Alix, einerseits schreibst du, man sollte Kinder früher bekommen, andererseits schreibst du, dass junge Leute oft selber noch nicht im Leben stehen. Wie soll jemand, der mit seinem Leben selber noch nicht ohne Hilfe klar kommt, für ein anderes Wesen Verantwortung tragen können?

Ich hab meine Tochter mit Anfang 20 bekommen und war sehr häuft damit überfordert. Ich hatte weder optimale finanzielle Voraussetzungen zu der Zeit, noch genügend Reife und Ruhe dafür. Natürlich tat es da gut, meine Familie im Rücken zu haben damit trotzdem alles vernünftig lief, jedes kleines oder großes Problem gelöst wurde. Allerdings hat es weder mit noch dem Kind wirklich gut getan, ja, diese ganzen guten Ratschläge und Hilfestellungen haben manchmal noch zu mehr Verwirrung geführt, meinen eigenen Reifeprozess eher noch behindert. Auch wenn bei uns alle gut lief, würde ich auf diese unützen Nervenaufreibungen im Nachhinein gerne verzichten. Bei meinem Sohn, den ich mit 30 bekommen habe, bin ich wesentlich ruhiger, gefestigter in mir und das wirkt sich auch auf die Kinder aus. Ruhe und Reife der Eltern sind, meiner Meinung nach, für die Entwicklung eines Kindes sehr wichtig denn es vermittelt Sicherheit. Sind die Eltern verunsichert in ihrem Tun, dann sind es die Kinder auch und ein Kind wird von einem Erwachsenen, der hinter sienem Reden und Tun steht eher etwas annehmen, als wenn es spürrt, der Erwachsene ist selber schwankend in dem Moment. Manche mögen diese Reife früher, manche später bekommen. Daher ist es, für mich, sehr individuell wann man Kinder bekommen sollte. Die einen mögen früh gut klar kommen, die anderen wären früher eben überfordert.

Auch ist ein junges Elternpaar doch kein Garant für eine vorhandene Familie. Mein Ex-Mann starb mit 40, meine beste Freundin mit 32. Wann jemand abberufen wird oder ob er mit 90 noch munter und gesund ist, dass kann doch niemand vorhersagen. Und von einer 40jährigen Karieregroßmutter hat ein Kind vielleicht weniger als von einer 80jährigen Omi, die bei Plätchen und Milch von früher erzählt. Eine 28 jährige Vollzeitmutter, die eben weil alles zu früh war nicht auf ein finanzielle Polster und damit freie Zeit fürs Kind zurückgreifen kann, wird einem Kinde oft weniger geben können, als eine ältere Hausfrau. Umgekehrte Beispiele wird es genauso geben. Aber diese Beispiele sind nicht alleine vom Alter der Eltern sonder vor allem von deren Rahmenbedingungen abhängig. Geld oder nicht in der Familie, welche Bildung haben die Eltern, eigene Erziehung der Erziehenden, Berufstätigkeit der Eltern, zuhause oder viel Fremdbetreuung fürs Kind und nicht zuletzt der Wohnort einer Familie und die Schule die dort besucht wird wirkt sich auf ein Kind und seine Entwicklung aus. Es gibt nicht nur einen, der am Kind herumerzieht, je nach Alter und wie ein Kind betreut wird sind es eine ganze Reihe von personen, die leider oft nicht zusammen sondern gegeneinander arbeiten.

Familien sind heute auch so unterschiedlich geworden. Das alte Mann-Frau-Kinder Modell ist doch eher selten geworden. Alleinerziehende, Patchwort ist angesagt. Das wirft andere Probleme auf, birgt andere Chancen in sich. Kindern fehlt aber heute oft die Stabilität im Leben, eben weil eine Familie nicht als Sicher empfunden wird.

Ich glaube nicht, dass man alles einfach nur auf die Eltern abwälzen sollte, oder sagen kann, dann und dann ist es günstig ein Kind zu bekommen. Eltern sind so individuell wie ihr Lebenslauf. Ein wohlhabende Familie kämpft mit ganz anderen Dingen als eine Hartz IV Familie, Alleinerziehenden wieder mit anderen als eine Großfamilie. Es gibt Eltern mit Talent in allen Altersstufen und solche, über die man besser gar nicht reden sollte.

Die Gesellschaft hat sich in den letzen Jahrzehnten stark verändert, die Familien, die Schulen. Die veränderten Bedürfnisse der Kinder, die übergreifend sind in diesen Systemen, sind dabei irgendwie aus den Augen verloren worden. Die Kinder haben ihren Platz in der Gesellschaft verloren, ihnen ist nicht mehr klar wo sie eigentlich stehen. Konsequenzen sind viel zu locker oder können von Schule und Co. gar nicht mehr verhängt werden. Sonderschulen in die man bei auffälligkeiten kommt oder Heime für schwer erziehbare Jugendliche? Pustekuchen, sowas wurde doch alles abgeschafft. Nachsitzen oder Strafarbeiten, selbst dass ist an vielen Schulen nicht mehr möglich (immerhin müsste man zum Nachsitzen erst mal die Eltern informieren können). Sowas wie Schulhofreinigen oder Toilettenputzen trauen sich die Schulen schon gar nicht mehr. Freizeitangebote sind für viele kaum finanzierbar, genauso Nachhilfe. Und die, die Geld haben, werden von Angeboten derart zugeschüttet, dass man gar nicht mehr weiß, was jetzt gut ist und was überflüssig.

Es wird heute bei Probleman auch zu viel auf Einsicht bei Jugendichen wert gelegt, ein Schmusekurs gefahren. Das ist verkehrt. Ein Kind lernt nur das etwas falsch ist, wenn es merkt, die Folgen tun mir weh (nicht körperlich aber doch spürbar) - weswegen Strafe der Eltern auch nichts bring, dem Kind tuts nicht weh. Wenn die Folge von etwas Falschen ein Gespräch mit jemandem ist, bei dem ich nichts weiter zu befürchten habe, ja was lerne ich daraus, kann mir ja nichts passieren, mache ich weiter wie bisher. Das passiert leider zu oft in der Familie, weil die jungen Eltern oft selber nicht gelernt haben, wie Erziehung ohne körperliche Strafe funktioniert oder sich, wenn sie körperlich strafen gleich kriminell fühlen und Angst vor den Nachbarn haben müssen. Das passiert in der Schule, weil der Leher als Respektperson wenig Möglichkeiten hat sich durchzusezten, Eltern oft noch mit ihren eigenen Erziehungsansichten behindern statt mal an einem Strang zu ziehen. Das passiert im Verein, auf der Straße etc. pp. Es passiert selbst noch bei Straftaten häufig genug.

Aus meiner Sicht muss sich im ganzen System etwas ändern. Vom Kindergarten an über die Schule und Freizeitangebote, über eine vernünftige finanzielle Absicherung und Förderung aller Kindern bis hin zu zeitnahen Beratungsmöglichkeiten von Eltern (gerne auch Fächer wie Hauswirtschaft und Kinderpflege wieder in die Schulen bringen als Pflichtfächer) und einem funktionierenden Jungendstrafsystem das nicht länger Taten durch seine Strafen bagatellisiert.

Solange jede betroffene Stelle (Eltern, Lehrer, Politiker etc.) immer nur die Schuld beim anderen sucht wird sich gar nichts ändern. Das ist, als würde man einen vom Holzwurm zerfressenen Dachstuh immer nur dort ausbessern, wo gerade ein Balken zusammenbricht. Der kann trotzdem nicht die Last des Daches tragen und die gesunden Stellen werden immer wieder vom Wurm des Nachbarbalkens befallen werden. Kinder brauchen Grenzen und die sollten ihnen nicht nur zuhause, sondern tagtäglich überall bei ihrem Tun begegnen, damit sie lernen können und auch einen Sicherheit und Stabilität empfinden können. Nur wenn auf allen Ebenen etwas passiert, wird sich das Ganze wieder mit der Zeit ins Gleichgewicht bringen lassen, denke ich.

@Elgi: Ich denke mal, nach zwei Wochen wird es für Genesungswünsche zu spät sein. Aber für dein Vorhaben das Rauche aufzugeben wünsche ich dir ein gutes Durchhaltevermögen. Und wenn der Enzug durch ist, wirst du sicher auch wieder der nette taffe Machotyp von Nebenan werden, der du schon immer warst.

Last edited by Namara; 16/09/09 09:10 PM.