aus einem schier unglaublichen Pool der Stärke.
Mit Hilfe von Bodasens magischer Energie, die eine ihm unvertraute, für diese Tätigkeit jedoch unbedingt notwendige Komponente enthält, kann er die Fäden verbinden, beruhigen und ihnen ihre Natürlichkeit zurück geben.
Zunächst vorsichtig, tastend, die so unterschiedlichen Kräfte behutsam ausbalancierend, dann jedoch immer sicherer und schneller beginnt er die losen Enden der Kraftfäden zu verknüpfen. Rasant schießt er kreuz und quer durch den Raum, die Zeit und seine Gefährten fast völlig vergessend. Nur der nächste Knoten zählt.
Viele tausend Knoten später bemerkt der eifrige Drache entsetzt, dass selbst die anfänglich so unergründlich reichhaltigen Energiereserven zur Neige gehen. Immer härter treibt er sich an, doch immer langsamer werden seine Bewegungen.
Suchen, Ziehen, Knoten, dieser Dreitakt automatisiert sich und scheint selbst ohne Lus Bewusstsein zu funktionieren.
"Es gibt noch kein Gleichgewicht. Ich muss weiter machen. Warum gibt es kein Gleichgewicht?", sind die letzten Gedanken des kleinen Drachens, bevor die letzten Spuren der unterschiedlichen Energien verbraucht sind und er bewusstlos wie ein Stein vom Himmel fällt.