Mangels Zeit kann ich momentan nicht auf die genannten Gründe gegen einen EU-Beitritt der Türkei eingehen. Auf die Theorie, daß die EU dem Untergang geweiht ist, will ich nicht eingehen. Aber eine Sache würde ich doch gerne noch mal aufgreifen:

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Du widersprichst dir hier selbst. Auf die Mehrheit des Volkes zu hören ist "Populismus", "dem Volk auf's Maul schauen", "Fähnlein im Wind", auf die Minderheit zu hören ist "auf das Volk hören". Aber zum Glück relativierst Du diese Aussage ja selbst.

Ich habe nicht gesagt, daß die Regierung auf eine Minderheit hören muß. Allerdings vertritt sie eine Minderheit im Land genauso wie eine andere... oder eine Mehrheit.... de fakto vertritt sie alle Bürger im Land und muß sich dementsprechend konsistent verhalten.
Im Unterschied dazu ist es Populismus, wenn Du nicht auf die Interessen der Bürger hörst, sondern ihre Ängste und Befürchtungen dahingehend mißbrauchst, daß Du sie zu Deinem Wahlerfolg einsetzt, anstatt alles daran zu setzen, diese Ängste und Befürchtungen mit nicht-populistischen Informationen aufzulösen. Wenn das halbe Volk z.B. Angst davor hat, daß Millionen von Türken ins Land strömen werden, die CDU diese Befürchtung billigend in Kauf nimmt und mit ihrem Wahlkampf in die gleiche Kerbe schlägt, dann ist das Populismus. Denn die Befürchtung ist nicht begründet - genauso wie sie bei der Osterweiterung unbegründet war - wo die Immigrantenschwemme auch nicht eingesetzt, was u.a. an gesetzlichen Vorbeugungsmaßnahmen liegt. Sagen diejenigen Politiker etwas darüber, wenn sie die Angst vor der Osterweiterung schüren? Sagen etwa diejenigen, die vor den finanziellen Problemen bei einem Beitritt der Türkei etwas darüber, daß die EU wohl zwar Geld ausgeben wird, dieses Geld aber zu einem erklecklichen Teil aus Investitionen bestehen wird, die wiederum Gewinn abwerfen werden?

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Daß Deutschland (ich würde eher sagen Europa) keine Entscheidung zu treffen hat, kann ja wohl nicht Dein ernst sein, oder? Von wem muß sich Europa seine Beitrittsentscheidungen denn diktieren lassen? Von der Türkei? Von Amerika?

Die Entscheidung wurde ja schon längst getroffen... man hat die Kopenhagener Kriterien aufgestellt und der Türkei die Beitrittsverhandlungen versprochen, wenn diese erfüllt werden. Dies ist nun der Fall, also gibt es Beitrittsverhandlungen. Was gibt es da noch zu entscheiden? Zudem gibt es gewisse andere fest gesetzte Kriterien, die man für einen Beitritt erfüllen muß... und ob die Türkei das tut, wird im Laufe der Verhandlungen klar werden. Alles weitere sehen wir dann... aber die Entscheidung, die die Regierung für Deutschland trifft, nämlich, daß sie einen Beitritt gutheißen würde, wenn alle Kriterien erfüllt sind, hat ja wohl weniger mit den Türken zu tun als mit den Gründen, die ihrer Meinung nach einfach für den Beitritt sprechen. Ob man die gut findet oder nicht, ist eine komplett andere Frage. Angesichts dessen halte ich es für eine mittelgroße Frechheit, der Regierung vorzuwerfen, daß sie bei dieser Entscheidung sich von der türkischen Minderheit ("Interessengruppen") beeinflussen lasse.


Nigel Powers: "There are only two things I can't stand in this world. People who are intolerant of other people's cultures... and the Dutch!"