Sorry, mein Urteil fällt bei weitem nicht so gut aus - und inzwischen *darf* ich meckern, habe ich das Spiel doch tatsächlich gekauft.

Ich kann Olniggs Urteil in vielen Punkten beipflichten.

Individuelle Charaktergestaltung, die in C-RPGs inzwischen praktisch dazugehört, solange man nicht einen vorgegebenen Charakter (Gothic, PS:T, Witcher) spielt? Pustekuchen! nach dem Druck auf "Weiter" im Charakterscreen dachte ich anfangs doch tatsächlich, dass ich einen Reiter bei der Charaktererschaffung übersehen hätte. Wo zum Teufel lässt sich das Porträt einstellen, und wo ist der, in DSA immerhin bedeutungsvolle Geburtstag auszuwürfeln oder einstellbar? Was ist mit Größe, Körpergewicht, Haarfarbe usw?
Darauf wurde vollständig verzichtet - wer einen Krieger spielt kann sicher sein, dass er im Wesentlichen exakt so aussieht wie bei allen Spielern eines Kriegers rund um die Welt! Für eine DSA-"Umsetzung" ein trauriges Armutszeugnis. Sicher, nicht spielentscheidend, aber das gab schon mal den ersten faden Beigeschmack. Charaktere von der Stange, Individualismus (und Rollenspiel?) ade - der erste Brückenschlag von DSA zu Diablo. Oder nur ein Zugeständnis an die geringen Anforderungen der Diablo-Klientel?

Sicher, die Spielwelt - wie auch Olnigg neidlos anerkennt - ist wirklich schön umgesetzt (und das ist auch der Rettungsanker schlechthin, will mir scheinen, der Punkt, der so manches rausreißt). Stimmig, mitunter humorvoll - allerdings gibt es auch hier grobe Schnitzer, die die Atmosphäre gleich wieder gehörig dämpfen: Ich bezweifel, dass in der Natur ein Reh mitten durch ein Rudel Wölfe spazieren würde, ohne dass beide Parteien voneinander Notiz nehmen. Hier hätte ein keliner Blick zu Gothic eine deutliche Verbesserung der Atmosphäre erzielt. Und warum zum Teufel haben Wildschweine - normalerweise ein Fluchttier, was sich nur in die Enge getrieben zum kampf stellt - offenbar das gleiche Verhalten wie Wölfe - und zwar knallharten Angriff? Wer anspruchslos herangeht dem mag das ja egal sein, aber in einer wirklich atmosphärischen Welt hat so ein Patzer nichts verloren!

Und dann die Fässer - hat sich mal irgendjemand Gedanken darüber gemacht, wie all die riesigen Kisten und Fässer in unterirdische Hohlräume gelangen, durch enge, schmale Gänge? Musste hier schon mal jemand einen Schrank oder auch nur einen Bettkasten durch ein enges Treppenhaus transportieren? Wer bei den Zwölfen ist so dämlich, sich eine Höhle mit schweren, unhandlichen Fässern vollzustellen? Massiver Designschnitzer, Design durchgefallen...

Überhaupt die Fässer und Kisten... Olnigg hat dazu ja was geschrieben. Und ich kann's nur bestätigen. Fässer und Kisten scheinen die einzigen Interaktionsmöglichkeiten mit der Umwelt zu sein. Das ist schon ein bisschen armselig. Und dass die Interaktion mit den inflationär vorkommenden Fässern auch noch lediglich darin besteht, achtlos an ihnen vorbeizulaufen oder sie *einzuschlagen*: DAS ist Niveau auf Diablo-Ebene, jedoch nicht DSA. Und dass das alles - obwohl unter den Augen der Öffentlichkeit geschehend - ohne Konsequenzen bleibt, macht es nicht besser.

Ah - ich habe bei der "Interaktion" ja alle die Kräuter und Pflanzen vergessen! Nun, ein weiterer Patzer der Entwickler. Zu dumm, wenn man die Würfelprobe auf Finden und richtiges Erkennen einer Pflanze mit der für das Pflücken verwechselt. Wo jeder Bauer einen Einbeerenstrauch bis auf die letzte Beere leerpflücken kann, stellt sich die pflanzenkundige Amazonen*heldin* offenbar sehr dämlich an. Es ist offenbar unerwartet schwer, eine Beere von einem Strauch zu pflücken, ohne dabei den Strauch auszureißen, niederzutrampeln und die Beeren zu zermanschen. Und dann wird auch noch eine Erschwernis raufgeschlagen! Da soll doch Peraine den Entwicklern einen Maiskolben aus den Ohren wachsen lassen, wer hat denn da bei den Regeln dermaßen gepennt?! SO ist das mit dem Würfeln in DSA ja nun nicht zu verstehen!

Weiterer Mangel: Das Dialogsystem. Eigentlich klickt man sich nur durch - "falsche" Antworten, sprich Antworten mit "negativen" Konsequenzen, sind mir bisher nicht untergekommen. Ich würde doch gerne selber entscheiden, wann mein Charakter mit einem zögerlichen Informanten die Geduld verliert. Die "Auswahl" der Dialogoption scheint nur dazu zu dienen, das Textfenster weiterzuscrollen. Da hätte man auch gleich einen völlig selbständig ablaufenden Dialog machen können, ganz ohne Auswahloptionen. Dürftig und nicht das, was ein Rollenspiel ausmacht - schon gar nicht wenn es DSA ist. Dazu noch der Umstand, dass man, um alle Informationen zu erhalten, einen NPC mehrere Male ansprechen muss, z.T. mit immer den gleichen Dialogoptionen - das dämpft die Stimmung doch erheblich. Darüber hinaus sind noch logische Bugs vorhanden - wenn man z.B. auf der Suche nach Kladdis ist, dann bekommt man nach Abschluss der kleinen "Verarschung" in der Taverne bei zwei der Ansprechpartner immer und ewig die Dialog"optionen" *vor* Abschluss der Veralberung. Sich nicht mitentwickelnde Dialoge dämpfen die Atmosphäre. Das ist besonders deswegen schade, weil im Grunde genommen die Dialoge sehr schön und stimmig geschrieben sind. Aber die Autoren haben wohl vergessen, dass man ein *Rollenspiel* spielt, in dem der Spieler gewisse Entscheidungen zu treffen hat. Hier jedoch verfolgt man allzu oft nur einen fest vorgeschriebenen Plot. Man *begleitet*, aber man entscheidet nicht. Das es auch anders geht zeigt das Beispiel mit dem Delikatessenhändler, wo man tatsächlich mal mehrere Optionen hat.

Was mich auch interessieren würde ist, ob die Dialoge in Abhängigkeit vom Archetypen anders geführt werden. Unterhält sich ein bärbeißiger, stets überlauniger Zwerg anders als ein gebildeter Magier? Merkt man einem Thorwaler an der Sprache seine Herkunft an? Ist er möglicherweise durch Geschichten leichter zu beeindrucken (Aberglaube!) als ein Zauberkünstler, der nur müde über eine Legende lächeln kann?

Das Kampfsystem ist ebenfalls alles andere als optimal. Taktische Tiefe, wie man für eine p&p-Umsetzung von DSA eigentlich wenigstens bedingt erwarten könnte, fehlt. Feinde können nicht geblockt werden, wodurch die Aufstellung in Front und rückwärtige Reihe nur teilweise Sinn macht. Selbst, wenn man mit den Nahkämpfern enge Durchgänge blockiert gelingt es den Feinden problemlos, sich durch (nicht vorhandene) Lücken ungehindert hindurchzuschummeln - mal ganz davon abgesehen, dass die Nahkämpfer aus mir unbekannten Gründen nur in den seltensten Fällen ihre Position halten und statt dessen wild herumlaufen, bevor sie zuschlagen - warum auch immer sie das tun. Immerhin - vielleicht bin ich im Spiel noch nicht weit genug vorgedrungen, da hoffe ich also noch auf Besserung. Bisher jedenfalls haben die Kämpfe nichts DSA-typisches, sondern scheinen sich eher an einem Metzel- und Actionspiel zu orientieren.

Die Questen sind durchwachsen, leiden aber allzuoft unter ihrer Linearität. Wirklich spannendes oder gutes Questdesign ist mir bisher nicht untergekommen, aber sie sind auch nichts, worüber ich mir großartig den Mund zerreißen könnte. Immerhin - von DSA-Autoren hätte ich etwas mehr erwartet. Bisher ist das gerade mal durchschnittliche Qualität, aber vielleicht wird es ja noch besser.

Was nun die von mir im Vorfeld besonders interessiert beobachtete Persönlichkeit der vorgegebenen PCs betrifft: Bisher eindeutig durchgefallen. Die Begleiter wirken farblos und werden mehr durch ihre Werte als durch ihre Persönlichkeit definiert. Ein paar plumpe Klischees wie "Rondra hier" und "Bier da" und mitunter eine kurze Lageeinschätzung - das reicht nicht, um einen Charakter überzeugend darzustellen. Bisher sind sie nur farblose Begleiter ohne eigene Absichten, die lediglich die Fähigkeiten des eigenen Chars ergänzen. Entscheidungen des Chars werden offenbar nie in Frage gestellt (vermutlich auch deshalb, weil es einen eklatanten Mangel an wichtigen Entscheidungen zu geben scheint) und offenbar herrscht von Beginn an eine 100%ige Loyalität. Auch das empfinde ich als ärmlich und eines (Party!)DSA-Spiels nicht würdig. Das gerade der große Konkurrent D&D (ursprünglich weit mehr Hack&Slay als DSA, das sich immer dafür rühmte, andere Prioritäten zu setzen!) mit NWN2: Mask of the Betrayer vormachen muss, wie man Begleiter mit starken Persönlichkeiten gestaltet, Begleiter, die überzeugend wirken und nicht nur willenlose Mitläufer sind, ist - mit Verlaub gesagt - eine Schande. Wenigstens ein wenig mehr in diese Richtung hätte ein DSA-SPiel verdient. Ich hoffe nur, dass da noch mehr kommt, wenigstens etwas mehr.

Vieles mehr gäbe es noch zu sagen: Die ungeeignete kameraführung etwa, an die man sich aber über kurz oder lang gewöhnen kann - daher in meinen Augen kein wirklicher Mangel. Die etwas monoton wirkenden "Dungeons" sind da schon eher ein Mangel, aber DSA sehe ich das in gewisser Hinsicht nach, hat es doch noch nie durch ausgefeilte "Dungeons" geglänzt. Wer tolle Dungeons will, soll D&D spielen! wink

Immerhin - das Spiel scheint Arm an Bugs zu sein - auch wenn mich Meldungen wie "Dialoge mit den Begleitern auf keinen Fall aus dem Kontextmenu heraus führen, da das auf Dauer zu irreperablen Schäden am savegame führen kann! Deswegen immer nur Linksklick benutzen!" beunruhuigen. Vor allem deshlab, weil ich nicht weiß, was mit "aus Kontextmenu heraus" gemeint ist...

Fazit zum Abschluss: Viel Kritik, allerdings halte ich selbst das für Gemecker auf hohem Niveau. Drakensang ist in meinen Augen durchaus ein gutes C-RPG, denn es macht (bisher) Spass. Der Spassfaktor mag nicht so hoch sein wie bei anderen C-RPGs (Gothic, Witcher, NWN2 - das ich vor allem letzeres zugeben muss, oh welcher Abstieg! Ein D&D SPiel besser als eines aus Aventurien... ouch ), aber er ist vorhanden. Ein solides Spiel dass die Deinstallation bisher nicht verdient. Leider mMn kein Highlight. Viel ungenutztes Potential, eine masse an z.T. schwerwiegenden Designschnitzern, und alles in allem viel zu oberflächlich und zu wenig erwachsen. Drakensang kann man zum Zeitvertreib spielen, leichte Kost, bei der man nicht groß mitdenken muss. Man kann es getrost einem 12jährigen - mMn sogar einem zehnjährigen - in die Hand drücken ohne Angst haben zu müssen, dass er überfordert wäre oder auf problematischen Inhalt stoßen würde, für den ihm die nötige Reife fehlt (nein, ich meine keine Gewalt oder Sex!). Guter Unterhaltungswert, aber kein *nachhaltiger* Eindruck. Ich bezweifel, dass sich aus Drakensang so inhaltlich, beinahe philosopisch tiefschürfende Diskussionen ergeben wie bei PS:T oder wie ich es auch bei "The Witcher" erlebt habe. Sogar bei NWN2 ist der gesamteindruck nachhaltiger. Ich habe natürlich noch die Hoffnung, dass Drakensang noch zulegen wird, denn immerhin ist das genaugenommen noch ein Ersteindruck - noch ist also alles möglich.

Im Endeffekt natürlich aus DSA-Sicht eine herbe Enttäuschung. Drakensang *ist* ein DSA-Light, eine Art ambitioniertes Diablo, ein Versuch, aus Diablo-ähnlichen Spielen ein C-RPG zu machen. Mag es auch die Welt Aventurien stimmungsvoll darzustellen wissen - das (mir bekannte) p&p-DSA kann es nicht treffen. Und das liegt nicht an den neuen DSA-Regeln sondern vielmehr daran, dass *grundlegende* Dinge, die ein Spiel wie DSA prägen, vernachlässigt wurden. Drakensang ist daher aus meiner Sicht *kein* DSA, sondern hat sich als "Spielplatz" lediglich Aventurien auserkoren!

Und wem das ein zu vernichtendes Urteil war, dem sollte erneut gesagt werden, dass auch ich momentan durchaus Spass an Drakensang habe! wink

Last edited by buad; 15/08/08 07:40 AM.