Originally Posted by elgi

Beispiel: Du hast das Recht, dich jeder zugelassenen Partei anzuschließen, die du willst. OK. Aber die SPD (wie wohl auch jede andere Partei) läßt es nicht zu, daß man SPD-Mitglied und zugleich in einer anderen Partei ist. Ergo würde man dann abgestraft oder ausgeschlossen werden. Ist das auch eine Bestrafung für eine verfassungsmäßige Handlung?


Ich glaube nicht, daß das ein gutes Beispiel ist. Denn die Verfassung besagt ja nur, daß man jeder zugelassenen Partei beitreten darf - davon, daß man jeder *gleichzeitig* angehören darf, ist aber nicht die Rede. In diesem Fall ist es dann auch das gute Recht jeder Partei, in ihrer Satzung eine Mehrfach-Parteien-Zugehörigkeit auszuschließen. Damit habe ich absolut kein Problem, finde es sogar sehr sinnvoll.

Originally Posted by elgi
Kurz gesagt: Jeder darf und soll nach seinem Gewissen handeln... aber dsa heißt nicht, daß man seine Parteirechte auf Lebenszeit hat. Wenn du der Partei schadest, mußt du mit Konsequenzen rechnen. Und Walter hat der Partei geschadet - meiner Meinung nach aus eigennützigen und rachlüstigen Gründen.
Ob Ypsilanti mit den Linken hätte koaliieren sollen oder sich vorher schon hätte erklären sollen oder man gleich hätte aufgeben sollen - vollkommen nebensächlich. Ausschlaggebend ist die Tatsache, daß die berühmten Vier die Frau in Sicherheit gewogen haben und dann urplötzlich die Sache zum Platzen gebracht haben. Und dies als Gewissensentscheidung hinzustellen, finde ich geradezu grotesk.


Weißt du, da kommen wir jetzt wieder bei einem alten Thema an, bei dem wir uns damals sogar einig waren, wenn ich mich nicht irre: Heide Simonis´ Nicht-Wiederwahl in Schleswig-Holstein!
Damals gab es bekanntlich nur einen Abweichler, der aber reichte, damit Simonis selbst nach mehrfachem Anlauf nicht wiedergewählt werden konnte. Seinerzeit gab es auch in diesem Forum Personen, die das Verhalten des Abweichlers gut fanden, ich glaube, es war sogar von "gelebter Demokratie" u.ä. die Rede. Wir beide sahen das anders und zwar vor allem deshalb, weil der Abweichler sich in den (wenn ich mich nicht irre: nicht geheimen) Probeabstimmungen stets FÜR Simonis gestimmt hatte, sich also nicht offenbaren wollte.
Das fand ich damals feige und hinterhältig.

Nun, aus heutiger Sicht und nach der Hessen-Erfahrung muß ich meine Meinung revidieren: Offenbar hat der damalige Abweichler - leider! - alles richtig gemacht! Denn er hat die wohl einzige Möglichkeit genutzt, seine abweichende Meinung geltend zu machen, OHNE damit seine politische Karriere zu ruinieren. Dafür kann ich ihm (oder ihr) kaum einen Vorwurf machen ...

Was nun den konkreten Hessen-Fall betrifft: Die "Rebellen" haben ihre Abneigung öffentlich und VOR der Abstimmung bekanntgegeben. Ja, es war (außer bei Metzger) ziemlich spät und sicherlich darf man die Motive mancher oder sogar aller vier Personen kritisch hinterfragen.
Es ändert aber nichts daran, daß sie damit absolut rechtmäßig gehandelt haben. Der Rückzug auf Gewissensgründe mag glaubwürdig wirken oder auch nicht (immerhin war laut repräsentativer Umfragen selbst eine deutliche Mehrheit der hessischen SPD-Wähler GEGEN eine Koalition mit den Linken - warum sollte das nicht die Entscheidung einiger Abgeordneter beeinflußt haben? Wäre es nicht sogar peinlich und vielsagend, wenn sich sämtliche Abgeordnete einen Dreck darum geschert hätten?). Das tut aber nicht das geringste zur Sache. Denn die Entscheidung aus Gewissensgründen darf niemals angezweifelt werden, sofern es nicht ganz konkrete gegenteilige Beweise (etwa für eine Bestechung) gibt!

Vielleicht findest du das übertrieben, aber für mich ist das nichts weniger als die Grundlage unserer repräsentativen Demokratie: Daß jeder vom Volk gewählte Abgeordnete jederzeit und ohne Rechtfertigungszwang eine abweichende Meinung haben dürfen MUSS, ohne dafür irgendwelche Bestrafungen befürchten zu müssen - außer natürlich durch den Wähler.

Wenn aber nun ein Abgeordneter von seiner eigenen Partei bestraft wird (oder die Strafe auch nur angedroht oder angedeutet wird), weil er "gegen die Interessen der Partei" stimmt, dann wird damit dieses essentielle Prinzip unterlaufen, wenn auch nicht im juristischen Sinne. Dann könnte man auch gleich - wie zuletzt bei der Europawahl ja bereits geschehen - bei Bundes- und Landtagswahlen nur noch über die Parteien abstimmen lassen anstelle über die namentlich genannten Kandidaten. Und dann könnten bei Abstimmungen nicht die einzelnen Abgeordneten abstimmen, sondern einfach die kompletten Parteien. Dann wäre das Problem mit dem Fraktionszwang endgültig gelöst ...

Und bei den "Hessen-Rebellen" war es ja nicht mal so wie bei Clement, dem vorgeworfen wurde, er habe aktiv dazu aufgerufen, die Hessen-SPD NICHT zu wählen (was so übrigens auch nicht ganz der Wahrheit entspricht, wie ich irgendwann später herausgefunden, als ich die entsprechenden Szenen der "Hart aber fair"-Sendung zufällig selbst gesehen habe). In so einem Fall halte ich eine Bestrafung für legitim, wenn sie im Rahmen bleibt.

Bei Walter & Co. war aber nichts dergleichen der Fall. Natürlich hätte man sie trotzdem indirekt bestrafen können und das auf eine Art und Weise, an der nicht einmal ich etwas hätte aussetzen können. Etwa, indem sie in Zukunft in der Partei einfach nicht mehr in irgendwelche Gremien, Ausschüsse oder Parteiämter gewählt worden wären. Aber im aktuellen Fall konkret Jürgen Walter aktiv für zwei Jahre für jegliche Parteiämter von vornherein zu sperren und vor allem ihm (außer in seinem Ortsverein) sogar das Rede- und Antragsrecht zu streichen (!!!) - sorry, das wirst du mir niemals als gerechtes Verhalten einer Partei verkaufen können, die für mich wählbar wäre ...
Das trifft übrigens auch auf die Rüge zu, die zwei der anderen "Rebellen" erhalten haben. Eine Rüge mag milde und vernachlässigbar erscheinen, aber angesichts des Sachverhaltes halte ich sie nunmal für nicht hinnehmbar.

Ich kann ja verstehen, daß ein aktives SPD-Mitglied das anders sieht (buchstäblich parteiisch ist wink ), aber für mich als neutraler Beobachter hat die SPD nunmal schlicht und ergreifend (und nicht zum ersten Mal) gegen ein Prinzip verstoßen, das für mich persönlich absolut unanfechtbar ist. Und im übrigen: Ich bin sogar besonders enttäuscht, weil es in der SPD geschieht. Bei der Union würde ich sowas ja sogar erwarten (und gab es das ja auch schon), aber bei der SPD ist es eine schwere Enttäuschung.